29.12.2021

Spaghetti mit Langostino

Hiermit beginnt eine neue Kategorie auf meinem Blog: Rezepte

Nr.1:
Spaghetti mit Langostino – in Anlehnung an Alexander Herrmann


Zutaten für 2 Personen:

700 gr. Langostinos bzw. Gambas je nach Größe
3 EL Olivenöl
1 EL Tomatenmark
2 Schalotten
100ml Weißwein
250ml Gemüsebrühe
2 Tomaten
1-2 Knoblauchzehen
1 Estragonstiel laut Rezept, da man frischen Estragon immer nur recht schwierig in einer guten Qualität bekommt, ersetze ich ihn durch frischen Basilikum bzw. verwende getrockneten Estragon
Salz und Peffer aus der Mühle
1 Chilischote nach Geschmack (im Original-Rezept wird Alexanders Würzöl verwandt, das ist mir immer zu viel Aufwand)
1 TL Butter
250 g Spaghetti (diese Menge Pasta erhöhe ich in der Regel, da es mir für ein Hauptgericht zu wenig ist, die Saucen-Menge kann man auch leicht anpassen, wenn man mag)

Die Langostinos schälen und die Därme entfernen. Dazu die Langostinos am Rücken entlang einschneiden und den schwarzen Faden rausnehmen. Die Schalen waschen und mit Küchenpapier abtrocknen. Die Schalotten schälen und in Streifen schneiden. Die Schalen der Langostinos in etwas Olivenöl rösten. Das Tomatenmark hinzufügen und kurz mit anrösten. Das Ganze mit dem Weißwein ablöschen. Etwas einkochen lassen und dann die Brühe zugeben. Die in Würfel geschnittenen Tomaten, die angedrückten Knoblauchzehen, etwas gewürfelte Chilischote ohne Kerne und den Estragon- bzw. Basilikumstiel hinzugeben und alles zusammen 20 Minuten mit geschlossenem Deckel köcheln lassen.

Den Sud danach durch ein Sieb geben und gut ausdrücken. Mit Salz und Pfeffer würden und nochmals aufkochen lassen. Mit ca. 2EL Olivenöl und einem Pürierstab aufmixen (dies evtl. vor dem Anrichten nochmals wiederholen, damit ein schöner Schaum entsteht).

In der Zwischenzeit die Spaghetti nach Packungsanweisung al dente kochen. Die Langostinos mit Salz, Pfeffer und Estragon bzw. Basilikum würzen und in einer Pfanne in Butter bei mittlerer Hitze braten.

Die Nudeln in tiefen Tellern anrichten. Die Sauce nochmals aufmixen und darüber verteilen. Die Langostinos darauf legen und genießen.


19.12.2021

Fanatiker sind's!



Es war verantwortungslos und feige, lange Zeit Hetzer nicht als das zu benennen, was sie sind. Eine Demokratie braucht auch diese Fähigkeit: zu spalten.
VON CAROLIN EMCKE aus der SZ vom 18.12.2021
(Carolin Emcke ist freie Publizistin. Ihre Kolumne erscheint einmal monatlich.)
Vielleicht muss man wieder beginnen, die Worte auf ihre Bedeutung hin zu befragen, weil sie sonst sinnlos werden. Vielleicht muss man die Definitionen wieder schärfen, weil sonst alles stumpf und gleichförmig wird. Vielleicht muss man wieder ausbuchstabieren, was welchen Namen verdient, weil sonst die Unterschiede verloren gehen. Weil sonst alles untergeht in diesem infantilen Meinungsfreiheits-Nihilismus. Vielleicht braucht es ein Wörterbuch der Demokratie, in dem das Vokabular beschrieben wird, das eine demokratische Gemeinschaft braucht, wenn sie demokratisch und gemeinschaftlich bleiben will. Die letzten Jahre waren geprägt von einer absichtsvollen Unschärfe der Sprache, die alle Konturen des Radikalen abgeschliffen und verharmlost hat, als sei irgendwie alles zur Demokratie gehörig, selbst das, was die Demokratie zerstört. Als müsste unbedingt alles irgendwie eingemeindet werden, selbst das, was ganz explizit und unverhohlen die Gemeinschaft ablehnt. Die anbiedernde Geste des Man-muss-die-Ängste-ernst-Nehmens war immer schon eine, die sich nur diejenigen leisten konnten, die den Hass und den Fanatismus der angeblich ängstlichen Bewegungen nicht zu spüren bekamen.
Im Wörterbuch der Aufklärung, der 28-bändigen Enzyklopädie von Denis Diderot, findet sich folgender Eintrag, der immer noch gültig ist: "Fanatismus - das ist ein blinder Eifer, der abergläubischen Anschauungen entspringt und dazu führt, dass man nicht nur ohne Scham und Reue, sondern sogar mit einer Art Freud und Genugtuung lächerliche und grausame Handlungen begeht." Es reiht sich Jahr an Jahr, in dem wechselnde populistische Mobilisierungen absolut schamfrei auftreten und mit Genugtuung ihren lächerlichen und grausamen Furor exhibitionieren. Sie unterfüttern und flankieren ihre Positionen mit kruden Verschwörungsmythen: ganze Geschichten anfangs, später reichen dann bloße Erzählfetzen, einzelne Begriffe und Codes, die den Assoziationsraum aus Irrsinn und Ressentiment aufrufen, ohne noch irgendwelche Gründe oder Motive für den Furor angeben zu müssen. Ressentiment und Wahn verstehen sich gleichsam von selbst. Es reicht dann, "Lügenpresse" zu skandieren oder "Corona-Diktatur", oder wie in Frankreich das notorische "Qui?" (Wer?), das Codewort für jene, die bei der Frage "Wer ist schuld?" immer nur "Juden" als Antwort geben - mehr braucht es nicht als soziales Bindemittel im demokratiefeindlichen, antisemitischen Kontext.
Was als "Freiheit" deklariert wird, ist oft nur hanebüchener Narzissmus
So verantwortungslos wie feige waren die rhetorischen Verrenkungen, die jahrelang in der Öffentlichkeit angestellt wurden, um diese radikalen, fanatischen Ideologien bloß nicht als das zu benennen, was sie sind, eben radikal und fanatisch, sondern um sie unbedingt noch als Teil des demokratischen Spektrums zu definieren. Was wurde da alles weichgespült, um nur bloß keine Abgrenzung formulieren zu müssen. Welche absurden Fehlinformationen wurden da aufgewertet als berechtigte "Skepsis" oder "Bedenken", die es unbedingt abzubilden und zu besprechen gelte, welch hanebüchener Narzissmus wurde da noch als "Freiheit" deklariert, die zu verteidigen sei. Eine gigantische Illusionsmaschine produzierte ständig das Bild einer Gesellschaft, die keine Umgangsformen, keine Regeln, keine Gesetze akzeptieren will.
Es wurde ein entstellendes, verwirrendes Vokabular geschaffen, das Kritik an den populistischen Mobilisierungen eilig als "Ausgrenzung" brandmarkte. Da wurde jede noch so systemfeindliche Position als "sorgenvoll" pädagogisiert, jede noch so abgesicherte Anhängerschaft als ökonomisch hilflos oder politisch vernachlässigt dargestellt, um nur ja nicht differenzieren und benennen zu müssen, wer da mit welchen Phantasien gegen "den Staat", gegen "die Medien", gegen "Genderwahn", gegen den "Bevölkerungsaustausch", gegen "die Verordnungs-Diktatur" protestiert. Jetzt wird staunend eine Radikalisierung beklagt, die man sich nicht erklären kann, weil das Radikale der Wissenschaftsfeindlichkeit, der Verachtung der öffentlich-rechtlichen Medien und der Distanz zum Rechtsstaat, die die verschiedenen Bewegungen immer schon ausgezeichnet hat, jahrelang mühevoll verniedlicht wurde.
Was eine demokratische Gesellschaft braucht, um zu bestehen
Mit der Furcht vor der "Spaltung" wurden eben jene Gruppierungen legitimiert, die tatsächlich nichts anderes wollen als eine Spaltung der demokratischen Gesellschaft. In einem politischen Diskurs, der jahrzehntelang die kulturelle und religiöse Pluralität der hiesigen Einwanderungsgesellschaft nicht anerkennen konnte, soll nun auf einmal Vielfalt der Meinungen über alles gestellt werden - selbst wenn es sich gar nicht um begründete Einsprüche oder Überzeugungen handelt, sondern um falsche Tatsachenbehauptungen oder antisemitische und rassistische Hetze. Man könnte lachen, wenn es nicht so bitter wäre.
Eine demokratische Gesellschaft kann nicht bestehen, wenn sie sich in der öffentlichen Auseinandersetzung der Instrumente beraubt, begriffliche und politische Grenzen zu ziehen. Dazu gehört es, jene Verschiedenheiten anzuerkennen, die die plurale, offene Demokratie stärken, weil sie zwar unterschiedliche kulturelle oder religiöse Herkünfte und Praktiken leben, aber sich alle auf den Rechtsstaat verlassen. Aber dazu gehört eben auch, jene Verschiedenheiten zu erkennen, die die plurale, offene Demokratie ablehnen, weil sie in einer Parallelwelt aus Aberglauben und Ressentiment leben. Eine demokratische Gesellschaft braucht die Fähigkeit zu spalten - sie muss unverhandelbare Grenzen markieren können, sie muss rationale Standards aus Gründen und Argumenten verlangen können. Sonst lässt sie diejenigen allein, die an sie glauben und die ihren Schutz brauchen.“

03.12.2021

Der Herzschatz des Taijiquan

Die folgende Passage stammt aus Ren Gangs 'The Heart Treasure of Taijiquan', ins Englische übersetzt von Mattias Daly, Deutsch mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

Zhang San Feng, Begründer des Taiji Quan

Die dreizehn Kräfte des Taijiquan, in denen die Alten trainierten, haben alle praktische Anwendungen. Umgekehrt sollte man, obwohl die Yang-Stilform, die ich trainiere, achtundachtzig verschiedene Bewegungen enthält, niemals denken, dass diese achtundachtzig Bewegungen praktisch in einem Kampf verwendet werden können. Keine von ihnen kann im Kampf praktisch angewandt werden. Vielmehr sind die achtundachtzig verschiedenen Bewegungen lediglich Werkzeuge, mit denen man ein Gefühl für die Konturen der dreizehn Kräfte des Taijiquan bekommt und dann übt, mit ihnen zu arbeiten. Sollte es jemals zu einer Auseinandersetzung mit einem Gegner kommen, sind es diese dreizehn Kräfte, die in den Vordergrund gestellt werden müssen.

Auch hier können natürlich Techniken eingesetzt werden, aber es ist unglaublich einfach für die Praktizierenden, sich im Labyrinth der Techniken zu verlieren. Viel zu viele Schüler verirren sich auf diesen verschlungenen Wegen und finden nie zur Wurzel des Taijiquan zurück. Es gibt unzählige Lehrer, die von Tricks und Methoden besessen sind. Wie viele Lehrer haben eine direkte Erfahrung mit der Verschmelzung zur Einheit? Wie viele Schüler widmen Zeit und Mühe, um dieses Ziel zu erreichen?

Es heißt: "Im Moment der Öffnung bewegt sich die Hand genau so, wie es das Herz wünscht, ohne dass ihre wunderbaren Fähigkeiten begrenzt sind. Wenn man harmonisiert ist, setzt man keine Kraft ein, um sich zu wehren, selbst wenn man mit Waffen aus Metall und Stein angegriffen wird. Wenn sich dein Geist jedoch auch nur im Geringsten rührt, dann enthüllst du deine Form in ihrer Gesamtheit, und dein Shen verliert seine Natürlichkeit." Einfacher ausgedrückt bedeutet dies, dass man, sobald man in der Lage ist, durch Nichtstun mit anderen zu harmonisieren, nicht mehr gegen jeden Gegner kämpfen muss. Selbst Feinde, die versuchen, mit Klingen oder Steinen anzugreifen, werden keinen Schaden mehr anrichten können, und man wird in der Lage sein, sie zu überwältigen. Wenn man dann aber beginnt, absichtlich zu handeln, wird man seinen Gegnern etwas offenbaren, das nicht formlos ist.

Viele Menschen denken, wenn sie einem stark aussehenden Gegner gegenüberstehen, sofort: "Den muss ich irgendwie in Schach halten!" In dem Moment, in dem sich dieser Gedanke im Geist festsetzt, reagiert der Körper wie der einer Person, die versucht, eine andere Person abzuwehren. Deshalb muss man sich immer von den Gedanken befreien, wenn man einem Gegner gegenüber tritt. Seien Sie sich einfach der anderen Person bewusst, mehr nicht. Nur so wird der innere Zustand des Gegners im Rahmen der eigenen Wahrnehmung leicht erkennbar. Wenn man dies tut, wird sich spontan und natürlich eine Möglichkeit ergeben, mit dem Angreifer umzugehen. Taijiquan zu lernen bedeutet, zu lernen, wie man auf diese Weise kämpft.

Das sicherste Zeichen dafür, dass man mit einem echten Meister praktiziert, ist das plötzliche Gefühl der Ohnmacht, seinen Angriffen zu widerstehen. Wenn ein Taijiquan-Meister Kraft sammelt und dann ausstößt, fühlt es sich an, als ob man vergisst, sich gegen ihn oder sie zu wehren. Dies geschieht, weil, wenn ein Meister in den Zustand eintritt, sich im Einklang mit seinen Empfindungen zu bewegen, der Gegner nichts anderes tun kann, als in einen verwirrten Zustand zu gleiten, in dem Gedanken an Widerstand keinen Halt mehr finden. Würde ein Meister einen Kampf beginnen, indem er darüber nachdenkt, wie er mit seinem Gegner umgehen soll, würde der physische Zustand, den er manifestiert, diese geistige Aktivität widerspiegeln und dem Gegner etwas geben, wogegen er ankämpfen kann.

