08.06.2009

Lilos 7. Tag - Endlich Zixiaogong

Obwohl wir nun schon fast eine Woche hier sind, haben Ramona und ich es bisher nicht geschafft, im Purpurwolkentempel dem daostischen Ortsheiligen Zhen Wu unsere Aufwartung zu machen. Termine, Termine - ich hoffe, Zhen Wu sieht’s uns nach. Üblicherweise ist das Vormittagstraining im Tempel, wegen irgendwelcher Feierlichkeiten haben wir aber die Woche über in der Akademie trainiert. Wir freuen uns sehr, dass es endlich so weit ist. Zur Feier des Tages lege ich meinen neuen Kittel an, ein federleichter Traum in Baumwolle und Seide. Herrlich. Gar kein Vergleich zu dem Plastik-Modell vom Vorjahr. Dummerweise bin ich zu eitel, die Stulpen anzulegen. Das sieht zwar etwas merkwürdig aus, ist aber sehr praktisch, weil die Stulpen verhindern, dass bei tiefen Stellungen die Klamotten im Dreck schleifen. Das Wetter hat mittlerweile umgeschlagen, es herrscht starker Nebel, oder besser: Dampf, denn es ist nach wie vor ziemlich warm. In einer Sauna zu trainieren, war schon immer mein Traum. Heute wird er wahr.

Als wir den Innenhof des Zixiaogong betreten, sehe ich ein riesiges Yin-Yang-Symbol, das wohl irgendeiner Veranstaltung diente. Ich bin ja nun schon eine Weile hier, also stürme ich das Ding sofot und nötige Ramona, mich beim Posen in meinem schönen neuen Anzug zu fotografieren. Sehr hübsch, das fehlte bisher in meiner Sammlung. Ramona hat keine Lust auf Kitsch, hat sich wohl noch nicht ganz akklimatisiert. Kommt schon noch. Hoffentlich bleibt das Podest noch eine Weile stehen.
Nach dem Aufwärmen, bei dem wir endlich die von mir hoch geschätzten gesprungenen Kicks trainieren, geht Guan auf unsere neuen Mitschüler aus Japan zu. Bei der Vorstellungsrunde hatten die beiden schon darauf hingewiesen, dass sie außer japanisch nur sehr dürftig Englisch sprechen. Guan versucht den beiden auf Englisch zu entlocken, was sie denn bitte lernen möchten. Ratlosigkeit. “Taijiquan”? schlägt er vor. Empörte Abwehr von den beiden. Was dann? “Taijiquan we want to learn!” Aha, das wird schwierig. Guan ruft Tatjana herbei - das selbe Muster wie bei meiner Entscheidungsfindung, Tatjana soll ein bisschen was vormachen, die beiden können dann entscheiden. Die beiden wählen. Zweimal die Nummer 1. Süß-sauer.

Ich übe mit meinem Grüppchen Jiben Quan, zwischenzeitlich ist auch Igor aus Litauen, der Stiefbruder von Nat, dazu gestoßen. Er tut sich ein bisschen schwer mit den sehr dynamischen, aber auch geschmeidigen Bewegungen. Außerdem spricht er nur Russisch. Die Korrekturen von Li Shifu verhallen unverstanden, bis der irgendwann die Lust verliert. In der Pause übe ich die Bewegungen noch ein wenig, das Neue von gestern habe ich natürlich längst wieder vergessen. Igor schließt sich mir an, schließlich auch Xiaolong, der sich - obwohl etwas pummelig - hervorragend bewegt. Ist auch schon eine ganze Weile hier und das sieht man. Als ich Pause mache, versucht Xiaolong Igor zu korrigieren, der völlig verkrümmt in der Bewegung verharrt. Aua. Hilfesuchend schaut Xiaolong mich an. Ob ich nicht übersetzen kann. Ich lache - nur weil ich ein paar Brocken Chinesisch und auch etwas Englisch kann, heißt das leider nicht, dass ich in allen Weltsprachen zu Hause bin. Ich rufe Nat heran, der soll seinen Kompagnon mal einnorden. Das klappt dann auch einigermaßen. Nat erzählt mir, dass Igor ein hervorragender Kämpfer sei, aber alles was mit Dehnung und Koordination, also mit dem ganzen “Mädchenkram” zu tun hat, würde er strickt ablehnen. Kommt deshalb auch zu Hause immer eine halbe Stunde zu spät zum Training. Sehe ich da ein hämisches Grinsen? Schäm’ dich, Nat!

