10.10.2008

Lilo in Wudangshan, die 8.

02.10.08

Nach einem ausgedehnten Pokerabend, an dem auch das eine oder andere Tröpfchen Bier geflossen ist, wuchte ich mich mühsam um 7.00 h aus dem Bett, dankbar dafür, dass ich um 8.30 h zum Training antreten darf. Ich stelle mir das relativ locker vor, eigentlich habe ich ja frei und Guan weiß das ja auch. Bestimmt weiß er das...

8.20 h. Ich kann Guan schon unten hören. Und sehen. Wedelt schon voller Tatendrang mit der Rosshaar-Peitsche. Arme Viktoria. Aber ich werde auch ein wenig üben, die Geschichte von gestern sitzt noch gar nicht, also nehme ich mein Schwert mit.
Wir kommen an und Guan schickt uns erst einmal warmlaufen. Kann nicht schaden, also trabe ich locker los. Mache ich ja auch sonst am Sonntag. Aber dann: Kicks! Das volle Programm! Och nee, ich habe Wochenende - Muskelregenerationstag! Guan hat zwar kein Schwert dabei, ich fürchte, das wird ihn aber nicht daran hindern, mich gnadenlos zu knechten und zu korrigieren. Und so kommt es dann auch. Ich habe in der Nacht fast nicht geschlafen und meine Konzentrationsfähigkeit ist nahe dem Gefrierpunkt. Genau der richtige Tag für ein intensives Einzeltraining. Guan lässt das alles ziemlich kalt, immer wieder muss ich die Form laufen, habe immer häufiger Aussetzer, es klappt überhaupt nichts, selbst Teile, die ich schon längst abgehakt habe...mit kommen fast Tränen. Vor Zorn. Irgendwann lässt Guan endlich von mir ab, tröstet mich ein bisschen. Das klappt schon noch.
Heute Nachmittag.

Auch über das Nachmittagstraining wollen wir lieber ein Mäntelchen des Schweigens hüllen. Ich bitte schließlich Guan, mich das böse Form-Teil kurz mit der Kamera abfilmen zu lassen, damit ich mir's heute Abend anschauen und dann das Notebook unter's Kopfkissen legen kann. Obwohl er so etwas überhaupt nicht schätzt, ist er einverstanden. Er spürt wohl meine Verzweiflung. Simon, der das Drama verfolgt, bemerkt mitfühlend "it is one of these days...es ist einer dieser Tage...". Kennen Alle.

Am Abend, als ich dann die Datei übertrage, stelle ich fest, dass die Wiedergabe ruckt, nur 3 Sekunden laufen, dann bleibt das Bild stehen. Das Original auf dem Chip habe ich selbstverständlich schon gelöscht.
Dieser Tag wird aus dem Kalender gestrichen!

03.10.08

Als um 5.00 h der Wecker aufmunternd klingelt, haue ich nur kurz und trocken drauf. Heute nicht! Zum ersten Mal, seitdem ich hier bin. Auch beim nächsten Versuch um 6.00 h schaffe ich den Aufsprung nicht. Also kein Frühstück, lieber ein paar Kekse und Kaffee im Bett. Hatte ja auch kein echtes Wochenende...wenig motiviert schleiche ich um 8.30 h zum Vormittagstraining. Guan hat wohl auch null Bock auf Maloche, spaziert lieber zum Zixiaogong und übt mit uns Kotau vor Zheng Wu. Auch recht. Also: Frauen übersteigen mit dem rechten Bein die kniehohe Türschwelle des Tempels, Männer machen das mit links. Beim Kotau werden zunächst die Hände zum "Bao Qian Li" geformt, das heißt, dass die rechte Faust (bei Frauen, bei Männern umgekehrt) die linke umfasst, der rechte Daumen wird in die linke Faust gesteckt, so dass das ganze mit viel Fantasie wie das Yin-Yang-Symbol aussieht, wenn man draufschaut. Die Bedeutung ist in etwa folgende (wenn ich alles richtig verstanden habe): Die geschlossene Faust stellt die Sonne, also Yang, dar. Die offene Hand ist der Mond, in dem Fall also Yin. Somit bedeutet das Handzeichen soviel wie "Einklang von Yin und Yang". Die Schriftzeichen von Sonne und Mond ergeben zusammengesetzt das Wort "Ming" - was "hell und strahlend" bedeutet. Auch dies eine Bezeichnung dieser Handhaltung. Erste Verbeugung im Stehen. Dann auf die Knie. Frauen legen nun die linke Hand mit Handfläche nach unten auf der Kniebank ab, dann die rechte Hand auf die linke. Männer machen es umgekehrt. Dreimal mit der Stirn bis zu den Händen beugen. Aufstehen. Ming. Im Stehen verbeugen, und wieder hinknien, insgesamt dreimal, abschließende Verbeugung im Stehen. Ist das auch endlich mal geklärt.

Danach dann doch ein bisschen Training. Bevor es losgeht, kommt Guan kurz zu mir: angesichts des gestrigen Desasters heute keine neue Bewegung. Da lege ich auch keinen gesteigerten Wert drauf. Ich hole Luft, setze an und...es läuft! Einfach so! Der Knoten ist über Nacht heimlich geplatzt. Keine Ahnung, warum ich mich gestern so blutarm angestellt habe, die Bewegung ist tatsächlich so einfach, wie Guan gesagt hat; einfach nur fließen lassen. Was mir gestern wie reiner Hohn erschien, ist jetzt völlig klar. Das war bestimmt Zheng Wus kleines Dankeschön für meinen Kotau. Das ist das schöne: es funktioniert auch, wenn man nicht dran glaubt...

04.10.08

Heute Morgen begrüßen wir einen neuen chinesischen Schüler. Das geht so: Guan bittet den Schüler vor die versammelte Mannschaft neben sich. Dann muss der Neue sich vorstellen und ein paar Worte an die Klasse richten. Dann sagt jeder seinen Namen und begrüßt den Neuen. Anschließender Applaus. So ähnlich muss es wohl bei den anonymen Alkoholikern zugehen, schießt es mir durch den Kopf. Wir sind ja auch irgendwie alle süchtig. Bis auf die Namen vielleicht. Sonst wär's ja nicht anonym...

Guan schaut sich das Ergebnis meiner gestrigen Bemühungen an. Er ist begeistert. Das äußert sich darin, dass er nicht meckert, sondern einfach kommentarlos sein Schwert packt und mir die nächste Bewegung zeigt. Zur Belohnung. Und weil ich so artig hinterherturne, zeigt er mir gerade noch den Rest der Form. Das ist ja wirklich nicht mehr viel - morgen könnte ich durch sein! Und habe dann noch etwas Zeit für all' die tausend Kleinigkeiten, wie "den Zeigefinger noch 3 Milimeter nach links", "die Klinge noch 4 Grad weiter nach oben richten", "das Ohrläppchen im 45°-Winkel zur Ferse" und so weiter...vielleicht noch ein bisschen "Kreise" üben...es gibt immer was zu tun. Und ich weiß genau: der Tag, an dem Guan nichts mehr zu kritisieren hat, ist der, an dem er glaubt, dass eine Korrektur reine Zeitverschwendung ist, weil ich einfach am Ende meiner Möglichkeiten bin - möge er also noch lange an mir herumnörgeln!

