02.04.2009

Der Newsletter für den Monat April

(für all jene, die ihn nicht schon per mail bekommen)

die Zeit rast dahin, der Newsletter ist längst überfällig. Also schnell, aber dennoch handverlesen ein paar Informationen aus dem Reich der Mitte. Ich meine jetzt nicht China, von dort kommt mein nächster Brief, ich meine die eigene Mitte. Jenes geheimnsivolle Nichts in unserem Innersten, welches weder räumlich noch zeitlich zu bestimmen ist. Worum sich alles dreht und so schwer ran zu kommen ist. Jener Bereich, in dem alles zusammenfließt, den manche fürchten und den andere als verbotene Zone betrachten.

Weil nach der christlichen Lehre uns Lebenden verwehrt sei, das Angesicht Gottes zu schauen, wird er umgeben von den Himmlischen Chören, den Engeln. Meine Nachbarin aus früherer Zeit, Hildegard von Bingen, hat dazu ein schönes Mandala gemalt.
Diese Bildform, mit der sich andere Kulturen ausführlich beschäftigen, soll uns zur Mitte führen. Im Chan-Buddhismus (Zen) ist es nur noch ein Kreis, ein leerer Kreis, wie auch bei Hilde in der Mitte.

Ich hatte mir vor einigen Tagen wieder das Buch mit der Geschichte vom Hirten und seinem Ochsen vorgeholt und war über die Sprache darin entsetzt. So kann man moderne Menschen nicht dafür gewinnen. Kennt jemand eine gute Übersetzung, eine, die man seinen Freunden vorlesen kann, ohne dass es peinlich wird?

Vor vielen Jahren hatte ich die Möglichkeit, mit der Gruppe Sequentia, die auch viel von Hildegard aufgeführt hat, unter der Leitung von Barbara Thornton (✝1998) für ein mittelalterliches Passionsspiel die Choreografie zu gestalten. Erst bei unserer letzten gemeinsamen Aufführung entdeckte ich die Bedeutung jener Szene, in der zwei Jünger mit dem leeren Tuch aus dem Grab kommen. Dieses leere Leichentuch, jenes "nicht-mehr-Vorhandensein" des Körpers finde ich ein viel mächtigeres Symbol, als der leidende Körper am Kreuz. Schade, da hat die Kirche eine Chance verpasst.

Was das mit unseren Bewegungs-Künsten zu tun hat? Nun, auch jene, die aus der Kampftradition kommen, sind entwickelt und gedacht, das eigene Leben zu schützen. Haben den selben Sinn wie die Übungen zum Erhalt der Gesundheit. Wer sich seiner Haut nicht wehren kann, ist schnell nicht mehr gesund. Es ist nur eine Frage der Größe, ob man sich gegen einen Virus oder einen Angreifer schützt. Es geht um das Leben, und auch in den Kampfschulen blickt man über das reine Überleben hinaus. Ob bei den Shaolin, den Wudang oder den Samurai, körperliche Einsatzfähigkeit und geistige Einsicht gingen und gehen miteinander einher.

Heutzutage und gerade hier im Westen wird immer gerne das eine gesehen und das andere wegdiskutiert. Für die einen steht der Kampf oder der Sport, für andere die Gesundheit und für dritte die Spiritualität im Mittelpunkt. Aber das alles sind nur Aspekte. Bekanntlich ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile und der tatsächliche Mittelpunkt ist leer.
In der Vielfalt das Einfache wieder entdecken, das ist eine Herausforderung. Denn einfach sein ist einfach schwer.

Ich wünsche Euch allen einen schönen Frühling, das Wiedererwachen der Natur

Yürgen Oster



Intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Mitte, der Leere und dem Heilsein:
Zurückkehren zum Ursprung Qigong der Wudang-Mönche
10. - 13. April Museum Insel Hombroich, Neuss

(wer den newsletter regelmäßig erhalten möchte, schicke mir bitte seine/ihre Emailadresse mit dem Hinweis Newsletter Abo)

8 Kommentare:

  1. Du willst nur von den Kommentaren nach dem letzten Beitrag ablenken!

    * gibt forro ein
    ** Toro!
    *** Oder Zorro!

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  2. Auf der Suche nach der eigenen Mitte sozusagen... Ich musste an Kierkegaard denken, der diese Suche als eine Elipsenförmige Bewegung um sich und das Selbst, dem man gegenübersteht beschreibt. Ein ewiges Kreisen um eine unbekannte Mitte, die eigentlich ein nicht-existierendes Schwarzes Loch ist. Eine Suche nach dem Nichts also?

    "Kierkegaard zeigt in seiner kleinen Schrift, dass Verzweiflung die Krankheit zum Tode ist. Die Verzweiflung hat eine bestimmte Struktur, die im „Selbst“ des Menschen begründet liegt. „Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das im Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.“ Kierkegaard nennt dieses Selbst, also den Menschen, eine „Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Zeitlichkeit und Ewigkeit, von Freiheit und Notwendigkeit“. Der Mensch, der in der Einheit dieser Verhältnisse ist, gründet selbst wiederum in Gott als dem Anderen. Und nur wer sein Selbst will und sich dabei zugleich in Gott weiß, kann der Verzweiflung des Unglaubens entgehen. Kierkegaard unternimmt also keine komplizierten Gottesbeweise, die die endliche Ratio in endlosen Argumentationen zerlegen könnte. Sondern er zeigt völlig klar, dass es des Sprungs vom Unglauben in den Glauben bedarf: Glauben heißt für ihn, den Verstand verlieren, um Gott zu gewinnen. Und auf dem Weg zu Gott gibt es zwei Arten der Verzweiflung, vor denen sich jeder hüten muss. Nämlich verzweifelt er selbst sein zu wollen (Trotz) und verzweifelt nicht er selbst sein zu wollen (Schwäche). Es sind gleichzeitig Formen des Selbstverlustes und des Verlustes Gottes."

