18.04.2009

Die Einsamkeit des Bagua-Schleichers (1. und 2. Tag)

1. Tag
Wir kamen pünktlich zum Trainiungsbeginn 9:30 in der Akademie an und ich hatte auch nichts Eiligeres zu tun, als mich in die passende Kleidung zu gewanden und schleunigst hinter dem Tross in den Tempel zu joggen. Dort das Übliche: ein wenig die Treppen rauf und runter, Kicks, Taiji-Walk.
Unser eigentlicher Trainer Guan Yongxin hat sich die Haxen verknackst, humpelt am Stock rum und behauptet, morgen wieder fit zu sein. Alles no problem.
Derweil wird das Training der Gäste von Yi Ming und Li übernommen. Die beiden sind redlich und tun, was sie können, aber sie sind noch jung und nicht gerade erfahrene Lehrer. Wäre ich nicht gekommen, um Baguazhang zu lernen, hätte ich nach der ersten Korrektur meiner Taiji-Formen wieder abreisen können.
Am Nachmittag humpelte und hüpfte Meister Guan in den Ballsaal der 3. Etage, wohin unser Training wegen zu hoher Luftfeuchtigkeit verlegt wurde, schaute sich mein Taiji an, gab drei wichtige Bemerkungen ab, für die es sich gelohnt hat, her zu fahren, und wollte mein Bagua sehen.
Ich glaube er hat nach 10 Sekunden schon nicht mehr weiter hingeschaut. Seit dem übe ich den Bagua-Schritt und ich weiß, Baguazhang ist etwas anderes als das, was ich in den letzten Jahren unter dieser Bezeichnung gemacht habe.

2. Tag
Dass es nicht meisterlich war, ist mir schon klar, dass ich schon Besseres gesehen habe, auch. Aber jetzt weiß ich, dass es was ganz anderes ist. Etwas vollkommen anderes.
In der sitzenden Haltung schiebe ich die Füße aneinander vorbei und voreinander, den Flur rauf und wieder zurück. Schiebe die Füße flach über den Boden, fast ohne Berührung, erzeuge ich ein leicht schlurfendes Geräusch auf diesem Internatsflur mit den sich leicht aufwerfenden Fliesen. Damit das Schlurfen auch ja nicht zu leicht fällt. Die Arme halte ich zu den Seiten ausgestreckt. Damit komme ich gut durch den Gang, solange ich in der Mitte bleibe. Weiche ich ab, komme ich mit den Fingern an die Wand oder die Türrahmen. Prima Korrektur. Weil sowieso niemand hinguckt, nehme ich die Arme auch schon mal runter. Wenn's zu schwer wird.
Ich bin allein, alle anderen vergnügen sich mit Taiji-Schritten oder Formübungen im Ballsaal der 3. Etage. Ich weiß, dass sie sich auch alle quälen, außer denen, die sich das hier eher als Urlaub ausgeguckt haben. Aber hier ist kein Kurhaus, kein Ferienclub. Das hier ist was für Masochisten. Solche, die den Bund verpasst haben oder nicht genug davon bekommen können. Das hier ist das Paradies für Bekloppte. Nach ein paar Tagen fängt es erfahrungsgemäß an, Spaß zu machen.

In der Pause kam Meister Guan reingehumpelt. Ohne Stock. Ja, seinem Fuß geht es besser. Er macht auch schon ein paar Taiji-Schritte vor. Ob mir die Beine weh täten. Erst wollte ich wahrheitsgemäß sagen, dass sie mir nicht weh tun. Dann dachte ich mir, damit erwecke ich den Eindruck, nicht richtig trainiert zu haben und bestätigte eifrig, dass sie mir sehr weh täten. "Dann lauf zum Tempel und wieder zurück, dann tun die Beine nicht mehr weh." War aber nur Spaß.
Dann zeigte er Leher Li, was der mir beibringen soll und schon wünschte ich mich wieder in meine Einsamkeit und Trostlosigkeit der langweiligen Schritte zurück auf den Flur. Aber ich muss nun im Ballsaal bleiben, in der Mitte um die kunstvoll in den Boden intarsierte Blüte schleichen und Kehrtwendungen üben.
Draußen regnet's.

3 Kommentare:

  1. Georg2:45 PM

    "intarsierte Blüte" - sehr schön. Lohnt sich doch immer wieder, was von dir zu lesen.

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  2. Ach, da werden nostaligische Gefühle wach...mein Platz war immer zwischen Klo und Treppenhaus. Auch nett.

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  3. Gibt's auch Treppehochschleichen im Bagua?

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