26.01.2010

Big Brother

In ziemlich jeder Abteilung, jedem Labor, gibt es einen Sozialraum; eine Teeküche, meist ein schäbiges kleines „Kabuff“ mit Urlaubsgruß-Postkarten an der Wand, einem heruntergekommenen Tisch ohne Tischdecke, zwei bis drei Stühlen und fünf bis acht alten Kaffeetassen. Irgendwo hängt ein Zettel, auf dem vermerkt ist, dass der Kaffee und der Tee nicht einfach vorhanden sind, sondern gekauft werden müssen, und so gibt es eine Kasse, in die der ehrliche Konsument der genannten aufmerksamkeitsfördernden Getränke seinen Obulus entrichten kann. Oder auch nicht, wenn gerade niemand schaut.

„Menschen helfen einander, sind nicht immer egoistisch und sind sogar großzügig."

Nun weiß man, dass die Menschen ganz allgemein sich weniger „egoistisch" verhalten, als man dies nach den von Standardmodellen der Ökonomie (der Mensch handelt als homo öconomicus nach den Prinzipien von Egoismus und Rationalität) erwarten sollte. Kurz: Menschen helfen einander, sind nicht immer egoistisch und sind sogar großzügig - dies stellte sich in entsprechenden Studien immer wieder heraus. Die bange Frage bleibt jedoch: Warum sind die Menschen eigentlich so?
Ein Grund für Großzügigkeit könnte sein, dass man als großzügig angesehen werden will, um aufbauend auf einem guten Ruf in Zukunft einmal Hilfe zu bekommen, wenn man sie braucht. Man merkt sich, wie sich jemand früher verhalten hat, schäbig oder nett, und verhält sich künftig entsprechend. Dazu passend zeigen Laborexperimente zu kooperativem Verhalten, dass die
Versuchspersonen dann kooperativer waren, wenn sie davon ausgehen mussten, dass sie beobachtet werden. Dass es hierzu ausreicht, in einer experimentellen Spielsituation die Versuchspersonen mit den Augen eines Roboters zu konfrontieren, hatten Burnham und Hare ja schon gezeigt. Es blieb die Frage, ob dies auch in der wirklichen Welt, und nicht nur in den Räumen psychologischer Laboratorien, so ist.
Um dies zu untersuchen, das heißt, um herauszufinden, ob bereits das Bild eines Augenpaares eine Auswirkung auf das Verhalten in der wirklichen Welt hat, hing die bereits erwähnte Melissa Bateson wöchentlich eine andere Preisliste in der Kaffee- und Teeküche auf, mit jeweils denselben freiwillig zu entrichtenden Preisen für die Getränke. Geändert wurde nur ein 3,5 mal 15 cm messendes Bild, das nach Art eines Banners über der Preisliste im DIN-A-5-Format auf dem fotokopierten Blatt mit ausgedruckt war: Auf dem Bild waren entweder Blumen oder ein aus realen Gesichtern stammendes Augenpaar zu sehen. Die Bilder waren jeweils verschieden, aber in allen Fällen blickten die Augen den Leser der Liste direkt an. Die Preisliste hing in Augenhöhe direkt über der Kaffeekasse.
Die abhängigen Variablen in diesem Experiment waren zum einen die wöchentlichen Einnahmen in der Kaffeekasse und zum anderen der Verbrauch an Milch. Dieser diente als indirektes Maß für den Getränkekonsum insgesamt (je mehr Kaffee oder Tee getrunken wurde, desto mehr Milch wurde auch verbraucht). Der Quotient aus diesen beiden Variablen (Geld/ Milch) diente als Maß für die Ehrlichkeit der insgesamt 48 Mitglieder der psychologischen Abteilung, 25 davon weiblich. (…) Insgesamt waren die Mitarbeiter der Abteilung 2,76-fach ehrlicher beim Bezahlen ihrer Getränke, wenn ein Augenpaar über der Preisliste zu sehen war, eine Effektgröße, die selbst die beteiligten Wissenschaftler überraschte: „Um ehrlich zu sein, die Effektgröße hat uns die Sprache verschlagen" kommentierte der Seniorautor Gilbert Roberts.

Auszug aus Manfred Spitzer: "Beobachtet werden"
via Panther

23.01.2010

Die Kunst

im ganzen ist nicht ein zweckloses Schaffen der Dinge, die im Leeren zerfließen, sondern eine Macht, die zweckvoll ist und der Entwicklung und Verfeinerung der menschlichen Seele dienen muss.