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  3. Eine mir ebenfalls sehr angenehme Annäherung findest du bei Lacan. In dem Wiki-Abschnitt ist der letzte Satz der entscheidende.


    Zum Ochsen und seinem Hirten kam von Sylvia Luetjohann folgender Hinweis:
    ich kann gut nachvollziehen, dass Dir die Sprache bei der Zen-Geschichte Der Ochs und sein Hirte nicht zusagt. Vermutlich hast Du die Ausgabe aus dem Neske Verlag in der Übersetzung von Tsujimura und Buchner hervorgeholt. (wie Recht du hast)Es gibt eine ganz passable deutsche Version in Ohne Worte - ohne Schweigen, hrsg. von Paul Reps (könnte vielleicht vergriffen sein). Nicht vergriffen ist dagegen die mir persönlich gut gefallende Version von Chögyam Trungpa in Mudra, das ursprünglich bei Zero erschien und 2006 bei Windpferd nochmals aufgelegt worden ist.

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  4. "Dieser Artikel wurde in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen." Das ist der entscheidende Satz? Hm.....

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  5. och Georg! Abschnitt ist das Wort und zugegeben, wenn man nicht so schlau ist, das popup fenster groß zu ziehen, findet man nicht so leicht raus, was der Abschnitt ist. OK der Satz lautet: In seinem späten Werk, ab 1974, setzt Lacan das Objekt klein a in die Mitte seines Borromäischen Knotens, also an jene Stelle des Psychischen, an dem sich das Imaginäre, das Symbolische und das Reale überschneiden.

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  6. Georg6:55 AM

    Da stört mich z.B. schon, dass das Psychische eine Stelle haben soll. Aber ich halte ja Lacan auch für einen Blender mit vor allem viel Wortgeklingel, so wie Sloterdijk.

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  7. @Georg: Sloterdijk kenne ich zu wenig, um über ihn zu reden. Lacan hingegen halte ich für einen brillianten Betrachter der Psyche, dessen Denken sich zumindest dem Zen genähert hat, wenn wir ihn nicht sogar getrost in seinen letzten jahren einen Zen-Denker nennen wollen.
    Was die "Stelle" nun angeht, müssen wir über den Verfasser des Wiki-Beitrags reden, nicht über Lacan, denn wir wissen nicht, ob er jemals von einer Stelle gesprochen hat. Gemeint ist ja auch nicht eine Stelle des Psychischen, sondern jene Stelle in der Darstellung, symbolisiert durch den Borromäischen Knoten den alle drei Ringe überlagern. Es ist ja auch sehr schwierig, über die Psyche zu reden, ohne dabei Metaphern zu verwenden, die letztlich immer mangeln. Aber eben aus genau dem Grunde, als die Psyche jenen Bereich enthält, der sich einer Beschreibung entzieht. Und um den geht es uns ja hier.

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  8. Johannes Merkel kommentiert:
    Lieber Yürgen,
    vielen Dank für den guten Osterbrief. Ja, Hildegard hat mit ihrer Vision sicher Recht. Die Gott umgebenden Engel verhindern dabei nicht den Blick auf ihn, sondern führen hin. Gegen Ende schreibst du sehr richtig, dass es bei der Kampfkunst auf das "und" ankommt: Körper und gGeist und Seele in Harmonie. Das gilt auch für die "verpasste Chance": Aus dem Dunkel zum Licht, aus dem Tod zum Leben, aus der Bedrängnis in den Frieden. Das ist mit Tod und Auferstehung Jesu in einmaliger Form für uns geschehen, also Kreuz UND Tuch, ein lebendiger Mensch, gestorben, lebt weiter (Zweitrangig ist dabei, ob das Grabtuch in Turin echt ist). Aber das Tuch, von dem die Bibel berichtet hat schon eine enorme Bedeutung und Sprengkraft, die Fesseln des Todes sind gesprengt.
    Viel zuwenig wird auch der Karsamstag beachtet. Es ist schon ein sehr starkes Empfinden, wenn man da in eine Kirche geht und alles entblösst ist. Kein Altartuch, Kreuz, Kerzen, Blumen, der Tabernakel ist leer. Nur bleibt es nicht leer. Wir gehen nicht ins Nirwana, ins Nichts ein wie das leere Mandala suggeriert. Wir müssen leer werden, damit wir vom Göttlichen Licht erfüllt werden. Deshalb beginnt auch die Osternacht im Dunkeln, dann wird das Osterfeuer entzündet, daran die Osterkerze und dann verteilt sich das Licht. So habe ich gerne die Osternacht je nach Sonnenaufgang angesetzt um das Hellwerden auch zu erleben.

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