Wie schafft es ein Meister, dem Gegner nichts zum Kämpfen zu bieten? Das geschieht ganz natürlich. Sobald er oder sie Kraft ausstößt, ist der Gegner bereits in den Bereich seines oder ihres Bewusstseins gefallen, und welches Körperteil der Gegner auch immer einsetzen wollte, es scheint in der Leere zu schweben. Dieser Vorgang ist zu subtil, um ihn wortreich zu beschreiben; er kann nur angedeutet werden. Mein großer Lehrer pflegte ein einfaches Gleichnis zur Veranschaulichung zu verwenden: "Es ist wie ein Dieb, der in ein leeres Zimmer geht." Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Einbrecher, der sich darüber beugt, das Schloss eines gut verschlossenen Gebäudes zu knacken, und sich darauf freut, mit dem Gold, dem Silber und den kostbaren Antiquitäten zu verschwinden, von denen er weiß, dass sie auf der anderen Seite der Tür warten. Doch kaum hatte man die Tür aufgestoßen, fand man den Raum, der gestern noch mit Schätzen gefüllt war, plötzlich völlig leer, ohne ein einziges Möbelstück! Zweifellos wäre man so schockiert und beunruhigt, dass man für einen Moment die Schwerelosigkeit spüren würde. Das ist der Zustand, den Taijiquan-Meister ihren Gegnern im Kampf verschaffen. Wenn man in diesen Zustand gerät, verliert man augenblicklich jede Fähigkeit, einen Kampf zu führen.

26.11.2021

Laurie Anderson über ihr Leben mit Lou Reed und seinen Tod


 Foto: Guido Harari/Contrasto/Redux


In einem exklusiven Essay für Rolling Stone reflektiert Laurie Anderson über ihre 21-jährige Beziehung zu Lou Reed und seine letzten Momente.


Ich habe Lou in München kennengelernt, nicht in New York. Es war 1992, und wir spielten beide auf John Zorns Kristallnacht-Festival zum Gedenken an die Reichspogromnacht von 1938, die den Beginn des Holocausts markierte. Ich erinnere mich an die verdatterten Gesichter der Zollbeamten, als ein ständiger Strom von Zorns Musikern durch den Zoll kam, die alle knallrote RHYTHM AND JEWS! T-Shirts trugen.


John wollte, dass wir uns alle treffen und miteinander spielen, im Gegensatz zum üblichen "Rein-und-Raus"-Festivalmodus. Deshalb hat Lou mich gebeten, etwas mit seiner Band zu lesen. Das habe ich getan, und es war laut und intensiv und hat viel Spaß gemacht. Nach der Show sagte Lou: "Du hast das genau so gemacht, wie ich es mache!" Warum er mich brauchte, um das zu tun, was er leicht tun konnte, war unklar, aber es war definitiv als Kompliment gemeint.


Ich mochte ihn auf Anhieb, aber ich war überrascht, dass er keinen englischen Akzent hatte. Aus irgendeinem Grund dachte ich, Velvet Underground seien Briten, und ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, was sie machten. (Ich weiß, ich weiß.) Ich kam aus einer anderen Welt. Und alle Welten in New York zu jener Zeit - die Modewelt, die Kunstwelt, die Literaturwelt, die Rockwelt, die Finanzwelt - waren ziemlich provinziell. Ein wenig verächtlich. Noch nicht miteinander verdrahtet.


Wie sich herausstellte, wohnten Lou und ich nicht weit voneinander entfernt in New York, und nach dem Festival schlug Lou vor, sich zu treffen. Ich glaube, es gefiel ihm, als ich sagte: "Ja! Auf jeden Fall! Ich bin auf Tournee, aber wenn ich zurückkomme - mal sehen, in etwa vier Monaten - können wir uns auf jeden Fall treffen." Das ging eine Weile so weiter, und schließlich fragte er mich, ob ich zur Audio Engineering Society Convention gehen wolle. Ich sagte, ich würde sowieso hingehen und ihn in Microphones treffen. Die AES Convention ist der beste und größte Ort, um sich über neue Geräte zu informieren, und wir verbrachten einen schönen Nachmittag damit, uns Verstärker und Kabel anzusehen und über Elektronik zu fachsimpeln. Ich hatte keine Ahnung, dass dies ein Date werden sollte, aber als wir danach einen Kaffee trinken gingen, fragte er: "Möchtest du einen Film sehen?" Klar. "Und danach zum Abendessen?" OK. "Und danach können wir spazieren gehen?" "Ähm . . ." Von da an waren wir nie mehr wirklich getrennt.


Lou und ich machten zusammen Musik, wurden beste Freunde und dann Seelenverwandte, reisten, hörten uns die Arbeiten des anderen an und kritisierten sie, studierten gemeinsam Dinge (Schmetterlingsjagd, Meditation, Kajakfahren). Wir dachten uns lächerliche Witze aus, hörten 20 Mal mit dem Rauchen auf, stritten uns, lernten, unter Wasser die Luft anzuhalten, fuhren nach Afrika, sangen in Aufzügen Opern, freundeten uns mit unwahrscheinlichen Menschen an, folgten einander auf Tourneen, wenn wir konnten, bekamen einen süßen, Klavier spielenden Hund, teilten uns ein Haus, das von unseren eigenen Wohnungen getrennt war, beschützten und liebten uns gegenseitig. Wir sahen immer viel Kunst und Musik, Theaterstücke und Shows, und ich beobachtete, wie er andere Künstler und Musiker liebte und schätzte. Er war immer so großzügig. Er wusste, wie schwer das war. Wir liebten unser Leben im West Village und unsere Freunde, und alles in allem taten wir das Beste, was wir tun konnten.


Wie viele Paare haben wir uns Strategien und manchmal auch Kompromisse ausgedacht, die es uns ermöglichten, Teil eines Paares zu sein. Manchmal haben wir etwas mehr verloren, als wir geben konnten, oder wir haben zu viel aufgegeben, oder wir fühlten uns im Stich gelassen. Manchmal wurden wir richtig wütend. Aber selbst wenn ich wütend war, war mir nie langweilig. Wir haben gelernt, einander zu verzeihen. Und irgendwie haben wir 21 Jahre lang unsere Gedanken und Herzen miteinander verwoben.


Es war im Frühjahr 2008, als ich eine Straße in Kalifornien entlanglief, mich selbst bemitleidete und mit Lou am Handy sprach. "Es gibt so viele Dinge, die ich nie getan habe, die ich aber tun wollte", sagte ich.


"Was zum Beispiel?"


"Du weißt schon, ich habe nie Deutsch gelernt, ich habe nie Physik studiert, ich habe nie geheiratet."


"Warum heiraten wir nicht?", fragte er. "Ich komme dir auf halbem Weg entgegen. Ich werde nach Colorado kommen. Wie wäre es mit morgen?"


"Ähm - denkst du nicht, dass morgen zu früh ist?"


"Nein, finde ich nicht." 


Und so trafen wir uns am nächsten Tag in Boulder, Colorado, und heirateten im Garten eines Freundes an einem Samstag, in unseren alten Samstagskleidern, und als ich direkt nach der Zeremonie einen Auftritt hatte, war das für Lou in Ordnung. (Das Heiraten von Musikern ist in etwa so wie das Heiraten von Anwälten. Wenn man sagt: "Mensch, ich muss heute Nacht bis drei Uhr im Studio arbeiten" - oder alle Pläne absagen, um den Fall zu Ende zu bringen -, weiß man ziemlich genau, was das bedeutet, und man stößt nicht unbedingt an die Decke.)


Ich denke, es gibt viele Möglichkeiten, zu heiraten. Manche Leute heiraten jemanden, den sie kaum kennen - das kann auch gut gehen. Wenn man seinen langjährigen besten Freund heiratet, sollte es einen anderen Namen dafür geben. Aber was mich beim Heiraten überrascht hat, war die Art und Weise, wie es die Zeit verändert hat. Und auch die Art und Weise, wie sie eine Zärtlichkeit hinzufügte, die irgendwie völlig neu war. Um den großen Willie Nelson zu paraphrasieren: "Neunzig Prozent der Menschen auf der Welt landen bei der falschen Person. Und das ist es, was die Jukebox zum Drehen bringt." Lous Jukebox drehte sich für die Liebe und auch für viele andere Dinge - Schönheit, Schmerz, Geschichte, Mut, Geheimnisse.


Lou war in den letzten Jahren krank, zunächst durch die Behandlung mit Interferon, einer abscheulichen, aber manchmal wirksamen Injektionsserie zur Behandlung von Hepatitis C, die viele unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringt. Dann erkrankte er an Leberkrebs, zu dem noch eine fortschreitende Diabetes hinzukam. Wir wurden gut mit Krankenhäusern vertraut. Er lernte alles über die Krankheiten und die Behandlungen. Er machte weiterhin jeden Tag zwei Stunden Tai Chi, dazu kamen Fotografie, Bücher, Aufnahmen, seine Radiosendung mit Hal Willner und viele andere Projekte. Er liebte seine Freunde und rief sie an, schrieb ihnen SMS und schickte ihnen E-Mails, wenn er nicht bei ihnen sein konnte. Wir versuchten, die Dinge zu verstehen und anzuwenden, die unser Lehrer Mingyur Rinpoche sagte - vor allem so schwierige wie: "Du musst versuchen, die Fähigkeit zu meistern, traurig zu sein, ohne tatsächlich traurig zu sein."


Im letzten Frühjahr erhielt er in letzter Minute eine Lebertransplantation, die perfekt zu funktionieren schien, und er erlangte fast augenblicklich seine Gesundheit und Energie zurück. Dann begann auch sie zu versagen, und es gab keinen Ausweg mehr. Aber als der Arzt sagte: "Das war's. Wir haben keine Optionen mehr", hörte Lou nur "Optionen" - er gab nicht auf, bis zur letzten halben Stunde seines Lebens, als er es plötzlich akzeptierte - ganz plötzlich und vollständig. Wir waren zu Hause - ich hatte ihn ein paar Tage zuvor aus dem Krankenhaus geholt - und obwohl er extrem schwach war, bestand er darauf, in das helle Morgenlicht hinauszugehen.


Als Meditierende hatten wir uns darauf vorbereitet - wie man die Energie aus dem Bauch nach oben ins Herz und durch den Kopf nach draußen bringt. Ich habe noch nie einen so erstaunten Gesichtsausdruck gesehen wie den von Lou, als er starb. Seine Hände machten die wasserfließende 21er-Form des Tai Chi. Seine Augen waren weit geöffnet. Ich hielt den Menschen, den ich am meisten auf der Welt liebte, in meinen Armen und sprach mit ihm, als er starb. Sein Herz blieb stehen. Er hatte keine Angst. Ich durfte mit ihm bis zum Ende der Welt gehen. Das Leben - so schön, schmerzhaft und schillernd - kann nicht besser sein als das. Und der Tod? Ich glaube, dass der Zweck des Todes die Befreiung der Liebe ist.


Im Moment habe ich nur das größte Glück, und ich bin so stolz auf die Art und Weise, wie er gelebt hat und gestorben ist, auf seine unglaubliche Kraft und Anmut.


Ich bin sicher, dass er in meinen Träumen zu mir kommen wird und wieder lebendig zu sein scheint. Und plötzlich stehe ich hier allein, fassungslos und dankbar. Wie seltsam, aufregend und wunderbar, dass wir uns gegenseitig so sehr verändern können, uns so sehr lieben können durch unsere Worte und Musik und unser wirkliches Leben.


Diese Geschichte stammt aus der Ausgabe des Rolling Stone vom 21. November 2013. 

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

01.11.2021

Der Schein trügt



Der Maler Paul Klee soll mal zu seinen Studenten gesagt haben: „Nicht nach der Natur sollt ihr arbeiten, sondern wie die Natur.“

Wie arbeitet die Natur? Ich denke, der wichtigste Unterschied zum vom Menschen Geschaffenen besteht darin, dass die Natur immer von innen heraus schafft. Alles wächst und entsteht von innen nach außen.

Du könntest ein Vermögen machen, wenn es dir gelingt, ein drei mal drei Zentimeter großes Objekt einzupflanzen, zu wässern und nach einem Jahr steht dort ein Einfamilienhaus.

So aber arbeitet die Natur. Sie entwickelt sich. Im Samen ist das Potential der Blume, des Baums, des Lebens enthalten. Dieses Potential entfaltet sich und pflanzt sich fort. So arbeitet die Natur. Sie schafft es aus sich, von selbst. Das sagt der chinesische Begriff Ziran 自然: Von selbst, aus sich heraus, natürlich. So sollen wir leben. Das ist das daoistische Ideal.

In Wudangshan gibt es ein Tal, Xiaoyao Gu 逍遥谷. Xiaoyao bedeutet „sorglos“ und so nennen wir es das Tal des sorglosen Lebens. Die Sorglosigkeit ist ebenfalls Ziran, natürlich, denn die Natur macht sich keinen Sorgen. Unsere Sorgen kommen aus der Beschaffenheit des dualistischen Denkens. Es eröffnet uns eine andere Perspektive auf die Dinge, anders, als sie gerade sind. Das ist sicherlich in manchen Situationen hilfreich und hat die Entwicklung des Homo sapiens ermöglicht. Wenn wir uns sorgen, dann blicken wir dabei in die Zukunft. Denn auch das ist uns möglich. Wir können an das Morgen, an das Übermorgen denken. Wir können an das Leben unserer Kinder und Enkel denken und uns Sorgen machen, ob sie ein gutes Leben haben werden. Wir beginnen, vorzusorgen.

Wir wissen, dass auch Tiere vorsorgen, Nahrung hamstern für den Winter. Aber wir wissen nicht, ob sie sich Gedanken machen, wie wir, oder ob sie instinktiv handeln. Ob sie es einfach tun, aus sich heraus. Wie alles andere scheinbar auch von selbst geschieht.

Der Planet, auf dem wir leben ist ca. 4,6 Millarden Jahre alt.

Die ersten Formen der Humanoiden tauchten vor ungefähr 2 Millionen Jahren auf, unsere Art, der Homo sapiens vor ca 1 Million Jahren. Was wir Kultur nennen, sesshaft werden, Ackerbau, Vorratswirtschaft, entwickelte sich vor frühestens 16.000 Jahren.

Mit großen Zahlen tun wir uns schwer. Um sich eine bessere Vorstellung machen zu können, hat Wolfgang Beyer eine Webseite programmiert, auf der der Wandel, den die Erde durchlaufen hat, auf ein Jahr zusammengefasst wurden. Also die Erde ist entstanden am 1. Januar um 00:00 Uhr und wir befinden uns jetzt am 31. Dezember 24:00 Uhr. In der letzten Minute vor Mitternacht beginnt die eigentliche Kulturgeschichte der Menschheit. Genauer nachlesen kannst du es hier

Aber jetzt werden die Zahlen zu klein, um es sich vorzustellen. Eine Minute oder zwei Minuten, das erscheint keinen großen Unterschied zu machen.

Wieviel ist denn eine Million, sagen wir mal, in 50 Euro Scheinen? Sie würden in einen kleinen Koffer für Handgepäck passen. Du brauchst Innenmaß 45 x 30 x 20, das kommt ungefähr hin. Allerdings zu schwer für Handgepäck, nämlich 18,4 kg. Aber das ist für unser Gedankenspiel irrelevant.

Du hast also in deinem kleinen Trolley eine Million in 50 Euro Scheinen. Davon nimmst du jetzt mal einen Schein weg. Das sind deine ersten 50 Lebensjahre. In dem Alter bist du dir ziemlich sicher zu wissen, wie der Hase läuft. Oder du bist dir ziemlich unsicher, ob der Hase wirklich so läuft, wie du bisher geglaubt hast. Das nennt man dann midlife crisis.

Dieser eine Schein, den du aus dem Koffer genommen hast, der fällt überhaupt nicht auf. Der Koffer scheint noch genauso voll. Dann nehmen wir doch mal 300 Scheine weg. Das entstpricht 15.000 Jahren, der Epoche menschlicher Kulturgeschichte und ist ein Stapel von 3 cm Dicke. Auch nicht besonders viel.

Was ich dir damit zeigen will; es lohnt sich nicht, sich Sorgen zu machen. Nicht, weil du eine Million im Koffer hast. Die haben wir uns nur vorgestellt. Weil du eigentlich mit leeren Händen gekommen bist und weil du mit leeren Händen wieder gehen wirst. Weil du nur einen kleinen Augenblick hier sein wirst und dabei das Glück hast, das Leben zu erleben. In einem grenzenlosen Kosmos auf einem Planeten mit genau dem richtigen Abstand zu seinem Zentralgestirn und einem Mond, der die Erdachse schräg hält und so verschiedene Klimazonen entstehen, die eine große Variation von Lebensformen ermöglicht. Weil du Sinne und ein Nervensystem hast, mit dem du das alles wahrnehmen und sogar reflektieren kannst. Und weil du die Freiheit der Entscheidung hast, dies alles gut oder beschissen zu finden. Diese Freiheit beschert uns leider auch die Qual des Zweifelns, was uns weit vom sorglosen Leben entfernt.
Mein Tipp lautet, entscheide dich für gut, egal wie es dir geht. Es könnte immer noch beschissener gehen.

Da gerade Sonne und Mond erwähnt wurden, und auch, um die Kurve zum eingangs erwähnten Klee Zitat zu bekommen, schließe ich meine Betrachtungen mit einer Zeile aus William Blakes Gedicht Auguries of Innocence:

„Wenn Sonne und Mond jemals zweifeln sollten, 
würden sie sofort erlöschen.“ 

24.09.2021

Von Mäusen und Menschen


 Das "Universum 25"-Experiment ist eines der erschreckendsten Experimente in der Geschichte der Wissenschaft, bei dem Wissenschaftler anhand des Verhaltens einer Mäusekolonie versuchen, menschliche Gesellschaften zu erklären. Die Idee zu "Universe 25" stammt von dem amerikanischen Wissenschaftler John Calhoun, der eine "ideale Welt" schuf, in der Hunderte von Mäusen leben und sich fortpflanzen sollten. Genauer gesagt, baute Calhoun das so genannte "Mäuseparadies", einen speziell entworfenen Raum, in dem die Nagetiere reichlich Nahrung und Wasser sowie einen großen Lebensraum hatten. Zu Beginn setzte er vier Mäusepaare ein, die sich in kurzer Zeit zu vermehren begannen, so dass ihre Population schnell wuchs. Nach 315 Tagen begann ihre Vermehrung jedoch deutlich abzunehmen. Als die Zahl der Nagetiere 600 erreichte, bildete sich eine Hierarchie zwischen ihnen heraus, und dann erschienen die so genannten "Elenden". Die größeren Nagetiere begannen, die Gruppe anzugreifen, was dazu führte, dass viele Männchen psychisch zusammenbrachen". Infolgedessen schützten sich die Weibchen nicht und wurden ihrerseits aggressiv gegenüber ihren Jungen. Im Laufe der Zeit zeigten die Weibchen immer mehr aggressives Verhalten, Isolationselemente und mangelnde Fortpflanzungsbereitschaft. Die Geburtenrate sank und gleichzeitig stieg die Sterblichkeit bei den jüngeren Nagetieren. Dann tauchte eine neue Klasse von männlichen Nagetieren auf, die so genannten "schönen Mäuse". Sie weigerten sich, sich mit den Weibchen zu paaren oder um ihren Platz zu "kämpfen". Alles, was sie interessierte, waren Nahrung und Schlaf. Irgendwann bildeten die "schönen Männchen" und die "isolierten Weibchen" die Mehrheit der Population. Nach Calhoun bestand die Sterbephase aus zwei Phasen: dem "ersten Tod" und dem "zweiten Tod". Die erste Phase war gekennzeichnet durch den Verlust des Lebenssinns, der über die bloße Existenz hinausging - kein Wunsch, sich zu paaren, Junge aufzuziehen oder eine Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen. Im Laufe der Zeit erreichte die Jungtiersterblichkeit 100 % und die Fortpflanzung Null. Unter den gefährdeten Mäusen wurde Homosexualität beobachtet und gleichzeitig nahm der Kannibalismus zu, obwohl es reichlich Nahrung gab. Zwei Jahre nach Beginn des Experiments wurde das letzte Baby der Kolonie geboren. Bis 1973 hatte er die letzte Maus im Universum 25 getötet. John Calhoun wiederholte das gleiche Experiment noch 25 Mal, und jedes Mal war das Ergebnis dasselbe.

Calhouns wissenschaftliche Arbeit wurde als Modell für die Deutung des sozialen Zusammenbruchs herangezogen, und seine Forschungen bilden einen Schwerpunkt für das Studium der Stadtsoziologie. 


Wir erleben derzeit direkte Parallelen in der heutigen Gesellschaft: schwache, verweiblichte Männer mit wenig bis gar keinen Fähigkeiten und ohne Schutzinstinkt und übermäßig erregte und aggressive Frauen ohne Mutterinstinkt.


Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

20.09.2021

Klimaneutral nach Teneriffa - zu Fuß und schwimmen



Bei einem der letzten Seminare tauchte die Frage auf, ob man auch mit dem Schiff nach Teneriffa kommen kann, statt zu fliegen. Bei der Frage geht es natürlich vorwiegend um den CO2 Haushalt, den Fußabdruck und die Hoffnung, damit umweltbewusster zu reisen. Aber das, soviel sei schon gesagt, würde nur mit einem Segelschiff gelingen. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad nach Cadiz oder an einen anderen Küstenort, von dem man einen Segler bekommt zu den Kanaren. 
Ich habe deshalb ein wenig recherchiert. 
Auf meiner Suche bin ich nach einigen sehr trockenen Tabellen auf diese Seite gestoßen, die eine Reise nach Sardinien mit den verschiedenen Möglichkeiten vergleicht.

Da es bei meiner Recherche vorwiegend um die Frage nach der Schiffspassage ging, ist mir die Fähre nach Sardinien im Vergleich zu einer Überfahrt nach Teneriffa nicht aussagekräftig genug. Aber über die Sardinienseite bin ich zu myclimate.org gekommen.

Dort habe ich diese Berechnungen erstellen können:

Ihr Flug von Frankfurt (DE), FRA nach Tenerife Sur (ES), TFS , Einfach, Economy Class, ca. 3 200 km, 1 Reisende/r  CO2-Menge: 0,554 t

Mit PKW ab Frankfurt und Fähre ab Cadiz nach Santa Cruz de Tenerife
Ihre Strecke über 2 500 km, Treibstoff: Benzin, Verbrauch ca. 8,4 l
CO2-Menge: 0,856 t

Fähre, 1 Passagier, 2 Tage
CO2-Menge: 1,0 t

Die CO2-Menge pro Person beim PKW ändert sich natürlich, wenn mehrere Personen fahren, aber kann auch dann nicht gegen die Belastung der Fähre, die sich verdoppelt und fast doppelt höher liegt als der gesamte Flug. Wobei ich davon ausgegangen bin, dass das Auto nicht mit auf die Fähre genommen wird, dessen Transport ja auch mitgerechnet werden müsste.

Selbst wenn man zu Fuß bis Cadiz laufen würde, wäre die umzurechnenden Emission pro Person auf der Fähre höher, als der Flug ab Frankfurt.

Auf der Seite von myclimate.org gibt es keine Fähre, sondern nur Kreuzfahrtschiffe. Nach anderen Quellen soll die Emission von Fähren weitaus niedriger liegen, als die eines Kreuzfahrtschiffs. Dabei spielt es aber auch eine entscheidende Rolle, wie alt die Fähre ist und ganz wichtig natürlich die Frage, ob man den PKW mitnimmt oder nicht.

Nicht so leicht zu berechnen ist eine Fahrt mit Zug und Schiff, weshalb ich das hier nicht berücksichtigt habe.

01.09.2021

Über antike Pferdeärsche und die US Space Shuttle


Die US-Standardspurweite für Eisenbahnen (Abstand zwischen den Schienen) beträgt 4 Fuß und 8,5 Zoll. Das ist eine äußerst ungerade Zahl.

Warum wurde diese Spurweite verwendet?

Nun, weil sie in England so gebaut wurden und englische Ingenieure die ersten US-Eisenbahnstrecken entworfen haben.

Warum haben die Engländer sie so gebaut?

Weil die ersten Eisenbahnlinien von denselben Leuten gebaut wurden, die auch die Straßenbahnen gebaut haben, und sie haben diese Spurweite verwendet.

Warum haben "sie" dann diese Spurweite verwendet?

Weil die Leute, die die Straßenbahnen bauten, die gleichen Vorrichtungen und Werkzeuge benutzten, die sie auch für den Bau von Wagen verwendet hatten, die den gleichen Radabstand hatten.

Warum hatten die Wagen diesen besonderen Radabstand?

Nun, wenn man versucht hätte, einen anderen Radabstand zu verwenden, wären die Wagenräder auf einigen der alten Fernverkehrsstraßen in England häufiger gebrochen. Das ist der Abstand der Spurrillen.

Wer hat also diese alten Straßen mit Spurrillen gebaut?

Das kaiserliche Rom baute die ersten Fernstraßen in Europa (einschließlich England) für seine Legionen. Diese Straßen werden seither benutzt.

Und was ist mit den Spurrillen auf den Straßen?

Römische Kriegswagen bildeten die ersten Spurrillen, denen sich alle anderen anpassen mussten, da sie sonst Gefahr liefen, ihre Wagenräder zu zerstören. Da die Streitwagen für das kaiserliche Rom gebaut wurden, waren sie alle gleich, was den Radabstand betraf. Daher ist die Standardspurweite der Vereinigten Staaten von 4 Fuß und 8,5 Zoll von den ursprünglichen Spezifikationen für einen kaiserlich-römischen Kriegswagen abgeleitet. Bürokratien leben ewig.

Wenn Ihnen also das nächste Mal eine Spezifikation/ein Verfahren/ein Prozess vorgelegt wird und Sie sich fragen: "Welcher Idiot hat sich das ausgedacht?", dann könnten Sie genau richtig liegen. Die Streitwagen der kaiserlich-römischen Armee waren gerade breit genug, um die Hinterteile von zwei Schlachtrössern aufnehmen zu können. (Zwei Pferdeärsche.)

Und nun die Wendung der Geschichte:

Wenn Sie ein Space Shuttle auf seiner Startrampe sitzen sehen, sind an den Seiten des Haupttanks zwei große Booster-Raketen befestigt. Das sind die Feststoffraketen-Booster, kurz SRBs. Die SRBs werden von Thiokol in deren Fabrik in Utah hergestellt. Die Ingenieure, die die SRBs entworfen haben, hätten sie lieber etwas dicker gemacht, aber die SRBs mussten mit dem Zug vom Werk zum Startplatz transportiert werden. Die Bahnstrecke vom Werk führt zufällig durch einen Tunnel in den Bergen, und die SRBs mussten durch diesen Tunnel passen. Der Tunnel ist etwas breiter als die Bahnstrecke, und die Bahnstrecke ist, wie Sie jetzt wissen, ungefähr so breit wie zwei Pferdehintern.

Ein wichtiges Konstruktionsmerkmal des Space Shuttle, des wohl fortschrittlichsten Transportsystems der Welt, wurde also vor über zweitausend Jahren durch die Breite eines Pferdehinterns bestimmt. Und Sie dachten, ein Pferdearsch sei nicht wichtig? Antike Pferdeärsche steuern fast alles...... 
Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

31.08.2021

Die Welt ist alles, was die Fälle sind.


Neues Physikexperiment zeigt, dass es keine objektive Realität gibt

Jemand (Ludwig Wittgenstein) hat einmal gesagt: "Die Welt ist alles, was der Fall ist." 

Aber ist sie das auch?

Forscher haben in einem lang erwarteten Experiment verschiedene Realitäten geschaffen, die unvereinbar sind, und damit bewiesen, dass objektive Tatsachen Eigenschaften aufweisen können, die nicht zusammenpassen, wie eine kürzlich auf einem Preprint-Server veröffentlichte Studie zeigt.

Klingt verwirrend? Mit dieser Meinung sind Sie nicht allein, denn es geht hier um ziemlich komplizierte Physik. Aber kurz gesagt, die Erkenntnis ist die folgende: Die Realität ist mit sich selbst uneins.

Zwei Fakten, keine letzte Realität

Der Nobelpreisträger Eugene Wigner beschrieb 1961 ein Gedankenexperiment, das ein ungewöhnliches Paradoxon der Quantenmechanik verdeutlichte. Insbesondere zeigt es die Seltsamkeit des Universums, wenn zwei Beobachter, wie Wigner und sein Freund, zwei verschiedene Realitäten beobachten. Seit diesem Gedankenexperiment haben Physiker das Wesen der Messung erforscht und sich mit der bizarren Frage beschäftigt, ob es objektive Fakten gibt oder nicht. Dies ist ein ziemlich entscheidendes Merkmal der Wissenschaft, da empirische Untersuchungen dazu dienen, objektive Fakten zu ermitteln.
Aber wenn es keine Fakten gibt, wie kann sich die Wissenschaft dann überhaupt anmaßen, eine reale Welt zu beschreiben?

Jahrzehntelang (und philosophisch gesehen noch viel länger) diente diese Frage zur Unterhaltung von Gästen beim Abendessen, aber Wigners Gedankenexperiment war nicht wirklich mehr als das. Bis jetzt.

Im Jahr 2020 stellten Physiker fest, dass die jüngsten Fortschritte in der Quantentechnologie es möglich gemacht haben, Wigners Freund-Test in einem realen Experiment durchzuführen. Im Wesentlichen können wir verschiedene Realitäten schaffen und sie in einem Labor vergleichen, um zu sehen, ob sie in einem System in Einklang gebracht werden oder zusammenpassen. Der Forscher Massimiliano Proietti von der Heriot-Watt University in Edinburgh hat zusammen mit einer Handvoll anderer Forscher dieses lang erwartete Experiment zum ersten Mal durchgeführt: Sie schufen unterschiedliche Realitäten, verglichen sie und stellten fest, dass sie in der Tat unvereinbar sind. (Übersetzt mit deepl.com)

weiter auf Englisch:
 https://interestingengineering.com/new-physics-experiment-indicates-no-objective-reality?fbclid=IwAR26FaZyOJgzsjUhFTvQ1aCT1Xqv401SrqLlmVP4WYXrm5YC6McmPhQ3BKA


28.08.2021

Langfristige Tai-Chi-Erfahrung fördert die emotionale Stabilität und verlangsamt die Atrophie der grauen Substanz bei älteren Menschen.


Nachteilige strukturelle Veränderungen des Gehirns, insbesondere die Atrophie der grauen Substanz, sind im Alter unvermeidlich. Glücklicherweise ist das menschliche Gehirn während seines gesamten Lebens plastisch. In der aktuellen Querschnittsstudie sollte untersucht werden, ob langfristiges Tai-Chi-Üben die Atrophie der grauen Substanz verlangsamen kann, und es sollten die möglichen Zusammenhänge zwischen dem Volumen der grauen Substanz (GMV), langfristiger Tai-Chi-Erfahrung und emotionaler Stabilität bei einer sequenziellen Risikoübernahme-Aufgabe mit Hilfe der voxelbasierten Morphometrie untersucht werden. An der Studie nahmen ältere Menschen mit langjähriger Tai-Chi-Erfahrung und Kontrollpersonen teil, die hinsichtlich Alter, Geschlecht und körperlichem Aktivitätsniveau der Tai-Chi-Gruppe entsprachen. Für jeden Teilnehmer wurde eine T1-gewichtete multiplanare Rekonstruktionssequenz erstellt. Verhaltensmäßig zeigte die Tai-Chi-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe ein höheres Meditationsniveau, eine stärkere emotionale Stabilität und eine geringere Tendenz zur Risikobereitschaft bei der sequenziellen Risikobereitschaft. Außerdem zeigten die Ergebnisse, dass die GMV des Thalamus und des Hippocampus in der Tai-Chi-Gruppe größer war als in der Kontrollgruppe. Insbesondere war die GMV des Thalamus positiv mit dem Meditationsniveau und der emotionalen Stabilität korreliert. Die aktuelle Studie deutet darauf hin, dass langfristiges Tai-Chi-Üben die Atrophie der grauen Substanz verlangsamt, die emotionale Stabilität verbessert und ein erfolgreiches Altern für ältere Menschen ermöglicht.

Komplette Studie auf Englisch - https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2019.00091/full

Was wichtig ist und was unwichtig



Das Wasser ist von Natur aus klar. Wenn es durch Schmutz getrübt wird, so kann diese Klarheit nicht in Erscheinung treten. Der Mensch ist von Natur aus zu langem Leben bestimmt. Wenn er durch äußere Dinge getrübt wird, so kann dieses lange Leben nicht in Erscheinung treten. Die Außendinge sind dazu da, dass man sie benützt, um durch sie das Leben zu gewinnen, nicht, dass man das Leben benützt, um die Dinge zu gewinnen. Es gibt betörte Menschen, die ihr Leben darangeben, um äußere Dinge zu gewinnen. Sie zeigen damit, dass sie wahren Wert nicht schätzen. Wer den wahren Wert nicht kennt, hält das Wichtige für unwichtig und das Unwichtige für wichtig.

Lü Bu Wei, Chunqiu, Frühling und Herbst, Buch 3 Kapitel 1, Der letzte Frühlingsmonat

12.08.2021

Eine Sekunde vor Mitternacht



Um eine Vorstellung der relativen zeitlichen Ordnung und Größe geologischer Epochen zu bekommen, wollen wir (nach einem Vorschlag von Prof. Heinrich Siedentopf) das Alter der Erde - rund 5 Milliarden Jahre - auf den Zeitraum eines Jahres abbilden.Am 1. Januar um 0:00 Uhr entsteht unser Planet und wir befinden uns jetzt am 31. Dezember 24:00 Uhr

Mitte Mai entstehen die ersten Spuren von Leben in Form von einzelligen Blaualgen und Bakterien.
Aber erst Ende August gibt es genügend Sauerstoff für die einfachsten Tiere.

Am 6. Dezember kriechen die ersten Tiere ans Land.

Am 16. Dezember zerreisst es den Urkontinent und er zerfällt in 4 große, auseinander driftende Platten. In der Zeit vom 19. bis 27. Dezember beherrschen die Saurier diesen Planeten. Alle anderen Säugetiere über 2 kg Körpergewicht sind verschwunden, bis sie selber, vermutlich durch einen größeren Meteoriteneinschlag, ausgerottet werden. Sie herrschten 9 Tage in diesem Modell.

Nach dem Ende der Saurier, am Nachmittag des 27. Dezember, beginnt der Aufstieg der Säugetiere.

Erst am Abend des 31. Dezember (etwa zu Beginn der Tagesschau im Fernsehen) finden sich erste Spuren früher Menschentypen in Ostafrika. Gegen 22 Uhr beginnt in Europa, Asien und Nordamerika eine Periode großer Vereisung mit wärmeren Zwischenzeiten. Um 23 Uhr 50, in einer solchen Zwischen-Warmzeit, ist die Höhle im Neandertal bei Düsseldorf bewohnt. Um 23 Uhr 57 beginnt der vorläufig letzte große Vorstoß des Eises, in Deutschland werden Teile Schleswig-Holsteins, Pommern und Ostpreußen unter Gletschern begraben. Um 23 Uhr 58 entstehen die Höhlenmalereien in Lascaux und in Altamira. Um 23 Uhr 59 tauen die Gletscher in der norddeutschen Tiefebene und in Skandinavien.

In diesem Augenblick, mit der letzten Minute unseres Modelljahres, beginnt die eigentliche Kulturgeschichte der Menschheit.

Um 23 Uhr 59 und 28 Sekunden wird in Ägypten die Cheopspyramide errichtet. 18 Sekunden vor Mitternacht werden die Bücher Moses, Homers Ilias und Odyssee geschrieben. 13 Sekunden vor Mitternacht wird Christus geboren und gekreuzigt. 4 Sekunden vor Mitternacht wird die Buchdruckerkunst erfunden, 3 Sekunden vor Mitternacht sucht Kolumbus den Seeweg nach Indien und stößt auf Amerika. In der vorletzten Sekunde vor Mitternacht leben Napoleon, Goethe und Beethoven.

In der letzten Sekunde des Jahres versechsfacht sich die Erdbevölkerung, verbraucht einen großen Teil ihrer Kohle-, Öl- und Erzvorräte und bringt sich in Gefahr, ihre Umwelt zu vergiften und die Erde unbewohnbar zu machen.*
_______________________

Ein Menschenleben von 80 Jahren dauert in diesem Modell eine halbe Sekunde. Aber spätestens nach der Hälfte dieser Zeit sind wir davon überzeugt zu verstehen, wie hier der Hase läuft. Anstatt diesen kurzen Moment des Daseins zu genießen, hauen wir uns für ein paar Cent gegenseitig übers Ohr, schlagen uns die Schädel ein und vergiften die Atmosphäre - physisch und mental.


*Quelle: https://wolfgangbeyer.de/erdgeschichte/gesamtgeschichte.htm


22.07.2021

Entstehung und Entwicklung der Qigong Therapie in den 1950er Jahren in der Volksrepublik China

Utiraruto Otehode and Benjamin Penny, übersetzt von Yürgen Oster.
Quelle:http://www.eastasianhistory.org/40/Otehode-and-Penny

Qigong-Therapie" (qigong liaofa 氣功療法), ein in den 1950er Jahren geprägter Oberbegriff für die beiden wichtigsten Praktiken dieser Zeit - Neiyanggong 內養功 und Qiangzhuanggong 強壯功 - bezieht sich auf die Nutzung von Körper, Atem und Geist zur Behandlung von Krankheiten, insbesondere Neurasthenie, Magengeschwüren und Tuberkulose. 1] Neiyanggong und Qiangzhuanggong wurden in den frühen 1950er Jahren klinisch erprobt und in der Folge wurde die Qigong-Therapie vom chinesischen Gesundheitsministerium als anerkannte medizinische Behandlung zugelassen. Im Laufe der Zeit wurden mit Unterstützung der zentralen und lokalen Regierungen eine Reihe von medizinischen Einrichtungen gegründet, die "Qigong-Therapie-Sanatorien" (qigong liaoyangsuo 氣功療養所) genannt wurden.[2] Die Qigong-Therapie absorbierte später eine Reihe von anderen Praktiken aus der chinesischen Medizin, den Kampfkünsten, dem Buddhismus und dem Daoismus, aber alle diese, einschließlich Neiyanggong, wurden modifiziert und erweitert, als sie in diese neu geschaffene Form der Therapie integriert wurden. Begriffe und Konzepte, die als "feudal", "abergläubisch" oder "religiös" galten, wurden aufgegeben und die "wissenschaftliche" medizinische Theorie trat an ihre Stelle. Diese überarbeiteten traditionellen Praktiken wurden in breitere nationale Narrative dieser Zeit integriert, mit Slogans wie "Entwickelt das medizinische Erbe des Mutterlandes" (Fayang zuguo yixue yichan 發揚祖國醫學遺產) und "Erlaubt die Entwicklung und Förderung von Qigong, um dem Aufbau des Sozialismus zu dienen" (Rang qigong fayang guangda, wei shehuizhuyi jianshe fuwu 讓氣功發揚光大, 為社會主義建設服務).


Obwohl die Qigong-Therapie auf langjährigen therapeutischen Praktiken basierte, stellte sie einen Bruch mit der Tradition dar und wurde Teil der "neuen Medizin" der 1950er Jahre. Liu Guizhen 劉貴珍 (1902-83), ein Pionier der Qigong-Therapie, und Chen Yingning 陳攖寧 (1880-1969), ein bekannter daoistischer Gelehrter, behaupteten beide ihre Neuheit. 3] 1959 betrachteten Huang Jiasi 黄家駟 (1906-84), Präsident der Chinesischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (Zhongguo yixue kexueyuan 中國醫學科學院), und Qian Xinzhong 錢信忠 (1911-2009), stellvertretender Gesundheitsminister, die Schaffung der Qigong-Therapie als eine der größten Errungenschaften der chinesischen Medizin in der Volksrepublik China.[4] Somit war die Qigong-Therapie nicht nur eine medizinische Behandlung, sondern auch ein Symbol der Medizin und Kultur des neuen China. 

Die Entstehung der Qigong-Therapie

Auf der ersten Nationalen Gesundheitskonferenz (Diyijie quanguo weisheng huiyi 第一届全国卫生会议) im Jahr 1950 schlug die neue Regierung vor, dass die Prinzipien des "Vereinigens" (tuanjie 團結) und "Reformierens" (gaizao 改造) die zukünftige Entwicklung der Beziehung zwischen westlicher und chinesischer Medizin leiten sollten. In der Realität jedoch blieben Ärzte der westlichen Medizin in den nationalen Gesundheitseinrichtungen dominant, und es gab viele Fälle, in denen Ärzte der chinesischen Medizin in den frühen 1950er Jahren ungerecht behandelt wurden.[6] Nach 1953 jedoch wurden die Bedingungen für Ärzte der westlichen Medizin härter, da China sich als sozialistisches Land etablieren wollte, mit dem Imperativ, "von der Sowjetunion zu lernen" (xuexi Sulian 學習蘇聯). In diesen Jahren wurden diese Ärzte als Anhänger des "Imperialismus", "Kapitalismus" und "Idealismus" abgestempelt und einer ideologischen Umerziehung unterzogen[7].