Wassily Kandinsky

21.01.2010

Xinxinming 14

唯须息见  二见不住  勿追寻 

nur den Atem beobachten
bei den beiden Ansichten
nicht verweilen
nicht folgen


Solange wir die Leere nicht akzeptieren können, solange wir nicht in der offenen Geisteshaltung des absoluten Anfängers leben können, wäre es dennoch vergebens, sich auf die Suche zu machen nach der Wahrheit. Ganz gleich welcher, denn wir würden verschiedene finden können.
Da rät uns nun der Meister, statt dessen auf den Atem zu achten. Wir atmen ein, wir atmen aus. Ist das eine wahrer als das andere? Ist es richtig einzuatmen oder ist es richtig auszuatmen. Der Dualismus findet kein Ende und keine Auflösung. Ein rollendes Rad bewegt sich gleichzeitig nach oben und nach unten. Darin steckt kein Widerspruch.
In dessen Betrachtun sollen wir nicht verweilen und wir sollen ihr nicht folgen. Dao heißt Weg. Aber es gibt viel Arten von Wegen. Wege die sich verzweigen, ins Leere laufen. Aber nur Wege, die in eine klar definierte Richtung verlaufen, werden als "Dao" bezeichnet. Dies Bedeutung wurde später übertragen auf "Regel" oder "Gesetz". So folgen die Gestirne einem inneren Gesetz und das wird Tiandao (天道) "Gesetz des Himmels" genannt. Es handelt sich dabei um ein sehr komplexes Konzept, welches dann ausgeweitet wurde zum Gesetz oder Prinzip der Natur.
Dao ist Dao, darin gibt es keine Zweifel.

"If the sun and moon should ever doubt,
They'd immediately go out."

William Blake - Auguries of Innocence

唯1须2息3见4  二5见 不住6  

1 唯  wéi:  -ismus; allein, einzig, nur (u.E.)
2 须  xū:  müssen; Bart; Fühler (Zool); Xu (u.E.)
3 息  xī:  Botschaft; Atem; aufhören; Zinsen (u.E.)
4 见  jiàn:  sehen, erblicken, treffen (u.E.)
5 二  èr:  zwei (2); Radikal Nr. 7 = zwei (2)
6 不住  bùzhù:  dauernd, stetig (u.E.)

勿7追寻8 

7 勿  wù:  nicht tun (u.E.)
8 追寻  zhuīxún:  verfolgen, jemandem nachsetzen (u.E.)

wozu das Universum da ist

Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. -
Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.

Douglas Adams

19.01.2010

Atempause

Wem Mutter Natur ein Gärtchen gibt und Rosen,
dem gibt sie auch Raupen und Blattläuse,
damit er's verlernt,
sich über Kleinigkeiten zu entrüsten.

Wilhelm Busch (1832 - 1908)

via Johannes Merkel

14.01.2010

Xinxinming 13

前空轉變  皆由妄見  不用求真 

Vor der Leere kehrt gemacht
zurück im Reich der Täuschungen
nicht nötig, dort nach der Wahrheit zu suchen


Kannst du dich in deiner Meditation nicht fallen lassen in die Leere, hältst du an irgendetwas noch fest, von dem du glaubst es nicht aufgeben zu können, dann heißt das kehrtmachen. Machst du kehrt, wendest du dich ab von der Leere, dann bleibst du im Reich der Täuschungen, des Scheins. Wir wissen, wir haben schon oft genug gehört und erfahren, dass der Schein trügt, dass er seiner Natur nach leer ist, aber wir glauben uns dort sicherer aufgehoben. Wir vertrauen ihm mehr, als der wahren Natur des Seins, der wahren Natur des Geistes. Das alles, was wir haben und zu sein glauben, ist erworbenes, angehäuftes. Es macht uns nicht leicht, unser Leben wird mit jedem Teil, an welches wir uns hängen, schwerer.
Darum soll das Qi des Herzen frei fließen in alle Richtungen. Nicht an etwas sein Herz hängen, was doch nur Illusion ist; weniger real als eine Seifenblase.
Im Reich der Täuschungen macht es keinen Sinn, nach der Wahrheit zu suchen. Das braucht man wohl nicht näher erläutern.


