23.04.2010

Regen bringt Segen

Man kann zusehen, wie sich innerhalb eines Tages die letzten kahlen Bäume einkleiden. Der Boden stülpt sich in in vielformiges Grün, garniert mit Knospen und Blüten. Noch nie habe ich Wudangshan so farbig erlebt, noch nie ist mir die Vielfalt der Pflanzen so bewußt geworden, wie dieses Jahr. Dieses Stück Welt ist gesegnet, hierüber wacht ein besonderer Geist. Oder Spirit, wie der Eso sagt. 
Als der Yongle Kaiser vor sechshundert Jahren hier jede Menge Tempel, Paläste, Tore und Brücken errichten ließ, erklärte er gleich das Territorium zu kaiserlichem Forst, womit verboten war, Bäume zu fällen und zu jagen.
Jetzt, wo es zur touristischen Attraktion ausgebaut werden soll, verbietet der Status des Weltkulturerbes, die Landschaft mit Hotels voll zu klotzen. Sonst würde es passieren. Stattdessen wird unten in Laoying am Eingang zum Gebirge eine neue Touristenstadt errichtet, parallel zu der Gründung der Stadt, denn hier lebten die Handwerker und alles was zur Versorgung nötig war, als Yongle, der Größenwahnsinnige, Zhen Wu huldigte und sich gleichzeitig eine Fluchtburg bauen ließ, denn er fürchtete die Rache seines Onkels, den er entmachtet hatte.
Zhen Wu, der Beherrscher des nördlichen Himmels ist gleichzeitig ein Wassergott. Nicht so einer wie Neptun, der das Meer beherrscht, sondern des Wassers an sich. Das Wasser der Wudangberge ist heilig, aber nicht so wie Lourdes. Hier gibt es keine Spontanheilungen. Aber was weiß ich. 
Gestern konnte ich auf dem Tianzhu, dem Himmelspfeiler, vor dem Goldenen Gipfel, diesem Monstrum von massivem Messingtempel in 1600 Meter Höhe, dort konnte ich einer, ach was, mehrerer Trancesessions beiwohnen. Man machte das einfach. Geschmückt mit vielen bunten Ketten und Armbändern, bunten Stammtischfahnen oder einem okkulten Gerät, fummelten sich kleine Gruppen oder Einzelne durch eine Art Qigong mit Singsang in eine taumelnde, augenverdrehende Trance, warfen mit Orakelbohnen um sich, während Pit, unser Artist, auf einer Felsnase einen Handstand machte. Er machte das einfach. Wenn einer von der Aufsicht eingeschritten wäre - aber was hätte der auch tun können? ihn runterschubsen? - dann hätte ich behauptet, das könne er auch nur in Trance und mache das zu Ehren von Zhen Wu. Das wäre durchgegangen. Stattdessen aber fragt mich die junge Frau, die es beobachtet hat, wie alt Pit sei. Ob sie ihn als Heiratskandidat in Betracht gezogen hat?
Auch so könnte dann sich regen einen Segen im Schlepp haben.

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