Völlig nass von Schweiß und Nebel kommen wir zur Akademie zurück, um uns völlig ausgehungert auf die heutigen Spezialitäten zu stürzen. Mittlerweile bekommen die Ausländer keine Extrawürste mehr gebraten, wir stellen uns wie alle anderen auch mit den unseren Blechnäpfen an und essen, was aus dem Pott kommt. Und das ist auch gut so. Das Essen ist einfach, aber sehr schmackhaft und ausgewogen. Viel vegetarisches, aber mein Bedürfnis, in China Fleisch zu essen, ist eh’ nicht sonderlich groß. Ich kann mich an die hiesige Gepflogenheit, die Tierleichen mit den Knochen zu servieren, einfach nicht gewöhnen. Geht aber auch so. Und wenn ich doch versehentlich Fleisch erwischt habe: Bebe ist dankbare Abnehmerin. Ist mittlerweile auch ganz schön mollig geworden. Oder wieder einmal trächtig.
Beim Essen sitzt Tomo, der junge Japaner, neben mir. Fasziniert betrachte ich sein Essbesteck: eine wirklich raffinierte Konstruktion aus einem Satz Stäbchen und Messer und Gabel bestehend. Und zwar zum Zusammenstecken. In Pink und Schwarz, die Oberseite der Stäbchen dient gleichzeitig als Verlängerung für das westliche Besteck. Ich bin hin und weg. Habe ja schon ein Herz für solche Gimmicks. Als wir fertig sind, schaut Tomo-San auf meine Stäbchen: “very beautiful”! Ja, finde ich auch - die habe ich vor zwei Jahren von einem Herren aus der Schweiz hier in Wudang geschenkt bekommen, weil ich so gierig gekuckt habe. Hello Kitty. Tomo-San erklärt mir, dass er Hello Kitty liebt. Es gelingt mir, keine Miene zu verziehen. Japaner.

Jetzt gehe ich erstmal ins Netz auf die Jagd, nach diesem fantastischen Besteck-Set.

Das Abendtraining findet wegen Schlechtem Wetter im allseits geliebten Ballsaal statt. Meine Gruppe darf drinnen bleiben, der Rest wird über das ganze Haus ergossen, auf die Flure, in die Treppenhäuser - wo halt Platz ist. Verbissen üben wir unter den gestrengen Blicken von Li Shifu. Ich bemerke, dass Xiaolong bei den Handschlägen auf den Fußrücken schmerzhaft das Gesicht verzieht. Hat wohl etwas zu temperamentvoll zugeschlagen. Er versucht, Li Shifu für seine Verletzung zu interessieren. Der winkt nur ab: weitermachen. Ich schaue mir die Hand an. Tatsächlich: die Finger sind ziemlich geschwollen. Ich frage Xiaolong, ob er Medikamente hat. Versteht er nicht. Ich laufe ins Zimmer und hole die gute alte Diclofenac-Salbe. Höflich schmiert er. Mittlerweile ist auch sein Kumpel aufmerksam geworden, versucht verzweifelt, die deutsche Aufschrift zu entziffern. Mit mäßigem Erfolg. Lynn taucht auf. Endlich jemand zum übersetzen. Ich erkläre ihr, dass Xiaolong nach dem Training und morgen früh noch mal schmieren soll, dann sollte es gehen. Lynn übersetzt die Frage des Kumpels, ob das Zeug vielleicht auch was für seinen verbogenen Knöchel ist. Klar, als drauf. Nun fragt Lynn neugierig, ob das vielleicht auch bei ihren schmerzenden Knien helfen könnte? Natürlich, deshalb habe ich die Salbe ja überhaupt mitgebracht. Also schmieren wir erst einmal alle in trauter Gemeinsamkeit unter Gelächter unsere schmerzenden Glieder ein, bevor es in die nächste Runde geht. Li Shifu schüttelt nur den Kopf.

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