26.06.2009

Lilos 23. Tag - Sparring

In freudiger Erwartung stehen wir in ordentlicher Tempelkleidung zum Abmarsch bereit. Rosalynn und ihr Mann Tom haben sich neue Kleidung schneidern lassen, als wir letzte Woche gemeinsam in der Stadt waren. Sie sind ganz stolz und wir machen alle eine Stoffprobe und lobende Bemerkungen. Tom, der Auslandschinese aus Amerika, der mittlerweile in Singapur lebt, allerdings darauf beharrt, in Malaysia zu wohnen, will immer wieder, dass ich den Preis schätze. Na gut, mein Tipp: 200 Kuai. Falsch – 130 hat der Anzug gekostet. Ob er nicht wunderschön ist? Ja, sehr, wenn man auf mustergewebte Pyjamas aus Kunstfaser steht. Ich persönlich schätze meine Baumwoll-Seiden-Tracht, zu der ich mir noch ein sommerleichtes kurzes Oberteil habe schneidern lassen, irgendwie doch mehr. Aber das sage ich ihm nicht.

Guan verkündet, dass wir heute in der Schule bleiben. Nach den üblichen leichten Warm-Ups, bei der wir – die Härtner-Truppe – uns doch gefälligst endlich mal ein bisschen schneller bewegen sollen, nicht mehr so schlapp wie gestern, werden wir zu den Schülern geschickt. Die haben aus Matten eine Begrenzung geschaffen, so dass in der Mitte ein rechteckiger freier Raum entstanden ist. Nun werden Boxhandschuhe ausgepackt. Und dann geht es los: Schluss mit bloßer Theorie, jetzt wird zugeschlagen. Und getreten! Alles, was wir so jeden Tag treiben wird jetzt praktisch eingesetzt. Und die Kids schenken sich nichts – da sieht man schon das Messer in den Augen der Kleinen, als sie aufeinander eindreschen, immer wieder unterbrochen von Guan, der Fehler in der Deckung sofort aufzeigt und sehr schön demonstriert, was passiert, wenn man falsch tritt. Obwohl er sich langsam bewegt und die Kinder bestimmt keine Lust haben, sich vor Publikum eine Blöße zu geben, liegen sie ganz schnell auf dem Boden. Und endlich lacht Guan mal wieder.

Dann kommt er zu unserer Gruppe – da hat doch bestimmt jemand Lust! Gottergeben erhebt sich einer der Chinesen, der schon seit über einem halben Jahr hier ist. Nach kurzer Zeit setzt er sich wieder und als die Nase nicht mehr blutet, spricht Guan Michael, den jungen Kanadier, der erst seit ein paar Tagen bei uns ist, an. Michael ist etwa Mitte 20, sein Körperbau und Muskeltonus, der jetzt, mit freiem Oberkörper, nicht zu übersehen ist, lassen darauf schließen, dass er die letzten Jahre...nun sagen wir mal – nicht untätig war. Sein Herausforderer ist einer der älteren Schüler. Ich kann mich daran erinnern, dass er im letzten September in die Akademie kam. Nun knallt es richtig. Michael ist dem Jungen nicht nur körperlich weit überlegen, es liegen auch mindestens 10 Jahre Lebens- und wohl auch Kampfsporterfahrung zwischen den beiden. Auch dieser Kampf ist schnell beendet. Allerdings hat auch Michael einige Spuren davon getragen und begibt sich nun zu den anderen, die auch mit Pflastern, Sälbchen, Eis und guten Worten versorgt werden müssen. Guan schaut nochmal in die Runde, kurz ruht sein Blick auf mir, er hält aber vorsichtshalber den Mund. Ich glaube, er traut mir mittlerweile jeden Blödsinn zu.

Am Abend findet dann die große Abschiedsfeier statt. Innerhalb von 2 Tagen werden 8 Leute die Akademie verlassen und geläutert in die Welt hinausziehen. Das ist natürlich Anlass für ein angemessenes Gelage. Wir tun uns also zusammen und laden alle Mitschüler, Lehrer und die Mädels von der Verwaltung, die uns in jeder Lebenslage so hilfreich beigestanden haben, ein. In einem Nebengebäude gibt des drei große runde Tische, an denen jeweils – wenn man etwas schiebt und drückt – über 10 Leute Platz finden. Damit wir ordentlich feiern können, hat Guan extra den Tagesplan umgestellt und uns Nachmittagstraining im Tempel verordnet. Nun haben wir uns das Abendessen redlich verdient und können auch Bier trinken. Der letzte Punkt war es wohl auch, weshalb von der ursprünglichen Planung eines gemeinsamen Mittagessens abgesehen wurde.

Die Feier beginnt, Köstlichkeiten werden aufgefahren, Schnaps wird gereicht und viele, viele rührselige Trinksprüche über Freundschaft, Familie – natürlich die in Wudang – der Geist Zhenwus, der über unser Training wacht und uns bisher vor größeren Verletzungen bewahrt hat, die Trauer des Abschiednehmens und die Freude des Wiedersehens ausgesprochen. Bevor wir uns nun alle heulend in den Armen liegen, beginnt einer der Mitschüler mit viel Herz eine chinesische Volksweise anzustimmen. Gelegentlich kippt die Stimme ein wenig, wahrscheinlich ist der Mann einfach zu Tränen gerührt. Nat rettet uns vor weiteren Rührseligkeiten indem er eine russische Volksweise anstimmt, wohl etwas schlüpfrigen Inhalts, wie ich Tatjanas Gesicht ablese. Nun wird es spaßig, Aaron, der Musiker holt seine E-Gitarre und erfreut uns mit ein paar selbst komponierten Weisen. Jeder verbrüdert sich nun mit jedem, und selbst die chinesischen Mitschüler, die bisher kaum ein Wort mit uns gewechselt haben, pressen sich mühevoll ein paar englische Sätze von den Lippen. Auch wir Ausländer geben unser Bestes für die Völkerverständigung, am Ende werden noch die E-Mail-Adressen ausgetauscht, damit unsere Gruppe sich nie mehr aus den Augen verliert. Wie üblich in China fällt gegen 21.00 h der Hammer, das Bier ist eh alle, beseelt machen wir uns in unsere Zimmer. Ein bisschen traurig vielleicht. Auch wenn wir manchmal unsere Last mit der Größe der Gruppe hatten – schön war's ja doch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen