Am heutigen Wudang-Sonntag wollen wir versuchen, einen Ausflug zu einem nahegelegenen See in der Nähe von Laoyin zu machen. Nach unseren Erfahrungen gestern wollen wir zunächst das hiesige Personal dazu befragen. Unglücklicherweise bewacht heute Grace das Klassenbuch, indem wir einzutragen haben, wann wir wohin gehen und wann wir voraussichtlich zurückkehren. Wenn nichts dazwischen kommt. Grace ist…lieb. Wir erklären ihr, was wir vorhaben und fragen sie, wie wir am besten hinkommen. Grace hört mit großen Augen zu. Der See ist wirklich riesig, man kann ihn von Bergen aus sehen. Wirklich jeder kennt ihn. Alle außer Grace. Wir bedanken uns für das Gespräch und machen uns auf den Weg in die Stadt. Dort sollte es uns eigentlich gelingen, irgendjemand zu befragen, einen Dreiradfahrer dazuzubringen, uns hinzufahren - wie auch immer.
Mit dem Bus am Taizi Po angekommen, wollen wir in den Bus in die Stadt einsteigen. Wie immer ist nicht so ganz klar, welchen wir da zu nehmen haben. Da sehen wir in einem Bus bekannte Gesichter: Tony aus Australien, Xiaolong, Suzanna und ihr Mann Salvatore aus Spanien. Sie winken uns, wir laufen zum Bus. Es stellt sich heraus, dass sie gar nicht in die Stadt fahren, sondern zum “Golden Top”, dem höchsten Gipfel mit einer sehr beeindruckenden Tempelanlage. Da wollten wir zwar eigentlich nicht hin, aber wir sitzen gerade so nett und beschließen kurzfristig, mitzufahren. Life is what happens while you are making other plans - und da hatte John Lennon wirklich recht. Bisher kennen wir den Tianzhu nämlich hauptsächlich wolkenverhangen, verregnet, kalt - aber heute sieht es richtig gut aus!
Auf 1600 Metern weht ein lauer Wind, sehr angenehm. Es haben sich heute kaum Touristen hierhin verirrt, so dass wir nicht nur ausgiebig besichtigen können, sondern auch Gelegenheit haben, vor dieser wunderbaren Kulisse alberne Posen einzunehmen. Mit einer Haltung, für die uns unsere Lehrer ins Genick hauen würden, lassen wir uns in martialischen Stellungen fotografieren “Wo wei Wudang!” - “Ich für Wudang!” Das ist der Schlachtruf, mit dem die Kleinen jeden Morgen den Tag begrüßen. Und mich, weil ich direkt über dem Hof schlafe. Heute werden wir Eins.
Den Rückweg nehmen Ramona und ich zu Fuß, der Rest der Gruppe schwächelt und zieht den Abstieg per Seilbahn vor. Leider hatte ich völlig verdrängt, dass die fast 10 Kilometer nach Nanyan fast ausschließlich über Treppen zurückzulegen sind. Und da Brücken wohl zu teuer waren, läuft man ständig treppauf-treppab, so dass man sich bald wie in einem Bild von Escher fühlt. Was sich auch wiederholt, sind die Gurkenverkäuferinnen, die uns hinter jedem Tor, das wir durchqueren, auflauern. Ich warte schon darauf, sichere nach links und rechts während ich die kniehohe Schwelle überschreite: wo steht sie diesmal. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Ziemlich angeschlagen kommen wir schließlich in der Akademie an, mein Knie sind geschwollen, ich darf gar nicht an das morgige Training denken. Ich schleppe mich mit letzter Kraft die Treppe hoch, will nur noch ausruhen und die Knie kühlen. Trotz des wunderbaren Ausfluges bin ich mehr als kaputt. Da begegnet mir Tomo-San auf dem Flur “please wait!” Er kramt in seiner Tasche, findet das Gesuchte, strahlt und überreicht mir ein paar wundervolle Hello-Kitty-Haarklippse. Hat er in der Stadt gefunden und an mich gedacht. Ich bin gerührt. Japaner.
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