前1空2转变3  皆4由5妄6见7  不8用9求10真11 

1
前  qián:  vor, vorne, bevor (u.E.)  
2
空  kòng:  freie Zeit, Muße, Lücke; Himmel, Luft; leer, leerstehend, hohl, nichtig, haltlos, nichtsagend; vergebens, vergeblich, erfolglos, umsonst, für nichts (u.E.)  
3
转变  zhuǎnbiàn:  übergangs; Bekehrung; Fließen; Floss; Kurswechsel; Rückentwicklung; Richtungsänderung; Transformation; Transition; Umbruch; Umrechnung; Umschichtung; Umsetzung; fließen; umrechnen; wandeln; wenden; sich ändern (u.E.)  
4
皆  jiē:  ganz, alle (u.E.)  
5
由  yóu:  durch, es ist für… zu, es zu lassen, folgen Sie, Grund, passendes zu, Ursache, von, wegen, zu (u.E.)  
6
妄  wàng:  sich anmaßen; absurd; albern; unbesonnen; widersinnig (u.E.)  
7
见  jiàn:  sehen, erblicken, treffen (u.E.)  
8
不  bù:  nein; nicht (u.E.)  
9
用  yòng:  gebrauchen; verwenden (u.E.)  
10
求  qiú:  bitten für, fragen für, suchen, verlangen nach (u.E.)  
11
真  :  wirklich (u.E.)  

12.01.2010

Zwei Geschichten

1)
Als Kind faszinierten mich die Erzählungen um Till Eulenspiegel. Eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben, die ich nun leider nicht mehr finde, also muss ich sie selbst erzählen.
In einer Stadt, sagen wir es war in Helmstedt, stritten zwei Schuhmacher, die in einer Straße gegenüber ihre Geschäfte betrieben, miteinander, wer denn von beiden der Bessere sei. Da schrieb der eine über seine Tür:"Der beste Schuhmacher in Helmstedt".
Das ließ der andere nicht lange dabei bewenden und schrieb recht bald:"Der beste Schumacher im Fürstentum Braunschweig"
was am nächsten Tag schon wieder mit "der beste Schumacher im deutschen Land" und so weiter hin und her gekontert wurde, bis dann bei einem der beiden geschrieben stand"Der beste Schumacher der Welt".
Was sollte der andere noch darauf entgegnen. Nun kam gerade der bekannte Schelm Till Eulenspiegel durch Helmstedt. Der nun wohl unterlegene Schuhmacher klagte ihm seine Not. Till versprach Abhilfe. Gegen eine ordentliche Mahlzeit und einen Batzen wollte er dem armen Kerl gerne helfen.
Und so konnten die Leute von Helmstedt, die diesen Streit mit Schadenfreude beobachtet hatten, am nächsten Morgen lesen:"Der beste Schuhmacher in dieser Straße."

2)
Einige Jahre später gab es im Regionalprogramm des WDR abends zwischen den Werbespots immer einen Kurzfilm von wenigen Minuten Länge zu sehen.
Da saß nun ein Beamter im Patentamt und ein Erfinder kam herein, der eine Waffe patentieren lassen wollte. Die Erklärung und das Meldeverfahren wurde in verständlicher Verkürzung gezeigt, der Mann verließ mit dem Patent unterm Arm die Amtsstube. Es klopft an der Tür und herein kommt der selbe Mann, der einen Schutz vor der eben patentierten Waffe zum Patent anmelden möchte. Verfahren erledigt, er geht raus, es klopft, er kommt wieder rein, hat eine Waffe zur Überwindung des Schutzes vor der Waffe, er hat eine Waffe zur Vernichtung der Waffe usw. usw. Natürlich wird das ganze immer größer, mit anderen Worten: Es wurde uns die Aufrüstung begreiflich gemacht.
Endlich fragt dann der Patentbeamte, wer er, dieser Erfinder eigentlich sei.
"Ich? Ich bin der gesunde Menschenverstand."

09.01.2010

mach das, was du gerade machst

Ein Meister wurde von seinem Schüler nach dem Geheimnis seiner inneren und äußeren Kraft gefragt. "Das ist ganz einfach: ich mache das, was ich gerade mache. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Und wenn ich laufe, dann laufe ich"... "Das ist ganz einfach, das tue ich doch auch!", antwortete Schüler. "Nein", entgegnete der Meister. "Wenn du sitzt, stehst du schon. Wenn du stehst, läufst du schon. Und wenn du läufst, bist du schon mit deinen Gedanken am Ziel".

via Tori

07.01.2010

Xinxinming 12

隨照失宗  須臾返照  勝却前空 

Folge dem Schein, verliere das Ziel
einen Moment tritt zurück vom Schein
verzichte auf Erfolg, erreiche die Leere