Mit der Erosion der Dominanz der westlichen Medizin verbesserte sich das Umfeld für die chinesische Medizin. 1954 lobten Mao Zedong und andere nationale Führer den Beitrag der traditionellen Medizin zur Volksgesundheit und ordneten die Entwicklung des "medizinischen Erbes des Mutterlandes" (Zuguo yixue yichan 祖國醫學遺產) an, mit dem Ziel, die traditionelle Medizin, geheime Heilmittel (mifang 秘方) und volkstümliche Körperpflegepraktiken zu integrieren. 8] Dies wurde in Kampagnen mit Slogans wie "Studiere und entwickle das medizinische Erbe des Mutterlandes" (jicheng yu fazhan zuguo yixue yichan 繼承與發展祖國醫學遺產) und "Die westliche Medizin sollte von der chinesischen Medizin lernen" (xiyi xuexi zhongyi 西醫學習中醫) umgesetzt, die von lokalen Gesundheitsverwaltungen und medizinischen Einrichtungen organisiert wurden. Dies führte unter anderem zu einem höheren Status und einer besseren Bezahlung von Ärzten der chinesischen Medizin und ihrer vermehrten Beschäftigung in Krankenhäusern, der erweiterten Verwendung und Entwicklung von Kräutermedizin, der Dokumentation traditioneller Heilmittel und der Gründung vieler Forschungsinstitute in verwandten Bereichen.

Da das medizinische Erbe des Mutterlandes einen so hohen Stellenwert erlangte, wurden verschiedene im Volk verbreitete Praktiken der Körperpflege formalisiert und zu medizinischen Behandlungen umgedeutet. Günstige Neubewertungen der traditionellen Medizin waren weit verbreitet: Lu Zhijun 鲁之俊 (1911-99), Chef der Chinesischen Akademie für Traditionelle Chinesische Medizin (Zhongguo zhongyi kexueyuan 中國中醫科學院), beschrieb beispielsweise ihren Beitrag zur medizinischen Wissenschaft so: "Unser Land war das erste, das viele Entdeckungen in der Medizin gemacht hat ... unser Land war auch das erste, das Medikamente synthetisiert hat (das heißt "das Elixier verfeinert" liandan 煉丹)."[9]

Darüber hinaus wurden populäre Körperkultivierungstechniken - sowohl weltliche Praktiken als auch solche aus dem Daoismus und Buddhismus - in diese neue Nationalmedizin integriert. Die Person, die für deren Übernahme verantwortlich war, war Liu Guizhen.

Liu, ein lokaler Regierungsbeamter im Kreis Nangong 南宮 in der Provinz Hebei, spielte eine wichtige Rolle bei der Einführung der beim einfachen Volk beliebten Körperkultivierungspraktiken in die staatlichen Organisationen. Im Jahr 1948 wurden bei ihm nach seinen Angaben Magengeschwüre, Lungentuberkulose und Neurasthenie diagnostiziert, aber trotz verschiedener Behandlungen wurde er nicht gesund. Als er in der Hoffnung auf Genesung in seine ländliche Heimat zurückkehrte, hörte er zufällig von einem alten Bauern von einer Körperkultivierungspraxis namens Neiyanggong. Nach nur drei Monaten Praxis behauptete er, er sei vollständig geheilt. Im folgenden Jahr wurde er dem örtlichen Kader-Sanatorium als Sekretär zugeteilt und begann, die Patienten in Neiyanggong zu unterrichten. Deren schnelle Genesungen bestätigten die hohe therapeutische Wirksamkeit und erregten die Aufmerksamkeit anderer Beamter und der örtlichen Gesundheitsverwaltung.[10]

Mit der Änderung der medizinischen Politik im Jahr 1953 erregte Lius Praxis des Neiyanggong die Aufmerksamkeit des Gesundheitsministeriums der Provinz Hebei (Hebeisheng weishengting 河北省衛生廳) und wurde Teil des medizinischen Erbes des Mutterlandes. Mit Unterstützung des Ministeriums und der Stadtregierung von Tangshan mietete Liu Räume in einem städtischen Arbeitersanatorium und gründete 1954 das Tangshan Qigong Sanitorium (Tangshanshi qigong liaoyangsuo 唐山市氣功療法所), die erste Qigong-Organisation in China. Dieses Sanatorium war nicht nur eine Klinik für die Durchführung von Qigong-Therapien, sondern auch ein wichtiger Ort für die Vermittlung von Wissen über Qigong. Seine Aktivitäten weiteten sich aus, als die Patienten aus Peking, Tianjin und anderen Großstädten zu kommen begannen und das Spektrum der durch Qigong-Therapie behandelten Krankheiten zunahm. Zweimal im Jahr wurde Liu von der Gesundheitsverwaltung der Stadt nach Peking geschickt, um dem Gesundheitsministerium einen Bericht über das Sanatorium zu geben, um dessen Beitrag zur Entwicklung des medizinischen Erbes des Mutterlandes hervorzuheben.[11]

Das Gesundheitsamt der Stadt Tangshan (Tangshanshi weisheng ju 唐山市衛生局) lud im September 1954 unter der neuen Politik "Westliche Medizin soll von chinesischer Medizin lernen" Ärzte der westlichen Medizin ein, die Qigong-Therapie im Sanatorium zu studieren, und führte im Mai 1955 einen zusätzlichen dreimonatigen Ausbildungskurs für Ärzte aus dieser Tradition durch. Diese Ärzte führten die Qigong-Therapie in ihren eigenen Kliniken ein und bald nutzten medizinische Einrichtungen in ganz China Qigong, darunter das angesehene Sanitorium der Zentralregierung in Haibin (Haibin zhonggong zhongyang zhishu xiuyangsuo 海濱中共中央直屬休養所) und das Sanitorium 124 in Beijing (Beijing yaoersi liaoyangyuan 北京一二四療養院). So wurden das Tangshan Qigong Sanitorium und seine Aktivitäten landesweit bekannt.

Der Ruf der Qigong-Therapie wuchs in den frühen 1950er Jahren, vor allem durch die Bemühungen von Liu und dem Gesundheitsbüro der Stadt Tangshan. Als Lu Zhijun sie im Juli 1955 in seinem Artikel Ruhe xuexi he yanjiu zuguo yixue 如何學習和研究祖國醫學 besprach, erhielt das Tangshan-Sanatorium ein hohes Lob:


"In den letzten sechs Monaten, seit das Zentralkomitee der Partei und die Volksregierung zur Umsetzung der korrekten Politik im Umgang mit der chinesischen Medizin aufgerufen haben, hat das ganze Land einen gewaltigen Aufschwung im Studium dieser Medizin erlebt ... Kürzlich kam die kleine Gruppe des Tangshan-Qigong-Sanitoriums in die Hauptstadt, um über ihre Experimente mit der Qigong-Therapie bei mehr als 70 Patienten mit schwer zu behandelnden, typisch chronischen Krankheiten zu berichten ... Die vorläufigen Ergebnisse sind alle sehr gut."[12]

Lu Zhijun schrieb im September 1955 einen weiteren Artikel mit dem Titel Renzhen xuexi he yanjiu zuguode yixue 認真學習和研究祖國的醫學, in dem er die Tangshan Small Group on Qigong Therapy (Tangshan qigong liaofa xiaozu 唐山氣功療法小組) als Modell für das Studium der chinesischen Medizin in China erwähnte.

"Die Frage, wie wir die chinesische Medizin studieren und erforschen sollen, ist neu... Die Chongqing Small Group on Anal Fistula, die Tangshan Small Group on Qigong und die Shijiazhuang Small Group on Encephalitis Treatment haben in dieser Hinsicht das Modell für uns geschaffen. Wir sollten von ihnen lernen, damit die chinesische Medizin und die westliche Medizin eine echte Zusammenarbeit in der Regierung und in der Ärzteschaft erreichen können."[13]

Im Dezember 1955 erhielt die Tangshan Small Group bei der Gründungsfeier des Forschungsinstituts für Chinesische Medizin (Zhongyi yanjiuyuan 中醫研究院), dem Spitzenforschungsinstitut für traditionelle Medizin, das direkt dem Gesundheitsministerium unterstellt war, eine Auszeichnung (Abbildung 1). In der Auszeichnung wurden die Aktivitäten der Studiengruppe als ein wichtiger Beitrag zur Erforschung des "medizinischen Erbes des Mutterlandes" genannt. An der großen Zeremonie nahmen vierhundert Personen teil, darunter hochrangige Beamte, Intellektuelle, Medizintechniker und Mediziner aus der Sowjetunion und Vietnam sowie aus China.[14]

Der Text lautet:

Verdiensturkunde des Gesundheitsministeriums der Volksrepublik China

Nach Prüfung der Behandlungserfahrungen der Tangshan-Kleingruppe für Qigong-Therapie, die eindeutige Ergebnisse sowohl bei der Sicherung der Gesundheit des Volkes als auch bei der Entwicklung des Erbes der medizinischen Kultur des Mutterlandes erbracht haben, beschließt diese Abteilung zunächst eine Geldprämie von 3.000 Yuan als Anerkennung für die Errungenschaften, die Sie bei der Durchführung Ihrer kollektiven Forschungen erzielt haben, und auch eine besondere Verleihung dieser Verdiensturkunde, die als Ermutigung dienen soll.

Direktor Li Dequan 李德全
19. Dezember 1955


Award given to the Tangshan Small Group on Qigong Therapy. Courtesy of Zhang Tiange 張天戈 


Diese staatliche Anerkennung förderte nicht nur die Forschung über Qigong, sondern auch die Verbreitung des Wissens darüber. Abhandlungen über die Qigong-Therapie wurden regelmäßig in nationalen und lokalen Zeitschriften der traditionellen chinesischen Medizin veröffentlicht, wie Xin zhongyiyao 新中醫藥 und Shanghai zhongyiyao 上海中醫藥 ab 1956. Darüber hinaus organisierten das nationale Gesundheitsministerium und die örtlichen Gesundheitsämter Qigong-Seminare im ganzen Land. Auf diese Weise wurde die Qigong-Therapie allmählich institutionalisiert.

Die Bezeichnungen "Qigong" und "Qigong-Therapie

Laut Ma Jiren, der 1983 schrieb, war der Begriff "Qigong" kein Wort im chinesischen Standardwortschatz der 1950er Jahre. Er fand sich jedoch in einer Kapitelüberschrift eines Buches mit dem Titel Yuanhe pian 元和篇 aus dem Ende der Qing-Dynastie, nämlich 'Qigong Buji' 氣功補輯. Er stellt fest, dass das Wort "Qigong" vor allem in Kampfkunstkreisen zu finden war, wo es das Äquivalent zu lianqi (練氣, wörtlich "Qi verfeinern") war, aber auch bei Anhängern des Daoismus, wo es für yangqi (養氣,wörtlich "Qi nähren") verwendet wurde. Diese beiden Verwendungen unterschieden sich in ihrer Bedeutung von dem, wie "Qigong" in den 1950er Jahren verwendet wurde. Er zitiert auch den Titel eines Buches aus dem Jahr 1934, in dem der Begriff "Qigong liaofa" verwendet wird, aber Versuche, dieses Werk in chinesischen oder ausländischen Bibliotheken heute zu finden, waren erfolglos.[15]

Der Begriff "Qigong" erhielt eine völlig andere Bedeutung, als die Praktiken der Körperkultivierung in den 1950er Jahren als medizinische Behandlung anerkannt wurden. Als das örtliche Gesundheitsamt in Hebei Anfang jenes Jahrzehnts ein medizinisches Team organisierte, um Neiyanggong - die Praxis, die Liu Guizhen heilte - zu studieren, bestätigten dessen Mitglieder die therapeutische Wirksamkeit der Praxis, lieferten aber unterschiedliche Ansichten darüber, wie sie funktionierte. Einige Ärzte der westlichen Medizin betrachteten es als Diättherapie, weil Neiyanggong eine gesunde Ernährung voraussetzte, während andere es als eine Form der psychologischen Therapie betrachteten. Ärzte der chinesischen Medizin zogen es vor, es naqi daoyin (納氣導引 wörtlich "Qi einnehmen und um den Körper führen") zu nennen, da ein wichtiges Merkmal von Neiyanggong die Atemtechniken waren. Huang Yueting 黃月庭, der Leiter des Teams, schlug jedoch "Qigong" 氣功 vor, da sich Qi in der westlichen Medizin auf Sauerstoff (yangqi 氧 氣) und in der chinesischen Medizin auf "Ur-Qi" (yuanqi 元氣) bezieht. Da er sowohl die westliche als auch die chinesische medizinische Sichtweise widerspiegelte, wurde Huangs Vorschlag vom Direktor des örtlichen Medizinbüros befürwortet.[16] Der Name "Qigong" ist also das Ergebnis eines bewussten Kompromisses zwischen westlicher und chinesischer Medizin.

Die chinesischen Schriftzeichen, mit denen das Wort "Qigong" geschrieben wird, wurden erst 1954 vereinheitlicht. So wurde zum Beispiel auf dem offiziellen Stempel des Tangshan Qigong Sanitoriums 氣工 statt 氣功 verwendet. Als dieses Sanitorium 1956 medizinische Mitarbeiter zu ihren Kollegen in Beidaihe schickte, brachten sie Qigong-bezogene Bücher und andere Ressourcen mit, darunter das Buch Taiji zhengzong 太極正宗, in dem ihr Institutionsstempel 氣工 verwendet (siehe Abbildung 2).[17] 
 
Cover of Taiji zhengzong 太極正宗, from the collection of the Tangshan Qigong Sanitorium. Photo courtesy of Zhang Tiange.


