29.04.2013

Lernen

Lernen ist nicht möglich ohne die Vorstellungskraft. Im System der 5 Wirkphasen ist es der Erde-Aspekt des Geistes und wird in der daoistischen Philosophie Yi genannt. Man muss das, was man sieht oder hört sinnvoll speichern und verstehen. Man muss es erinnern können, um es zu wiederholen. Das ist der Vorgang des Lernens.

Lernen kann allerdings auch verhindert werden durch die Vorstellungskraft, nämlich dann, wenn sie sich vor die Erfahrung schaltet, wenn man glaubt schon zu wissen, was man lernen soll. Oder wenn man sich vorstellt, es nicht lernen zu können, ohne es versucht zu
haben.
Der Lehrer zeigt etwas und der Schüler denkst dabei, aha, schon verstanden, aber in wenigen Minuten, weiss er nicht mehr den geringsten Teil davon.
Oder: Der Lehrer zeigt etwas und der Schüler denkt dabei, ojeh, das versteh ich nun überhaupt nicht. Dann ist schon die Türe zu.
Es braucht Offenheit. Die Bereitschaft, etwas aufzunehmen. Wer glaubt, zu verstehen, ist nicht offen, da ist die Türe zu.
"Wir geben nichts, wir kaufen nichts, wir haben schon eine Religion." Ist die Türe zu, gibt es keine Chance.

Vor der Erde kommt das Feuer, die Erde wird von Feuer genährt. Deshalb habe ich gesagt, die Erde frisst das Feuer, bzw. Yi frisst Shen. Genau das aber geschieht, wenn das Erfahrene nicht im Feuer geläutert wird. Das klingt etwas dramatisch, ist aber letztlich sehr zutreffend.
Wahrscheinlich werden wir in der Informationskultur mit dermaßen übermäßig vielen Eindrücken gefüttert, dass wir nicht mehr bereit sind, daraus echte Erfahrungen zu sammeln, die uns bereichern könnten. Die Tasse ist randvoll.

Wir lassen nichts mehr an uns ran und letztlich perlt es von uns ab wie von einem Lotus-Anstrich. Dabei bekomme ich immer wieder zu hören, man könne alles lernen. Das nenne ich eine Pipi-Langstrumpf-Philosophie: Ich mach mir die Welt, widdewiddewie sie mir gefällt.
Na dann lernt doch Levitation, Telekinese und Gedankenübertragung. "Wenn nur genug von uns etwas für wahr halten, dann ist es für alle wahr."
Was übrig bleibt ist Ironie.

Was fehlt, ist das Herz. Lernen setzt voraus, etwas von ganzem Herzen zu wollen, sein Herz dafür zu öffnen. Dann können Informationen zu Eindrücken werden und Eindrücke werden erfahrbar und formen das Wesen.
Mit offenem Herzen ist man durchdrungen und wird eins. Das ist Lernen.

Have a rest

27.04.2013

Morphische Felder

Als morphisches Feld, bezeichnete der britische Biologe Rupert Sheldrake ein hypothetisches Feld, das als „formbildende Verursachung“ für die Entwicklung von Strukturen sowohl in der Biologie, Physik, Chemie, aber auch in der Gesellschaft verantwortlich sein soll.
Er stützt seine Hypothese auf verschiedene Erfahrungen aus der Biologie, zum Beispiel Labyrinthversuche mit Ratten, aber auch auf noch ungeklärtes "Lernverhalten" bei der Züchtung von Kristallen. Auch wird gerne der moderne Mythos vom Hundertsten Affen angeführt. Der „Selbstentwicklungs“-Guru Ken Keyes erklärt solche Phänomene folgendermaßen: „Wenn eine kritische Anzahl ein bestimmtes Bewusstsein erreicht, kann dieses neue Bewusstsein von Geist zu Geist kommuniziert werden.“

Ich hätte nun hier noch eine andere Beobachtung anzubieten, welche die Existenz morphischer Felder belegen könnte. Im Jahre 2007 wurden hier auf den Wudangbergen öffentliche Busse eingeführt, um den Verkehr zu beruhigen. Bis dahin fuhren beliebig Reisebusse, Taxis, LKWs und PKWs auf der schmalen Straße, nun außer den Bussen nur noch Fahrzeuge der hier ansässigen Menschen (und jenen, die es sich leisten können, genug für einen "Passierschein" zu zahlen). Jedenfalls hat es den Betrieb beachtlich reduziert. Wir konnten nun erstaunt beobachten, dass dem gemeinen Chinesen anscheinend das Busfahren auf kurviger Strecke nicht besonders bekommt. Schon am Einstieg beim Fahrer hingen Plastikbeutel, die auch reichlich dazu benutzt wurden, die letzte Mahlzeit wieder aufzunehmen. Nun ließ sich von Jahr zu Jahr beobachten, dass die Anzahl der Menschen in diesem bedauernswerten Zustand abnahm. Heute hängen keine Tüten mehr in den Bussen, Übelkeit ist einigen anzusehen, aber meistens beherrschbar.

