10.11.2020

Das leere Boot



Ein junger Zen-Mönch fragt seinen Meister, wie er seinen Ärger besänftigen kann.

„Stell Dir vor, es ist ein nebliger Tag. Du bist mit deinem Boot draussen auf dem See. Durch den Nebel kannst du kaum etwas erkennen. Bis plötzlich ein anderes Boot durch die Schwaden genau auf dich zukommt.

Du wirst zornig. Du denkst: Na so ein Idiot, ich habe erst gestern mein Boot neu angestrichen … und schon kracht das fremde Boot in deins hinein. Du kannst die frische Farbe, die du gestern so mühevoll aufgetragen hast, geradezu abblättern hören. Zorn!

Dann schaust du genauer hin und siehst: das andere Boot ist leer. Niemand drin. Niemand, der dich absichtlich gerammt hat.

Dein Zorn verfliegt. Du seufzt und denkst: Ach was soll’s, dann muss ich demnächst eben noch mal streichen.“

Der Zen-Meister fuhr fort: „So ist es mit allem im Leben und mit allen Menschen, denen du begegnest und über die du dich ärgerst: Es ist, als würden wir von einem leeren Boot gerammt.“

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