09.05.2021

Die Todfeinde des Sports


von Bertold Brecht

Der Sport hat hauptsächlich zwei Feinde, die ihm wirklich gefährlich werden können.

Erstens sind da die Leute, die aus ihm mit aller Gewalt eine hygienische Bewegung machen wollen.

Diese Sorte von Leuten arbeitet mit Vorliebe unter der Devise, Sport sei gesund, und versucht damit, in den Schulen und auch durch populäre Literatur das, was an wirklichem Sportgeist in den jüngeren Leuten steckt, für alle Zeiten zu ruinieren. Selbstverständlich ist Sport, nämlich wirklicher passionierter Sport, riskanter Sport, nicht gesund.
Da, wo er wirklich etwas mit Kampf, Rekord und Risiko zu tun hat, bedarf er sogar außerordentlicher Anstrengungen des ihn Ausübenden, seine Gesundheit einigermaßen auf der Höhe zu halten. Ich glaube nicht, dass Lindbergh sein Leben durch seinen Ozeanflug um zehn Jahre verlängert hat. Boxen zu dem Zweck, den Stuhlgang zu heben, ist kein Sport.
Der Zweck des Sportes ist natürlich nicht körperliche Ertüchtigung, sondern der Zweck körperlicher Ertüchtigung kann Sport sein.

Der zweite Hauptgegner des Sports ist der wissenschaftliche Fimmel.

Hierher gehören leider meistens mit besonderer Unterstützung der Presse die krampfhaften Bemühungen einiger »Kenner«, aus dem Sport eine Art »Kunst« zu machen. Diesen Kennern wächst jetzt schon wieder auf der bloßen Hand eine ganze Nomenklatur von Fachausdrücken, und die Tendenz geht immer mehr aus l'art pour l'art.

Im Boxsport äußert sich diese sportsfeindliche Tendenz in der Propagierung des Punktverfahrens. Je weiter sich der Boxsport vom K. o. entfernt, desto weniger hat er mit wirklichem Sport zu tun. Ein Boxer, der seinen Gegner nicht niederschlagen kann, hat ihn natürlich nicht besiegt. Sehen Sie sich zwei Männer an einer Straßenecke oder in einem Lokal einen Kampf liefern. Wie stellen Sie sich hierbei einen Punktsieg vor? Die Haupt-Todfeinde des natürlichen naiven und volkstümlichen Boxsportes sind jene Gelehrten, die an den Seilen sitzen und in ihre Hüte hinein Punkte sammeln.

Sie verstehen mich: je »vernünftiger«, »feiner« und »gesellschaftsfähiger« der Sport wird, und er hat heute eine starke Tendenz dazu, desto schlechter wird er.