03.06.2009

Lilos 2. Tag - Wandertag

Was so harmlos als “kleiner Spaziergang” mit Training zwischendurch angekündigt war, stellt sich - wen wundert’s - wieder mal als veritable Wanderung heraus. Deutlich besser vorbereitet als auf unseren kleinen Spaziergang zum Wulong Gong im letzten Jahr (man lernt ja dazu) sind wir mit ordentlich Wasser und Proviant um 8.00 h losgezogen in Richtung “Carelesse Valley”, dem Affental. Yi Ming hat die Verantwortung für die “Erwachsenengruppe”. Diese besteht aus etwa 25 Leutchen, die meisten davon Chinesen, der Rest aus dem Rest der Welt. Es wird ein lustiger Kauderwelsch gesprochen, deshalb ist nicht immer so ganz klar, wer woher stammt, aber das spielt ja auch überhaupt keine Rolle.

Am Tal angekommen, wird erst einmal durchgezählt. Die Kleinen absolvieren diese schwierige Übung mit Bravour, bei uns ist die Sache etwas schwieriger. Wir werden in zwei Reihen aufgestellt und sollen durchzählen. Nun sprechen einige Englisch und können in dieser Sprache auch zählen. Aber nicht alle. Mit Chinesisch sieht es genauso aus. Drei Ziffern laufen reibungslos auf Englisch durch, der vierte in der Reihe zählt Chinesisch, der fünfte nach kurzem Überlegen auch, der sechste ist nicht mitgekommen, kann kein Chinesisch und so weit mitzählen ist um die Uhrzeit wohl auch nicht drin…nach mehreren Versuchen und viel Gelächter gibt Yi Ming auf. Sie trennt die Gruppe in Chinesisch-Sprechende und Englisch-Sprechende und so bekommen wir auch dieses schwierige Problem bewältigt und können endlich loslaufen. Da sind wir auch sehr dankbar, es ist mittlerweile schon kuschelig warm geworden und wir hoffen auf ein wenig Abkühlung im Tal.

Nachdem man endlich die Touristen-Einrichtung mit den angeketteten Affen hinter sich gelassen hat, ist das Tal wirklich wunderschön. Bizarre Fels-Formationen laden zur Meditation ein und dies nehmen wir dann auch dankbar an. Nun wird auch klar, warum man uns geknechtet hat, zu diesem Ausflug unbedingt die Uniform zu tragen: geschäftige Fotografen und Kameraleute begleiten uns die ganze Zeit, um Schnappschüsse von meditierenden und trainierenden Schülern in dieser wunderbaren Landschaft aufzunehmen. Der andere Deutsche grantelt ein wenig, er stammt aus Bayern, ich verstehe ihn kaum, aber die Botschaft ist ihm so wichtig, dass er übersetzt: “ich bin nicht hergekommen, um hier Werbung auf der Homepage zu machen! Gleich fahr’ ich wieder zurück”. Man kann sich natürlich darüber ärgern, muss man aber nicht. Zum einen werden ja nicht nur wir fotografiert, sondern alle Schüler. Und wenn wir als Teil des Ganzen gelten und auch die Akademie ein wenig mit repräsentieren, finde ich das nett. Damit wird ja auch ausgedrückt, dass man hier offen ist für ausländische Schüler und daran kann ich nichts negatives finden. Natürlich möchte ich gerne, dass Wudang seinen Charme, der auch in seiner Abgelegenheit besteht, bewahrt. Aber es gibt nichts, was die touristische Erschließung verhindern wird. Yürgen und ich werden als Stammgäste sehr interessiert um unsere Anregungen und Vorschläge gebeten und so können wir vielleicht ein bisschen Einfluss auf die Entwicklung nehmen.

Wir spazieren immer weiter in das Tal hinein, sind mittlerweile in Gegenden, die offensichtlich schon seit langem kein Touristen-Fuß mehr betreten hat. Die Natur hat sich hier längst wieder ihr Terrain erobert und bei den liebevoll angelegten Holzstegen wurde möglicherweise nicht ganz das richtige Holzschutzmittel gewählt, jedenfalls sind viele Bohlen durchbrochen, was die Kletterpartie zum Teil zu einem Abenteuer macht. Glücklicherweise geht alles ohne Verletzte ab und wir werden mit phantastischen Ausblicken auf Wasserfälle und -becken im Fluss belohnt. Genau das richtige Umfeld für ausgedehntes Posieren. Machen wir natürlich ausgiebig. Nach langer Wanderung kommen wir am frühen Nachmittag endlich am “Mitteltempel”, direkt an der Seilbahnstation, die zum höchsten Tempel, dem Tianzhu, führt, an. Demnach sind wir etwa 25 Kilometer kreuz und quer, bergauf, bergab gelaufen. So fühlt es sich auch an - das daoistische Mahl im Tempel haben wir uns redlich verdient! Zurück geht’s glücklicherweise mit dem Bus und als wir um 18.00 h wieder zur Akademie kommen, erlässt Guan uns in seiner unendlichen Güte das Abendtraining. Die meisten von uns nehmen’s dankend an. Ich höre aber nach dem Abendessen, dass die Schüler selbstverständlich wieder bei der Arbeit sind. Klar, die sind ja auch nicht zum Spaß hier…

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