Es gibt dazu mehrere Erklärungsmöglichkeiten.
1) Die Chinesen sind inzwischen durch häufigere Reisen das Busfahren gewohnt.
2) Die kurvenreiche Strecke in den Wudangbergen hat sich rumgesprochen und schwache Mägen kommen nicht mehr hierher.
3) Morphische Felder

"Wenn nur genug von uns etwas für wahr halten, dann wird es für alle wahr." (Lyall Watson)


Da ich nicht weiß, ob die integrierten Links im Blog übernommen werden, hier noch einmal:
http://de.wikipedia.org/wiki/Morphisches_Feld
http://de.wikipedia.org/wiki/Hundertster_Affe

25.04.2013

Beweggründe

Letztes Jahr, als die Straße neu asphaltiert wurde, mussten wir immer ein Stück des Weges, entlang der aktuellen Baustelle, zu Fuß laufen, da die Busse dort nicht vorbei konnten. Sie hielten immer schon vorher und der nächste Bus stand auch nicht immer direkt hinter der Baustelle, denn sie mussten dort halten, wo sie auch drehen konnten. Eines Tages waren
wir schon ein Stück gelaufen, vor uns vier Jungs aus der Akademie, die plötzlich an einer Stelle über die Leitplanke stiegen und einen schmalen Pfad bergab liefen in Richtung Stadt. Wir folgten ihnen und lernten so diese Abkürzung kennen.
Heute wollten wir diesen Pfad zurück gehen, verfehlten ihn, kletterten durch duftende Mandarinenhaine steil bergan, bis wir endlich, kurz vor der Straße, auf den alten Pfad stießen. Oben angekommen, während wir rasteten, machte ich den Vorschlag, wenn es sich nicht als zu weit herausstellen sollte, die Schule von Meister Chen Shiyu am Huilong
Tempel zu besuchen.
Wir machten uns auf den Weg, aber nach wenigen hundert Metern überholte uns ein SUV, ich warf einen kurzen Blick hinein und rief gleich: "Zhong Xueyong!" Mein alter Freund und erster Lehrer hier in den Bergen.
Er hatte mich auch erkannt, hielt an und ließ uns einsteigen. Warum wir denn liefen, statt mit dem Bus zu fahren, wollte er wissen. Noch während ich nach den Worten suchte, ihm unseren Beweggrund zu erklären, ging es mir durch den Kopf:"Um dich zu treffen."
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24.04.2013

Aus neu mach alt

Wenn es mal gut geht mit den Erneuerungen, dann entsteht zum Beispiel der neue YuXu Palast unten in der Stadt Laoying . Der Palast ist nicht neu, im Gegenteil. Aber sein Zustand.
YuxuGong wurde 1413 erbaut, mit 2000 (zweitausend) Räumen eine der größten Anlagen in Wudangshan überhaupt, bis zu seiner Zerstörung 1745. Heute stehen in der den Bezirk umgebenden Mauer noch die Reste der Türme und Tore, auch diese bis vor kurzem noch dachlos wie Zahnstummel inmitten verwilderter Plätze. Einige der in Laoying ansässigen Kungfu-Schulen nutzen die Anlage zum Training. Zwischenzeitlich wurden die Dächer wieder hergestellt, die Gebäude gesäubert aber nicht komplett saniert, so dass der Eindruck des Alten erhalten blieb.
Das verdient eine besondere Erwähnung, weil inzwischen viele Tempel und Tore komplett saniert wurden, Tore und Fenster neu eingesetzt, wobei zu betonen ist, bisher immer aus Holz und in sauberer handwerklicher Ausführung. Auch die Bemalungen wurden restauriert, sicher in den früher auch üblichen kräftigen Farben, die an anderen Stellen noch verblasst zu sehen sind. Das lässt romantisch verblendete Besucher oftmals entrüstetet aufwallen ob der Kulturschändung. Ihnen sei zur Beruhigung gesagt, dass bei dem Klima, den starken Temperaturschwankungen und der Feuchtigkeit in ein paar Jahren alles wieder wie alt aussieht.

Was auch sehr alt aussieht sind die Bewegungen des Tai Yi Quan, die mit zeitgenössischen Vorstellungen von Kungfu, wie man es in den zunehmend auch im Westen populär werdenden Martial Arts Filmen sehen kann. Hatte ich mir vorgenommen, diese Technik bei diesem Aufenthalt zu lernen, kamen mir  die Wiederholungen oder immer wieder ähnlich aussehenden knappen Bewegungen doch zu irritierend vor. Statt dessen beschäftige ich mich mit der antiken Version des Wu Xing Qi Gong, auch fünf Tiere genannt. Ich bitte an dieser Stelle jene um Nachsicht, die bei mir letzten Sommer die moderne Version gelernt haben. Aber ehrlich, jetzt fühlt sich die Schildkröte wie eine Schildkröte an. Tiere, die dafür berühmt sind, sehr alt zu werden.