Ein schwarzer Tag in der Akademie: als ich mich nach dem Mittagessen zwecks Verdauungsglotzen aus dem Fenster hänge, beobachte ich das Training der lettischen Gruppe. Sie trainieren mit dem Langstock, offensichtlich irgendeine Form, die sie von zu Hause mitgebracht haben und die hier korrigiert wird. Wohl für eine Vorführung, es sind Partnerbewegungen mit mehreren Beteiligten, es scheppert ordentlich, macht natürlich schon etwas her. Träge schaue ich von oben zu. Plötzlich tut sich etwas. Hektik auf dem Spielfeld, Yi Ming rennt in's Haus. Da ich nicht richtig hingeschaut habe, habe natürlich nichts mitgekriegt. Dennis, der Arzt aus unserer Gruppe geht zu den Letten. Offensichtlich hat sich jemand verletzt. Der Verwalter fährt das Dao-Mobil aus der Garage, lädt den Letten und Yi Ming ein. Die Stimmung ist schon weniger aufgeregt, offensichtlich nichts Schlimmes. Nun will ich es natürlich auch wissen, es ist eh' Zeit für's Training. Ich frage Dennis, der mir bestätigt, dass sich der Anführer der Letten beim Stocktraining eine Platzwunde in's Gesicht eingefangen hat. Dennis ist sehr zurückhaltend in seinen Äußerungen und neigt auch nicht zum Lästern. Wenn er allerdings sagt, dass - hätte der gute Mann nicht so furchtbar vom Leder gezogen und Show gemacht - das bestimmt nicht passiert wäre, wird da wohl was dran sein. Das rundet mein Bild ab. Nach 2 Stunden kommt das Dao-Mobil zurück, der Lette sehr dramatisch verklebt aber heroisch lächelnd. Was für ein Mann...wenn er Glück hat, gibt es 'ne Narbe, die er dann stolz als Kriegsverletzung aus Wudang präsentieren kann...

Für meine lästerlichen Gedanken, die einer aufrechten Wudang-Kriegerin einfach unwürdig sind, werde ich prompt bestraft.

Heute steht wieder das allseits beliebte Extrem-Srishing an. Guan fordert uns zu einer Partner-Übung auf, bei es darum geht, Rücken an Rücken den Partner an den Armen über's Kreuz zu ziehen. Viktoria setzt an, ich spüre nur noch einen stechenden Schmerz in der Schulter, dann nur noch schwarz. Offensichtlich hat sich in dem schmalen Nerven-Kanälchen irgendetwas eingeklemmt, es tut höllisch weh und das lasse ich meine Umwelt auch wissen. Nein, ich schreie nicht und heule auch nicht, verliere nur schlagartig alle Farbe aus dem Gesicht, wie Jen später beeindruckt erzählt. Guan kommt angerannt, redet auf mich ein, ich kann ihn nur leider nicht hören, weil das Blut so in den Ohren rauscht. Der Kreislauf ist völlig abgekippt vor Schmerz. Nun ist auch Dennis, der Mann des Tages, da und fängt an, Akupunkturpunkte zu drücken, einer unter der Nase ist besonders schmerzhaft aber wirkungsvoll, ich höre jetzt endlich, was Guan will: ich soll den Arm heben. Würde ich ja gerne. Geht aber nicht. Dennis schleppt mich zum Rand des Spielfelds, behandelt mich noch ein wenig, bis alles wieder rund läuft, dann zurück zur Truppe. Weiter im Programm. Bin ja nicht aus Zucker. Besonders nicht, wenn alle kucken.

Was hatten wir noch? Ja, einer unserer besonders gelenkigen Mitstreiter ist bei dem Versuch, eine Brücke von oben mit geradem Rücken zu schlagen (für Laien: das geht nicht!) trotz Hilfestellung voll auf dem Kopf gelandet. Das sah so urkomisch aus, dass wir uns alle ein Lachen nicht verkneifen konnte, was natürlich wieder einmal eine Standpauke nach sich zog.

Dann mussten wir ein Wettrennen veranstalten, bei dem unser Neuer, der mit dem glitschigen Untergrund natürlich noch nicht so vertraut ist, volle Länge hingeschlagen ist. Ja, Dennis hatte heute alle Hände voll zu tun mit der Betreuung. Und Guan war bestimmt gottfroh, dass dieser verhexte Tage ohne Schwerverletzte zu Ende gegangen ist. Hat sich dann auch vergewissert, dass alle unfallfrei in's Bett gekommen sind.

Soviel fuer heute - ich wuensche eine schoene Woche

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