1955 veröffentlichte Liu Guizhen den ersten akademischen Artikel über die Qigong-Therapie in Zhongyi zazhi 中醫雜誌 und verwendete darin die Zeichen 氣功.[18] Der Wechsel von 氣工 zu 氣功 erfolgte also wahrscheinlich um 1954 oder 1955 und war laut Zhang Tiange 張天戈 (1935- ) die Entscheidung von Duan Huixuan 段慧軒 (1887-1983), dem Leiter des Gesundheitsministeriums von Hebei.[19]

Diese Änderung spiegelte einen fortlaufenden Prozess wider, einen neuen Namen für ein altes Kultursystem zu finden. Die Erfindung neuer Begriffe geschah nicht nur in Hebei, sondern auch in Jiangsu, Zhejiang, Shanghai und anderswo. Zum Beispiel 'tiefe Atemtherapie' (shen huxifa 深呼吸法), 'leichte Atemtherapie' (qian huxifa淺呼吸法), 'Bewegungen zur Atmung und Massage' (huxi anmo yundong 呼吸按摩運動), 'Atemtherapie zur Lebensernährung' (huxi yangshengfa 呼吸養生法), und 'Stille-Sitz-Therapie' (jingzuo liaofa 靜坐療法) wurden als 'medizinische Übungen' (yiliao tiyu 醫療體育) und 'präventive Therapien' (yufang liaofa預防療法) in Xin zhongyiyao 新中醫藥 und anderen Zeitschriften vorgestellt. [20]

Die Bezeichnungen "Qigong" und "Qigong-Therapie" wurden populär, nachdem die "Tangshan Small Group on Qigong Therapy" 1955 ausgezeichnet worden war. Mit der Unterstützung der zentralen und lokalen Regierung wurden ab 1956 eine Reihe von Qigong-Sanatorien gegründet. Unter ihnen waren das Beidaihe Qigong Sanitorium (Beidaihe qigong liaoyangyuan 北戴河氣功療養院) und das Shanghai Qigong Sanitorium (Shanghai shi qigong liaoyangsuo 上海氣功療養所) zwei der größten. Es erschienen auch eine Reihe von Zeitschriftenartikeln und Büchern über Qigong, wie Qigong liaofa shijian 氣功療法實踐,[21] Qigong kexue changshi 氣功科學常識,[22] Qigong liaofa jiangyi 氣功療法講義,[23] Qigong liaofa he baojian 氣功療法和保健,[24] und Shiyong qigong liaofa 實用氣功療法. 25] Darüber hinaus hat die Nanjing University of Chinese Medicine (Nanjing zhongyiyao daxue 南京中醫藥大學) auf Initiative des Gesundheitsministeriums das Lehrbuch Zhongyixue gailun 中醫學概論 herausgegeben, das ein Kapitel über Qigong-Therapie enthält. 26] Innerhalb weniger Jahre setzte sich der Begriff "Qigong-Therapie" durch und sogar einige Leute, die den Namen nicht mochten, wie Jiang Weiqiao 蔣維喬 (1873-1958), der für sein Buch Yinshizi jingzuo fa 因是子靜坐法, das Anfang des 20. Jahrhunderts in Shanghai veröffentlicht wurde, bekannt war, begannen sich anzuschließen.[27] Er bemerkte: "Der Name Qigong-Therapie ist nicht angemessen, aber da er populär geworden ist, muss ich ihn akzeptieren."[28

Das Beidaihe Qigong Sanitorium und verwandte Entwicklungen

Das Beidaihe Qigong Sanitorium war eine große Einrichtung mit drei neuen Gebäuden und zwei Apfelplantagen auf dem Gelände. Das Zentrale Gesundheitsbüro (Zhongyang baojianju 中央保健局) - eine Regierungsabteilung, die für die Gesundheitsversorgung der Führung des Landes, einschließlich Mao Zedong, zuständig war - reservierte 30 der 100 Betten. Die meisten Patienten, die über das Büro aufgenommen wurden, waren hochrangige Bürokraten, bekannte nationale Persönlichkeiten und deren Familien sowie Soldaten, die im Chinesisch-Japanischen Krieg oder dem darauf folgenden Bürgerkrieg ehrenvoll gedient hatten; Zhou Enlais Bruder, Liu Shaoqis Ex-Frau, Generäle und heldenhafte Soldaten sowie berühmte Künstler und Gelehrte verbrachten dort Zeit. Die anderen 70 Betten waren nur für Regierungsbeamte, Intellektuelle und die Führer der demokratischen Parteien zugänglich. Sie waren nicht offen für Arbeiter oder Bauern.[29]

Der Gouverneur von Hebei ernannte den Leiter des Beidaihe Qigong Sanitoriums, der erste war Liu Guizhen von der Tangshan Small Group. Von der Zeit seiner Gründung an basierten die meisten Behandlungen, wenig überraschend, auf Qigong, obwohl das Sanatorium viele Ärzte, Krankenschwestern, Diätassistenten und Techniker rekrutierte, die einen Abschluss von Schulen der westlichen Medizin hatten. Die drei Haupttypen der dort angewandten Qigong-Therapie waren Neiyanggong, Qiangzhuanggong und Baojiangong 保健功. Neben der medizinischen Behandlung beschäftigte es sich auch mit anderen Qigong-bezogenen Aktivitäten, wie Forschung, Ausbildung von Technikern und der Förderung des nationalen und internationalen Austauschs.[30]

Das Sanatorium hatte ein Forschungszentrum, das neben anderen Projekten versuchte, die Qigong-Therapie zu erweitern, indem es sich mit berühmten Kultivierungspraktikern im ganzen Land beriet. Die meisten Mitarbeiter des Forschungszentrums waren in westlicher Medizin ausgebildet und hatten wenig oder gar keine Kenntnisse über Qigong, bevor sie hierher kamen. Wie bereits erwähnt, wurde Zhang Tiange, der 1953 seinen Abschluss an einer medizinischen Militärschule gemacht hatte, 1956 zur Arbeit in das Beidaihe Qigong-Sanitorium geschickt (Abbildung 4).

Zhang Tiange erzählte seine Erinnerungen an das Forschungszentrum im Jahr 2005:[31]

"Wir waren alle sehr jung und hatten nicht viel Wissen über Qigong. Beim Lesen der Literatur über Qigong stellten wir fest, dass viele Qigong-Therapien ihren Ursprung in der Medizin, dem Daoismus und dem Buddhismus hatten, also beschlossen wir, Chen Yingning zu kontaktieren, der ein daoistischer Praktizierender und der Vorsitzende der chinesischen daoistischen Vereinigung (Zhongguo daojiao xiehui 中國道教協會) war. Er erklärte uns die Körperkultivierung und wie man mit verschiedenen Körperreaktionen während der Kultivierung umgeht."

Zhang Tiange at right, working at the research centre of the Beidaihe Qigong Sanitorium in the 1950s. There is a sculpture of Mao Zedong and two Chinese–Russian dictionaries on the desk. Courtesy of Zhang Tiange. 

Das Beidaihe Sanitorium versammelte Experten für Taijiquan 太極拳, Akupunktur und Hypnose. Von Anfang an wurde Taijiquan als eine Übung eingeführt, um die Patienten dazu zu bringen, ihren Körper zu bewegen. Zwei Taijiquan-Lehrer wurden vom Gesundheitsministerium der Provinz Hebei eingeführt und vom Sanitorium eingestellt. Zhang Tiange beschrieb die Offenheit des Sanitoriums für Adepten aus verschiedenen Bereichen:

Im Beidaihe Qigong Sanitorium in den 1950er Jahren konnte jeder, der ein Talent in Qigong, Akupunktur, Massage oder Hypnose hatte, zeigen, was er konnte. Wenn die Behandlungen, die sie vorstellten, wirklich effektiv waren, konnten sie formell angestellt werden.[32]

Nachdem 1956 der erste nationale Ausbildungskurs für Qigong-Therapie (Quanguo shouci qigong liaofa peixunban 全國首次氣功療法培訓班) ins Leben gerufen worden war, wurden jedes Jahr Qigong-Ausbildungskurse abgehalten, an denen 40 bis 60 medizinische Mitarbeiter teilnahmen. Viele der Teilnehmer wurden von medizinischen Einrichtungen auf Anweisung ihrer örtlichen Gesundheitsbehörden entsandt. Nach ihrer Rückkehr führten sie die Qigong-Therapie in ihren Institutionen ein; einige gründeten sogar ihre eigenen Qigong-Sanatorien, wie Chen Tao 陳涛 (1922-68), der das Shanghai Qigong Sanitorium gründete. Zhang Tiange erinnerte sich an Chen Tao auf diese Weise:
"Ich habe Chen Tao einmal getroffen. Es war ungefähr zu der Zeit, als der erste nationale Qigong-Studienkurs kurz vor dem Abschluss stand. Chen Tao sagte, dass er ein Qigong-Sanitorium gründen wollte, nachdem er nach Shanghai zurückgekehrt war. Im Jahr 1957 wurde das Sanitorium mit Chen Tao als Leiter eröffnet. Es hatte bis zu 50 Betten."[33]

A letter from Chen Yingning to the Beidaihe Qigong Sanitorium. 

Im März 1959 brachte das Beidaihe Qigong Sanitorium die Zeitschrift Qigong 氣功 heraus, um das Wissen über Qigong landesweit zu fördern. Zweihundert Exemplare der ersten Ausgabe wurden gedruckt und an lokale medizinische Einrichtungen und hochrangige Beamte des Gesundheitsministeriums verteilt. Zwischen März 1959 und April 1960 erschienen sechs Ausgaben der Zeitschrift, die zur Bildung eines Qigong-Netzwerks beitrugen, dessen Zentrum das Sanatorium Beidaihe war.

1959 wurde das Nationale Qigong-Erfahrungsaustausch-Treffen (Beidaihe quanguo qigong jingyan jiaoliuhui 北戴河全國氣功經驗交流會) mit Unterstützung des nationalen Gesundheitsministeriums abgehalten, das 3000 Yuan zur Deckung der Kosten des Treffens zur Verfügung stellte. Das Treffen im Sanatorium Beidaihe dauerte 10 Tage und umfasste 80 Vertreter von 64 medizinischen Instituten und Schulen. Berühmte Ärzte der chinesischen Medizin sowie Vertreter des Buddhismus, des Daoismus und der Kampfkünste waren ebenfalls geladene Gäste, so dass sich die Gesamtzahl der Teilnehmer auf mehr als hundert belief (Abbildung 6). 

The Beidaihe National Qigong Experience Exchange Meeting. Courtesy of Zhang Tiange, who is on the far right. 


Das Treffen wurde von der lokalen Zeitung Beidaihe, Qinghuangdao ribao 秦皇島日報, als große Neuigkeit gefeiert. Ein Artikel mit dem Titel "Rang qigong fayang guangda genghaodi wei shehuizhuyijinshi fuwu: Beidaihe qigong jingyan jiaoliuhui shengli bimu' 讓氣功發揚光大更好地為社會主義建設服務: 北戴河氣功經驗交流會勝利閉幕) hieß es:

"In dieser Sitzung wurde berichtet, dass sich die Qigong-Aktivitäten unseres Landes in wenigen Jahren schnell entwickelt haben, dank der Stärkung der Führung der Partei in der pharmazeutischen und medizinischen Arbeit und der Umsetzung ihrer Politik zur chinesischen Medizin ... In den letzten Jahren wurde die Qigong-Therapie in den meisten Provinzen und autonomen Regionen praktiziert. Nach den Statistiken der Arbeitseinheiten, die an dieser Sitzung teilnahmen, gibt es 332 Mitarbeiter, die sich mit der Qigong-Therapie beschäftigen, die Zahl der für die Qigong-Behandlung reservierten Betten ist auf 2297 gestiegen, und es wurden 4000 Patienten aufgenommen ... Mit der schrittweisen Umsetzung der Politik des Zentralkomitees der Partei für die chinesische Medizin und der engen Zusammenarbeit von chinesischer und westlicher Medizin sollten wir die Qigong-Therapie energisch popularisieren und angesichts der grundlegenden Einrichtungen oder der besonderen Bedingungen in unseren allgemeinen Krankenhäusern fördern, die Qigong-Therapie praktizieren und unsere Erfahrungen mit dem Qigong verbreiten, um sie auf breiter Ebene zum Blühen zu bringen. Gleichzeitig sollten wir die Forschungsarbeit in der Qigong-Wissenschaft verstärken. Wir sollten Qigong dem Volk dienen lassen, indem wir die Medizin des Vaterlandes und den Aufbau des Sozialismus verbessern."[34]


Als Teil des "medizinischen Erbes des Mutterlandes" wurde die Qigong-Therapie in anderen sozialistischen Ländern Osteuropas und der Sowjetunion eingeführt. Große internationale Qigong-Austauschtreffen wurden abgehalten, häufig mit der Sowjetunion, und das Thema der Qigong-Therapie wurde oft in Zeitungen, bei akademischen Austauschen und Besuchen von Beamten der Gesundheitsverwaltung angesprochen. Das Beidaihe Qigong-Sanitorium empfing von 1956 bis 1959 jedes Jahr Besucher von sowjetischen medizinischen und Akupunktur-Beobachtungsgruppen.

Die Aufarbeitung der Geschichte des Qigong und der Nachweis seiner Wirksamkeit

Um Teil des staatlichen Medizinsystems zu werden, musste Qigong zwei Kriterien erfüllen. Erstens brauchte es eine aufgearbeitete Geschichte als Teil des "medizinischen Erbes des Mutterlandes". Zweitens brauchte es den Nachweis seiner Wirksamkeit als Therapie. Diese beiden Aufgaben begannen in den 1950er Jahren, als die Qigong-Befürworter schnell handelten, um der Maxime des Staates zu entsprechen, dass "das werktätige Volk die Herren der Geschichte" (laodong renmin shi lishide zhuren 勞動人民是歷史的主人) sind. Um dies zu erreichen, war es notwendig, die Verbindungen des Qigong zu buddhistischen und daoistischen Praktiken der Körperkultivierung zu leugnen, da der chinesische Staat Religion mit Aberglauben und Idealismus assoziierte und sie als Produkt der "feudalen Klasse" abstempelte. So propagierten einige Ärzte der traditionellen Medizin eine neue Sichtweise der Qigong-Therapie, die der Ideologie des neuen Staates entsprach, indem sie behaupteten, dass "die Qigong-Therapie aus dem Wissen der großen arbeitenden Menschen geboren wurde, aber unglücklicherweise vom Buddhismus und Daoismus ausgebeutet und in Aberglauben und Mysterien gehüllt wurde"[35]. Andere verwischten einfach jede religiöse Verbindung, indem sie behaupteten, dass der Ursprung des Qigong nicht mehr feststellbar sei.[36] Auf diese Weise wurde die Qigong-Therapie vom Staat als Teil der traditionellen Medizin anerkannt.