Jeder findet in dieser Welt etwas, das wertvoll erscheint, Objekte, Dinge, Menschen, Ideale, irgendetwas ist für jeden dabei. Dem was uns wertvoll erscheint laufen wir das ganze Leben hinterher, dem dienen wir mit unserem Streben, dem widmen wir Arbeit, Aufmerksamkeit, unser Leben. Einem anderen mag das völlig schnuppe sein. Wir sind bereit, darum und dafür zu streiten, bestehen auf der Wichtigkeit, versuchen andere davon zu überzeugen. Aber wie das Wort schon sagt, es erscheint uns als wichtig, als bedeutsam. Es scheint und wir deuten. In Wirklichkeit ist das alles leer. Solange wir dem Schein folgen, solange sehen wir nicht das Ziel der Meditation.
Unsere Meditation soll uns zurücktreten lassen, Abstand nehmen lassen von der Bedeutung des Objekts der Begierde. Selbst die Meditation muss frei sein vom Streben nach Erfolg. Gelingt uns das für nur einen Augenblick, dann erkennen wir die wahre Natur der Dinge und die wahre Natur des Geistes. Dann stehen wir plötzlich vor der Leere, die in ihrer Natur leer ist.
Leere in der Leere.

随1照2失3宗4  须臾5返6照2   胜7却8前9空10

1 随  suí:  befolgen, folgen; nach Belieben; sich fügen; ähnlich; beiläufig, nebenbei; Sui (u.E.)  
2 照  zhào:  scheinen, leuchten; sich spiegeln; fotografieren; in Übereinstimmung mit (u.E.)  
3 失  shī:  ausfallen, scheitern; fehlen, fehlschlagen; verlieren (u.E.)  
4 宗  zōng:  ein großer Meister, Vorbild; eine ehemalige Verwaltungseinheit in Tibet ( Kreisverwaltung); Sekte, Fraktion, Schule; Sippe, Clan, Geschlecht; Vorfahre, Ahn, Ahnen, Ahnherr; Ziel, Zweck; sich eine wissenschaftlich künstlerische Schule zum Vorbild nehmen (wählen); ZEW für Anliegen, Kriminalfälle, Geldsummen, große Gütermengen (u.E.)  
5 须臾  xūyú:  Moment, Augenblick (u.E.)  
6 返 fan: zurück
7 胜  shèng:  Sieg, Erfolg, besiegen, übertreffen (u.E.)  
8 却  què:  aber, jedoch, dennoch; zurückweisen, ablehnen, ausschlagen (u.E.)  
9 前  qián:  vor, vorne, bevor (u.E.)  
10 空  kòng:  freie Zeit, Muße, Lücke; Himmel, Luft; leer, leerstehend, hohl, nichtig, haltlos, nichtsagend; vergebens, vergeblich, erfolglos, umsonst, für nichts (u.E.)  

02.01.2010

Die Unsterblichkeit kann angestrebt und erlernt werden

Das Pantheon der daoistischen Unsterblichen

Der Daoismus ist eine polytheistische Religion, deren Gottheiten ein Pantheon von Unsterblichen (1) bilden, die sich in drei Ebenen aufteilen.

Die erste Ebene besteht aus den Erhabenen Geistern des Ältesten Himmels (2); sie sind die Vollkommenen Geister des Ältesten Himmels (3), die bereits existiert haben bevor Himmel und Erde geteilt wurden. Sie umfassen die Drei Makellosen (4), die Drei Himmlischen Beamten (5,) die Vier Himmlischen Minister (6,) die Sternenfürsten der fünf Planeten und Sieben Sterne (7), die Vier Göttlichen Tiere und 28 Konstellationen (8), etc.

Die zweite Ebene beinhaltet die Vollkommenen Unsterblichen (9,) die das Dao erlangten nachdem Himmel und Erde erschaffen wurden. Genannt werden sie die Gottheiten des Späteren Himmels (10), denn sie waren ursprünglich gewöhnliche Menschen, die zu Unsterblichen wurden, nachdem sie das Dao kultivierten. Sie schließen die Drei Mao Fürstenbrüder (11), die Acht Unsterblichen (12) und andere ein.

Die dritte Ebene besteht aus Gottheiten der Volksreligion, die im Daoismus anerkannt werden, wie zum Beispiel die Türgeister (13), Geister des Wohlstandes (14), Küchengeister (15), Erdgeister (16), die mütterliche Herrscherin (17), Kaiser Guan (18), der Heilige Gründerkönig von Zhang (19), die Flussufer-Lady (20) , etc.

Bei näherer Betrachtung der Funktionen und spirituellen Eigenschaften der drei Götterebenen können wir erkennen, dass sie eine analoge Struktur zum vorherrschenden administrativen System der menschlichen Gesellschaften bildet. Unter ihnen, besetzen die Vollkommenen Weisen des Ältesten Himmels die höchsten Positionen. Sie sind zugleich omnipräsent (allgegenwärtig) und omnipotent (allmächtig). Dagegen können die volkstümlichen Gottheiten nur einen Aspekt des menschlichen Lebens beeinflussen, daher ist ihre Position niedriger.
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