In den letzten Tagen hatte ich viel Gelegenheit, mich - nicht gerade wehmütig - an meinen letzten Aufenthalt im September zu erinnern. Regen in allen möglichen Varianten. Das Mittagstraining findet wie üblich zwecks Meditation im “Ballsaal” statt. Ich war überrascht, wie gestern mein Körper, den ich sonst fast mit Gewalt in Meditationsposition bringen muss (weshalb ich Zuhause auch lieber auf die Meditation verzichte), sich auf einmal wie von selbst aufrichtete. Auch die Gedanken flitzten auf einmal nicht so hektisch durch den Schädel. Erstaunlich. Heute ist daran allerdings nicht zu denken, unruhig rutsche ich hin und her, finde meine Position nicht, die Füße schlafen ein…ich gebe auf und laufe etwas zwischen meinen Mitschülern, die alle selbstversunken auf den Matten sitzen, herum. Auch Bebe schnarcht ebenso selbstversunken zwischen den Schülern. Ich stelle mich ans Fenster und nehme wenigstens dort etwas Haltung an. Da beobachte ich auf einmal, wie der Nebel steigt. Die Berge kommen wieder zum Vorschein, sattes grün in allen möglichen Schattierungen, dazwischen immer wieder Wolkenfetzen und…die Sonne! Ich bin begeistert. Der Himmel ändert sich nun ständig, färbt sich in kräftiges blau, das Vogelgezwitscher wird wieder lauter - ja, es ist vorbei! Nach dem Regen ist die Luft wunderbar klar, die Silouette der Berge wie mit dem Messer geschnitten. Fantastisch. Was für ein Schauspiel. Und so wird mir Zeit, bis meine Kollegen wieder zu sich kommen, überhaupt nicht lang. Nun schauen sie alle, die Stimmung hebt sich - endlich wieder draußen trainieren. Ramona und ich nutzen die Gelegenheit, noch ein paar Runden Formen zu laufen, ich patsche bei meiner Form mit den vielen Tritten und Sprüngen ständig in Pfützen herum und schleudere das Wasser beim Treten dann auch noch auf mein weißes Trainings-Shirt - egal, jetzt können wir ja endlich wieder waschen. Und trocknen.
Am Abend machen wir mit Yi Ming einen Spaziergang bergauf, erst sehr gemütlich, Ramona und ich werden ständig ermahnt, doch langsam zu gehen. Weil wir doch so lange Beine haben…da fängt sie auf einmal an zu rennen, wir hinterher. Als wir um die Kehre kommen, sehen wir warum: gerade jetzt erwartet uns eine unglaubliche Szenerie: die Sonne geht glutrot hinter den Bergen unter. Als ein paar Wolken herankommen, färbt sich das rot in weiches rosa, der ganze Berg strahlt. Zauberhaft. Wohl dem, der eine Kamera dabei hat. Wir natürlich nicht. Ramona und ich hatten beschlossen, dass wir die Landschaft nun wirklich bis zum Abwinken abgelichtet haben. So kann man sich täuschen…
Zurück in der Akademie üben wir zunächst Qigongs, das passt genau zu dieser Atmosphäre. Als wir mitten im Trainingsgeschehen sind, geht auf einmal ein Raunen durch die Menge. Der Mond geht auf. Erst ein schüchterner Zipfel, noch von den Bergen verdeckt aber schon sehr strahlend. Dann steigt er auf, in voller Größe, riesig. Wir staunen. Vor dieser Kulisse zu üben - das Erlebnis nimmt uns keiner mehr!
Wir entscheiden, nach dem Unterricht das Naturschauspiel von draußen zu beobachten. Wir überlegen kurz, ob wir Guan um Erlaubnis bitten, entscheiden dann aber, dass dies ein klarer Fall von “lieber hinterher entschuldigen als vorher fragen” ist und schleichen uns heimlich wie die Insassinnen eines Mädchenpensionats aus der Akademie. Wir werden mit einem atemberaubenden Anblick belohnt: der Bergrücken hebt sich in dem satten Mondlicht scharf wie ein Scherenschnitt ab. Wir bleiben stehen, genießen die Ruhe, wir sind völlig allein und ohne die schnatternde Horde im Hintergrund hören wir nur noch die Blätter rauschen und hin und wieder einen Waldbewohner Laut geben.
Das ist schon einen Eintrag ins Klassenbuch wert.
Ui wie schön!
AntwortenLöschenDas war es in der Tat! Da hat sich ausnahmsweise meine Lästerzunge überhaupt nicht zu Wort gemeldet!
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