1958 visit of the Soviet acupuncture observation group to the Beidaihe Qigong Sanitorium. Courtesy of Zhang Tiange. 


In diesem Prozess wurden die Ursprünge des Qigong mit denen der traditionellen Medizin integriert, um ihm eine Geschichte zu geben, die dem "medizinischen Erbe des Mutterlandes" angemessen ist. Der Staat beauftragte die örtlichen Gesundheitsämter mit der "Systematisierung des medizinischen Erbes des Mutterlandes" (zhengli zuguo yixue yichan 整理祖國醫學遺產), um die im Volk beliebten Geheimrezepte zu sammeln und zu klassifizieren. Bewährte Heilmittel wurden identifiziert und im Zhongyao yaodian 中藥藥典 aufgelistet.[37]

Außerdem, wie ein Autor 1955 schrieb:

"Vernachlässigte, aber bewährte Heilmittel ... entstammen den Erfahrungen Einzelner, sind aber zum wertvollen Eigentum des Kollektivs geworden. Diese wertvollen Elemente des medizinischen Erbes des Mutterlandes, die wissenschaftlich verifiziert wurden, dienen nun dem Volk besser und mit größerer Kraft."[38]

Während dieses Prozesses wurden auch die Qigong-Therapien von den örtlichen Gesundheitsämtern als Teil des "medizinischen Erbes des Mutterlandes" anerkannt und eingestuft. Darüber hinaus wurde die Qigong-Therapie, so wurde behauptet, im Huangdi neijing 黃帝內經, dem frühesten Klassiker der chinesischen Medizin und Urquell aller nachfolgenden medizinischen Werke, dokumentiert.[39] So erlangte die von Liu Guizhen als "Qigong-Therapie" bezeichnete medizinische Behandlung eine mehr als zweitausendjährige Aufzeichnung in historischen Texten, die mit der traditionellen Medizin gleichzusetzen ist.
Booklet on qigong in Russian with five pictures showing the basic forms of qigong therapy practiced in qigong sanitoriums in the 1950s. 


In dieser Zeit entwickelten die Wissenschaftler und Funktionäre, die sich mit der Qigong-Therapie beschäftigten, auch eine entsprechend "moderne" theoretische Begründung. Unter dem Einfluss der nationalen Bewegung, "von der Sowjetunion zu lernen", wurden die Theorien der russischen Wissenschaftler sehr einflussreich, auch im medizinischen Bereich. So wurde die Arbeit von Iwan Pawlow herangezogen, um eine "moderne" und "wissenschaftliche" Grundlage für Qigong zu schaffen. Zum Beispiel sponserten das Gesundheitsministerium und die Chinesische Akademie der Wissenschaften (Zhongguo kexueyuan 中國科學院) 1953 einen 35-tägigen Workshop zum Studium der Pawlowschen Theorie in Peking für 22 Professoren, Forscher und Ärzte der Physiologie, Psychologie und klinischen Medizin. Sie verkündeten die Pawlowsche Theorie als "große materialistische Physiologie und die einzig richtige Theorie, um die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft im Neuen China zu leiten".[40] Die Qigong-Therapie wurde also mit Pawlows Theorien der konditionierten Reaktion (tiaojian fanshe xueshuo 條件反射學說) und der Hypnose (cuimian xueshuo 催眠學說) erklärt; die Wirksamkeit bei der Behandlung von Neurasthenie wurde auf die Anregung und Unterdrückung der Großhirnrinde in den Qigong-Atem- und Übungstechniken zurückgeführt. Außerdem wurde behauptet, so wie die Pawlowsche Hypnosetheorie behauptete, dass die Worte des Hypnotiseurs die Großhirnrinde der Patienten stimulierten, so wurde auch behauptet, dass die durch Qigong hervorgerufenen Bewegungen im Atmungssystem und in den inneren Organen denselben Effekt haben. Auf diese Weise lieferten Pawlows Theorien den wissenschaftlichen "Beweis" für die Qigong-Therapie und wischten alle möglichen Verbindungen zum Buddhismus und Daoismus beiseite.[41] Auf diese Weise erhielt die Qigong-Therapie eine wissenschaftliche Erklärung und wurde Teil des staatlichen Modernisierungsprojekts, wodurch sie weiter im medizinischen Establishment institutionalisiert wurde.

Establishment of Qigong Division, Association of Chinese Medicine in Hebei Province, 1981. Liu Guizhen is sixth from the left in the second row and Zhang Tiange the first from the left in the third row. 

Persönlichkeiten in der Qigong-Therapie

Liu Duzhou 劉渡舟 (1890-1972), Liu Guizhen und Zhang Tiange repräsentieren verschiedene Phasen in der Entwicklung der Qigong-Therapie in den 1950er Jahren. Liu Duzhou erlangte sein Wissen über Neiyanggong, die Methode der Körperkultivierung, die seit dem Ende der Ming-Dynastie im ländlichen Hebei praktiziert wurde, durch eine traditionelle Art der Übertragung. Daher umfasste das, was er als Neiyanggong betrachtete, traditionelle Überzeugungen und Praktiken, die in den frühen 1950er Jahren als "feudaler Aberglaube" galten. Liu Guizhen war eine Übergangsfigur, der Neiyanggong von Liu Duzhou lernte, um seine Krankheit zu behandeln, der aber später Neiyanggong neu interpretierte und überarbeitete, um es in das staatliche medizinische System zu integrieren. Zhang Tiange war der jüngste der drei, ein Absolvent einer medizinischen Schule der Armee, der von der Regierung entsandt wurde, um an der Qigong-Therapie zu arbeiten. Wie erging es diesen drei Persönlichkeiten in den 1950er Jahren und danach?

Zunächst lernte Liu Duzhou, Neiyanggong zu üben, um seine Lungentuberkulose zu behandeln, und wurde als Empfänger der fünften Generation bezeichnet, die es weitergab. Als Neiyanggong in den 50er Jahren in die Qigong-Therapie integriert wurde, begann er in verschiedenen Qigong-Sanatorien zu arbeiten, 1955 wurde er in das Tangshan-Sanitorium eingeladen, wo er täglich sieben Stunden Neiyanggong übte. Als 1956 das Sanatorium Beidaihe gegründet wurde, wurde Liu dorthin geschickt, um Spezialisten in Neiyanggong auszubilden, aber er kehrte später nach Tangshan zurück, wo 1959 sein Buch Neiyanggong liaofa 內養功療法 (basierend auf seiner Praxis) veröffentlicht wurde. Liu kehrte 1969 in seine Heimatstadt Sizhuang 寺庄 im Landkreis Wei 威 in Hebei zurück, als das Tangshan-Sanatorium auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution geschlossen wurde. Er starb 1972.[42]

Establishment of Qigong Division, Association of All China Chinese Medicine, 1981. Liu Guizhen is the ninth from the right in the third row and Zhang Tiange the third from the right in the last row. 


Wie besprochen, war Liu Guizhen in den 1950er Jahren ein Pionier der Qigong-Therapie und erhielt dafür große Anerkennung. Im Jahr 1956 wurde er von der Provinz Hebei als "fortgeschrittener Arbeiter" (xianjin gongzuozhe 先進工作者) und von den nationalen Behörden als "Modellarbeiter" (laodong mofan 勞動模範) geehrt. Auf dem nationalen Kongress der Modellarbeiter in Peking traf er Mao Zedong und andere Mitglieder der Führung und wurde später eingeladen, die Qigong-Therapie bei prominenten Persönlichkeiten der nationalen Bühne zu lehren, darunter Liu Shaoqi. Im Jahr 1964 wurde Liu Guizhen jedoch wegen seiner Verwicklung in den "Fall Zhou Qianchuan 周潜川" schwer bestraft. Zhou Qianchuan, der während des antijapanischen Krieges als Arzt in der Guomindang-Armee diente, hatte in seiner Jugend Latein, Englisch und westliche Medizin in einer christlichen Kirche und später in England und Deutschland studiert. Im Jahr 1939 begann er Emeigong 峨眉功 zu lernen und praktizierte es viele Jahre lang. Auf Einladung der Shanxi-Regierung besuchte er das Shanxi-Institut für chinesische Medizin (Shanxi zhongyi yanjiuyuan 山西中醫研究院), wo er die chinesische Medizin erforschte und gleichzeitig Emeigong lehrte.[43]

Im Jahr 1964 behauptete jemand, dass Zhou ein Spion sei und er wurde der Zentralregierung gemeldet. Er wurde verdächtigt, mit Kadern und Offizieren Kontakt aufgenommen zu haben, um unter dem Deckmantel des Qigong Staats- und Militärgeheimnisse zu stehlen, und wurde zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt, wo er 1971 starb. Auch Personen, die mit Zhou in Verbindung standen, darunter Liu Guizhen, wurden bestraft: Liu hatte Zhou eingeladen, im Sanatorium Beidaihe zu unterrichten. So wurde Liu 1965 unter dem Vorwurf der Kollaboration mit dem "Konterrevolutionär Zhou Qianchuan" verhaftet, aus der Partei ausgeschlossen, als Leiter des Beidaihe-Sanatoriums abgesetzt, sein Gehalt um sieben Stufen gekürzt und zur Arbeitsreform nach Shanhaiguan geschickt (laodong gaizuo勞動改造).[44] Im selben Jahr wurde das Shanghaier Sanatorium geschlossen und sein Direktor, Chen Tao, seines Postens enthoben. Er starb 1968 nach harscher Kritik und ständiger Verfolgung.[45]

Im Jahr 1966, bei Ausbruch der Kulturrevolution, wurden Qigong-Praktizierende routinemäßig kritisiert und Organisationen angegriffen. Mehrere zusätzliche Anklagen wurden gegen Liu erhoben, wie z.B. "der Begründer des großen giftigen Unkrauts des Qigong (qiging daducao chuangshiren 氣功大毒草創始人)" und ein "konterrevolutionäres revisionistisches Element (fan'geming xiuzhengzhuyi fenzi 反革命修正主義份子)" zu sein.[46] Die Qigong-Therapie wurde als "feudal, kapitalistisch und revisionistisch" (feng zi xiu 封資修) verdammt und ihre Praktizierenden und Institutionen weiter angegriffen. Zum Beispiel wurde 1969 das Tangshan Qigong Sanatorium geschlossen,[47] und seine Mitarbeiter wurden geschickt, um die Straßen zu fegen und öffentliche Toiletten zu reinigen. Währenddessen besetzte eine Rebellengruppe (zaofanpai 造反派) das Beidaihe-Sanatorium, übte Kritik am Qigong und verbrannte Qigong-Bücher.[48]

So verschwand die Qigong-Therapie für mehr als ein Jahrzehnt aus dem medizinischen System. 1980 wurde Liu rehabilitiert und erneut zum Direktor des Beidaihe-Sanatoriums ernannt. Im Juli 1981 wurde er zum Präsidenten der Qigong-Sektion (qigong fenke xuehui 气功分科学会) der Hebei Traditional Chinese Medicine Association (Hebeisheng zhongyi xuehui 河北省中医学会) und zum Leiter der nordchinesischen Abteilung der Qigong Science Research Society (Qigong kexue yanjiuhui 气功科学研究会), der All China Traditional Chinese Medicine Association (Zhonghua quanguo zhongyi xuehui 中华全国中医学会) gewählt. Mit der Unterstützung von Zhang Tiange und anderen gab er 1981 Qigong liaofa shijian neu heraus. Liu starb im Dezember 1983 in Peking an Krebs, kurz bevor China den großen Aufschwung des Interesses an Qigong erlebte, der als Qigong-Boom bekannt wurde.[49]

Zhang Tiange, August 1951. 

Liu Guizhen and Zhang Tiange. 


Zhang Tiange gehörte zu der Generation, die vom Staat zur Arbeit an der Qigong-Therapie geschickt wurde. Er trat 1951 in die Volksbefreiungsarmee ein und studierte an einer ihrer medizinischen Schulen. Nach seinem Abschluss 1953 arbeitete er im Hebei No. 1 Rehabilitation Hospital (Hebei diyi kangfu yiyuan 河北第一康復醫院). Als das Beidaihe Qigong Sanitorium 1956 gegründet wurde, gehörte Zhang zu einer Gruppe junger medizinischer Mitarbeiter, die das Sanitorium einstellte und die täglich vier Stunden Qigong üben mussten. Hier lernte Zhang Neiyanggong und Taijiquan. 1962 wurde Zhang in das Shanhaiguan Volkskrankenhaus (Shanhaiguan renmin yiyuan 上海人民醫院) versetzt. Während der Kulturrevolution wurden seine Arbeit als Arzt und sein weiteres Studium der chinesischen Medizin in Peking unterbrochen, als er mehrmals aufs Land geschickt wurde. Als das Sanatorium 1980 wieder eröffnet wurde, kehrte er zurück und unterstützte Liu Guizhen bei der erneuten Förderung der Qigong-Therapie. Seit 1980 wurden Zhang und seine Generation zu den zentralen Figuren bei der Entwicklung der Qigong-Therapie, da die älteren Kollegen in den Ruhestand gingen oder starben. Zhang war Leiter der Qigong-Forschungsabteilung im Beidaihe-Sanatorium, dem nationalen Zentrum für die Ausbildung in medizinischen Anwendungen des Qigong. Er hat an Qigong-Forschungsprojekten auf nationaler Ebene teilgenommen, das Kapitel über Qigong im Zhongguo yixue baike quanshu 中国医学百科全 herausgegeben und Japan, Deutschland, Frankreich und Amerika besucht, um die Qigong-Therapie zu fördern. Seit seiner Pensionierung im Jahr 1995 schreibt er Aufsätze, die auf seinen persönlichen Erfahrungen mit der Qigong-Therapie seit den 1950er Jahren basieren.[50]


The first meeting of editors of the chapter on qigong therapy in the Zhongguo yixue baike quanshu, April 1982. 


Fazit

Die Geschichte der Qigong-Therapie in den 50er Jahren zeigt die umfassende "Reform", die traditionelle Heilpraktiken auf Geheiß des Staates erfuhren. Dies zeigt sich in dem Kompromiss zwischen chinesischer und westlicher Medizin in der Bezeichnung eines Behandlungssystems als "Qigong-Therapie", in der Anwendung der Politik des "Lernens von der Sowjetunion" auf die Erforschung der Qigong-Theorie und in der Übernahme marxistischer historischer Perspektiven, um die Geschichte des Qigong zu erzählen. Während der Staat die Entwicklung des Qigong förderte und den Forschern und Praktizierenden ihre grundlegenden Richtlinien und physischen Einrichtungen zur Verfügung stellte, verfolgten diejenigen, die an der Etablierung der Qigong-Therapie beteiligt waren, ihre Arbeit innerhalb dieser Richtlinien mit einem gewissen Grad an Autonomie bis zu den politischen Veränderungen, die zur Kulturrevolution führten. Die rasche Entwicklung der Qigong-Therapie in den 50er Jahren war also eine Funktion der starken Unterstützung durch den Staat und spiegelte somit die staatliche Vision einer neuen Medizin für ein neues China wider.


---------------------------------------------------------------------------------------------

1 In den 1950er Jahren waren die chinesischen Schriftzeichen in der Volksrepublik noch nicht offiziell vereinfacht worden. Daher werden in diesem Artikel für Namen, Begriffe und Publikationen aus dieser Zeit die Vollschriftzeichen verwendet, während vereinfachte Zeichen angegeben werden, wenn sie in der Originalquelle aus einer späteren Zeit verwendet werden. Utiraruto Otehode, "The Creation and Reemergence of Qigong in China", in: eds Yoshiko Ashiwa und David L. Wank, Making Religion, Making the State: The Politics of Religion in Modern China (Stanford: Stanford University Press, 2009), S. 241-62, und Utiraruto Otehode, '1950 nendai Chūgoku ni okeru shakaishugi kensetsu to kikō ryōhō no keisei 1950' 年代中国における社会主義建設と気功療法の生成, Jisedai ajia ronshū 次世代アジア論集, 2 (2009): 24-45 diskutieren einige der in diesem Artikel angesprochenen Geschichte in zusammengefasster Form.


2 Zhao Baofeng 赵宝峯, Zhongguo qigongxue gai-lun 中国气功学概论 (Beijing: Renmin weisheng chubanshe, 1987); Wang Buxiong 王卜雄 und Zhou Shirong 周世荣, Zhongguo qigong xueshu fazhanshi 中国气功学术发展史 (Changsha: Hunan kexue jishu chubanshe, 1989; Li Zhiyong 李志庸, Zhongguo qigong shi 中国气功史 (Zhengzhou: Henan kexue jishu chubanshe, 1988).


3 Liu Guizhen 劉貴珍, Qigong Liaofa Shijian 氣功療法實踐 (Shijiazhuang: Hebei renmin chubanshe, 1957), S.2; Chen Yingning 陳攖寧, Shenjing shuairuo jinggong liaofa wenda 神經衰弱靜功療法問答 (Beijing: Zhongguo daojiao xiehui, 1963), S.13.


4 Huang Jiasi黄家驷, "Xinzhongguo yixue kexue de huihuang chengjiu" 新中國醫學科學的輝煌成就, Renmin ribao 人民日報, 19. September 1959, S.9; Qian Xinzhong 錢信忠, "Xinzhongguo yixue kexue de weida chengjiu" 新中國醫學科學的偉大成就, Shanxi yixue zazhi 山西醫學雜誌 4 (1959):1-5.


5 Siehe Ralph C. Croizier, Traditional Medicine in Modern China: Science, Nationalism, and the Tensions of Cultural Change (Cambridge: Harvard University Press, 1968); Kim Taylor, Chinese Medicine in Early Communist China, 1945-63: A Medicine of Revolution (London: RoutledgeCurzon, 2005).


6 Zum Beispiel wurde die chinesische Medizin aus dem medizinischen System entfernt, die hochrangige medizinische Ausbildung beinhaltete keine Kurse über chinesische Medizin, und die nationalen medizinischen Vereinigungen erlaubten Ärzten der chinesischen Medizin nicht, an ihren Aktivitäten teilzunehmen. Siehe Hua Zhongfu 华钟甫 und Liang Junn 梁峻, Zhongguo zhongyi yanjiuyuan yuanshi 中国中医研究院院史 (Beijing: Zhongyi guji chubanshe, 1995)


7 Siehe Croizier, Traditional Medicine in Modern China und Taylor, Chinese Medicine in Early Communist China.


8 Mao Zedong wies das Gesundheitsministerium an, die chinesische Medizin zu entwickeln, anstatt sie zu verdammen, einschließlich der Gründung eines nationalen Forschungszentrums für chinesische Medizin und der Anordnung an Ärzte der westlichen Medizin, chinesische Medizin zu studieren. Siehe Hua und Liang, Zhongguo zhongyi yanjiuyuan yuanshi, S. 3-4.


9 Lu Zhijun 魯之俊, 'Renzhen xuexi he yanjiu zuguo de yixue' Seriöse Studie und Forschung über die Medizin des Mutterlandes, Xin zhongyiyao 新中醫藥 9 (1955), S. 1 -3.


10 Liu Guizhen, Qigong Liaofa Shijian.


11 Chen Zhonglu 陈忠lu, 'Guanyu Tangshan qigong liaoyangsuo de pianduan huiyi' 片断回忆关于唐山气功疗养所, Zhongguo qigong kexue 中国气功科学2 (1996): 30-31.


12 Lu Zhijun, 'Ruhe xuexi he yanjiu zuguo yixue' How to Study and Research Motherland Medicine, Xin zhongyiyao 新中醫藥 7 (1955): 1- 2.


13 Lu Zhijun, 'Renzhen xuexi he yanjiu zuguo de yixue', S. 2.


14 Hua und Liang, Zhongguo zhongyi yanjiu-yuan yuanshi.


15 Ma Jiren 马济人, Zhongguo qigongxue 中国气 功學 (Xian: Shanxisheng kexuejishu chubanshe, 1983), S. 2.


16 Cao Dongyi 曹东义, Zhongyi jinxiandai shihua 中醫近现代史话 (Beijing: Zhongguo zhongyiyao chubanshe, 2010).


17 Wu Zhiqing 吳志青 ed., Taiji zhengzong 太極正宗 (Shanghai: Dadong shuju, 1936).


18 Liu Guizhen 劉貴珍, 'Zai shiyan yanjiu zhongde zhongyi qigong liaofa' 在实验研究中的中醫氣功療法, Zhongyi zazhi 中醫杂志 10 (1955): 22-23.


19 Cao Dongyi stimmt zu, dass die Entscheidung von Duan Huixuan getroffen wurde, aber er datiert dies auf 1953. Siehe Cao Dongyi 曹东义, Zhongyi jinxiandai shihua 中醫近现代史话 (Beijing: Zhongguo zhongyiyao chubanshe, 2010).


20 Xu Rongqi 徐榮齊, 'Feijiehe huanzhe shiyong qianhuxifa de tihui' 肺結核患者使用浅呼吸法的體會, Zhongyi zazhi 中醫雜誌 10 ( 1955): 24-27; Zeng Yiyu 曾義宇, "Xin Zhongguo yiliaotiyu zhi youyi xingshi - "Jingzuo liaofa" ' Eine andere Form des medizinischen Sports im Neuen China: Meditationstherapie, Xin zhongyiyao 新中醫藥4 (1954): 2; 'Shenhuxifa zai yiliao yufang Die Rolle der tiefen Atmung in der medizinischen Prophylaxe, Jiangxi zhongyiyao 江西中醫藥4 (1955): 41-44.


21 Liu Guizhen, Qigong Liaofa Shijian.


22 Chen Tao 陈涛 Chen Tao, Qigong kexue changshi 氣功 科學常識 (Shanghai: Shanghai keji wei-sheng chubanshe, 1958).


23 Shanghai qigong liaoyangsuo上海氣功疗養所, Qigong liaofa jiangyi 氣功疗法講義 (Shanghai: Shanghai keji weisheng chubanshe, 1958).


24 Qin Chongsan 秦重三, Qigong liaofa he baojian 氣功疗法和保健 (Shanghai: Shanghai kexue jishu chubanshe, 1959).


25 Xu Shijie 徐世杰, Shiyong qigong liaofa 實用氣功療法 (Zhengzhou: Henan renmin chubanshe, 1963).


26 Nanjing zhongyi xueyuan 南京中醫學院, Zhongyixue gailun 中醫概論 (Beijing: Renmin weisheng chubanshe, 1959).


27 Yinshizi 茵是子, Yinshizi jingzuofa 英是子静坐法 (Shanghai: Shangwu yinshuguan, 1917).


28 Jiang Weiqiao und Liu Guizhen, Qigong liaofa diyiji 氣功療法 第一集 (Beijing: Renmin weisheng chubanshe, 1958), S. 1.


29 Zhang Tiange 张天戈, Yiliao jianshen qigong wenxuan - Beidaihe yiliao qigong fazhan 50nian jishi 医疗健身气功文选:北戴河医疗气功发展50 Dokumentarfilm. Unveröffentlichtes Manuskript, 2004.


Unveröffentlichtes Manuskript, 2004. 30 Ibid.


31 Interview mit Zhang Tiange, 2005.


32 Ebd.


33 Ebd.


34 Qinghuangdao ribao 秦皇島日報, 3. November 1959, S. 1.


35 Xu Yinggao 許映高, 'Yiliao yufangxing "shenhuxi liaofa" ' 医疗預防性深呼吸療法 Xin zhongyiyao 新中醫藥 2 (1954): 26.


36 Zeng Yiyu, ‘Xin Zhongguo yiliaotiyu zhi youyi xingshi – “Jingzuo liaofa” ’, p.2.

37 See Xinhua yiyao 新華醫藥, 6 (1950), p.2.

38 Chen Susheng 陳蘇生, ‘Xuexi zuguo yixue bixu pipan Yu Yunxiu sixiang 學習祖國醫學必須批判余雲岫思想, Xinzhong yiyao 新中醫藥, 11 (1955): 443–46, at p.445.

39 Huangdi Neijing never mentions qigong by name but does describe a bodily cultivation system called daoyin tuna, which appears similar to the qigong therapy proposed by Liu Guizhen. This is the basis for the claim that qigong therapy has a history of more than two thousand years.

40 Zhu Xiangyao 諸相堯, ‘Ruhe yi Bafuluofu xueshuo zuowei fazhan xinzhongguo yixue de jichu’ 如何以巴甫洛夫學說為發展新中國醫學的基礎, Zhongyang weishengbu bapuluofu xueshuo xuexihui bian 中央衛生部巴甫洛夫學說學習會編 eds. Bapuluofu xueshuo xuexi wenji 巴甫洛夫學說學習文集 (Beijing: Renmin weisheng chubanshe, 1954).

41 Chen Tao, Qigong kexue changshi.

42 Zhang Youtian 张幼天, ‘Wo gen Liu Duzhou laoshi xuelian neiyanggong’ 我跟刘度舟老师学练内养功, Qigong yu kexue 气功与科学 1 (1987): 26–27.

43 Ji Shoukang 冀寿康, Zhongguo qigong shiliao chuji (si) 中国气功史料初辑(), (manuscript for internal circulation, n.d., 1992?).

44 Liu Yafei 刘亚非, ‘Xiang baba nayang reai qigong’ 像爸爸那样热爱气功, Qigong yu kexue 气功与科学 12 (1984): 8–10.

45 Ji Shoukang, Zhongguo qigong shiliao chuji (si).

46 Yu zhichao 余志超, ‘Xinzhongguo qigong shiye de kaituozhe-Liu Guizhen he tade neiyanggong’ 新中国医疗事业的开拓者:刘贵珍和他的内养功, Zhongguo qigong kexue中国气功科学 10 (1999): 18–20.

47 Cheng Zhonglu 陈忠禄, ‘Guanyu Tangshan qigong liaoyangsuo de duanpian huiyi’ 关于唐山气功疗养所的断片会议, Zhongguo qigong kexue中国气功科学 2 (1996): 30–31; Ji Shoukang, Zhongguo qigong shiliao chuji (si).

48 Interview with Zhang Tiange, 2005. 

49 Liu Yafei, ‘Xiang baba nayang reai qigong’; Gu Yuetao 顾曰涛, ‘Liu Guizhen zhi si’ 刘贵珍之死; Qigong yu kexue气功与科学 12 (1989): 2–7; Yu Zhichao, ‘Xinzhongguo qigong shiye de kaituozhe-Liu Guizhen he tade neiyanggong’, pp.18–20; Benjamin Penny. ‘Qigong, Daoism and Science: Some Contexts for the Qigong Boom,’ in eds Mabel Lee and A.D. Syrokomla-Stefanowska, Modernization of the Chinese Past (Honolulu: University of Hawai‘i Press, 1993); David A. Palmer, Qigong Fever: Body, Science, and Utopia in China (New York: Columbia University Press, 2007).


50 Zhang Tiange, Yiliao jianshen qigong wen-xuan Beidaihe yiliao qigong fazhan 50-nian jishi; Zhang Tiange, Yige qigong gongzuozhe 50-nian gongzuo riji 一个气功工作者50年工作日记. Unpublished manuscript, 2009. Some sections of this diary can be found online at <qigong.arkoo.com/column2.html>.