19.05.2008

Reise Frühjahr 08 Teil 4


Die Geschichte wird lang, denn ich habe sie mit Lilos Bericht von diesem Ereignis verquickt. Damit man es auseinanderhalten kann, Lilos Anteil in kursiv.
Letztes Jahr wollten wir gerne zum Wulonggong, dem Palast der 5 Drachen, dem ältesten Tempel hier in Wudangshan. Wir haben (heute weiss ich "Gottseidank") den Weg nicht gefunden, aber unser Lehrer Guan hat uns versprochen, beim nächsten Mal mit uns dort hin zu gehen. Das nächste Mal war vorgestern. Ich hatte ihn bei unserer Ankunft noch mal an sein Versprechen erinnert.
Bekanntlich hatte Yuergen ja die glorreiche Idee, mit uns einen kleinen Spaziergang zum Wulonggong-Tempel zu machen, was Meister Zhong nach anfaenglichem Zoegern ja auch mit uns durchziehen wollte. Am Montag liess er uns dann wissen, dass er daraus einen Wandertag fuer die ganze Akademie - inklusive der Auslaenderklasse - geplant hat. Am naechsten Morgen um 8.00 h sollte es losgehen.

Nachdem wir muehevoll das Fruehstueck um eine Stunde vorbestellt hatten (die Herrin des Speiseraums, die zwar ausgesprochen verbindlich und auch bemueht ist, neigt dazu, jede unserer Entscheidungen und Bitten gruendlich zu hinterfragen, was manchmal ein klein wenig ermuedend ist - ich nenne sie fuer mich "die Gouvernante") - auch hier natuerlich wie immer die Frage "Wei shenme"? - Warum wollt ihr frueher fruehstuecken? Wir erklaeren es ihr gehorsam und erhalten als Dank am naechsten Morgen ein superleckeres und aeusserst gehaltvolles Wande rerfruehstueck, das keine Wuensche offen laesst. Offenbar weiss die Dame, was auf uns zukommt. Ich nehme klugerweise einiges zu mir, obwohl die letzte Nacht nicht eben vergnuegungssteuerpflichtig war. Mir ist es natuerlich auch gelungen, Yuergen Anteil haben zu lassen, so dass wir beide ziemlich schlecht aussehen. Ramona hatte eine aehnlich unterhaltsame Nacht, hatte ihren Auftritt wohl aber zu spaeterer Stunde, sonst haette ich das ja mitgekriegt, unsere Zimmer sind nur durch eine Sperrholz-Schrankwand getrennt, eine Konstruktion, die Ramona und mir schon im letzten Jahr sehr viel Freude geschenkt hat. Frei nach dem alten Meister Cheng Man Ching: Es gibt keine Geheimnisse. Nach dem Essen huschen wir noch schnell auf unsere Zimmer um uns startklar zu machen, Yuergen zieht sich zur Meditation ins Kachel-Kabinett zurueck, da klingelt das Telefon. Ich starre den Apparat entgeistert an, weiss einen Moment lang nicht was tun, aber meist der erste Gedanke der Beste, ich gehe dran und melde mich forsch mit "Wei?" - Stille am anderen Ende der Leitung. Irgendwann knurrt es auf der anderen Seite, ich verstehe zwar nichts, aber so eine Stimme hat nur einer - "Guten Morgen, Meister Zhong" - der Meister, der wohl zum einen nicht mit einer chinesischen Ansprache und zum anderen nicht mit einer Frauenstimme gerechnet hatte, wenn er Yuergen anruft, hat sich wieder gefasst. Die Konstellation unserer kleinen Gruppe versteht er eh nicht, ich lasse ihn gerne in seinem Glauben, dass Yuergen sich hier mit seinem Harem einen Wellness-Urlaub leistet. Es stellt sich heraus, dass alle schon ungeduldig warten, offensichtlich hatte Zhong allen - ausser uns - gesagt, dass es schon um 7.30 h losgehen soll. Ich kuendige unsere Ankunft in 5 Minuten an, zwitschere noch boshaft in den Hoerer, dass Yuergen noch auf dem Klo hockt, wir alle ihn aber ermutigen werden, einen Zahn zuzulegen. Ich verkuende die Neuigkeiten Richtung Toilette und Wandschrank und wir schaffen den Auf bruch tatsaechlich in der versprochenen Zeit.

Wir werden bereits ungeduldig erwartet, die Schueler stehen wie immer gesittet in Zweierreihen aufgestellt und von ihren Lehrern bewacht in Reih' und Glied, bepackt wie die Maulesel, wie immer in ihre Trainingskluft gewandet mit leichten Trainingsschlaeppchen an den Fuessen. Leicht beschaemt betrachte ich unsere Hochgebirgs-Ausruestung und weiss jetzt schon, wer hier wieder das Rennen machen wird. Bebe, meine vierbeinige Freundin, die ich schon im Herbst kennen und hassen gelernt habe, will sich wohl eine kurze Auszeit von ihren Mutterpflichten goennen, 4 Lausbuben blicken dem schwindenden Euter wehmuetig hinterher. Ich freue mich schon darauf, wie die Hundedame meine Frustrationstoleranz strapazieren wird, wir haben bereits gemeinsam den Tianzhu erklommen, ein Erlebnis, an das ich nicht unbedingt gerne zurueckdenke. Wir laufen zu unserer E inheit, Guan hat die ehrenvolle Aufgabe, die Auslaendergruppe beeinander zu halten, er wirkt leicht angespannt, er hat wohl - was die Disziplin der Truppe angeht - leichte Befuerchtungen und schaetzt damit die Lage sehr realistisch ein. Schon das Abzaehlen geraet zur Katastrophe, ich sehe Guan an, dass er viel lieber ganz woanders waere. Sei's drum, wir spazieren los, im Gaensemarsch biegen wir in den naechsten kleinen Pfad ein, ca 60 Leute hintereinander, ein huebsches Bild.

Um 8 Uhr stand die gesamte Mannschaft der Akademie startklar, alle Schueler und Studenten sowie alle derzeit anwesenden Auslaender (mit uns 12) und los ging es. 60 Menschen im Gaensemarch ueber schmale Pfade bergauf, das richtige für Gemsen, aber für Städter wie wir...?
Gemuetlich erklimmen wir den ersten Huegel, wir muessen - wenn ich Zhong richtig verstanden habe - erst unseren "Hausberg" hochklettern, dann auf der anderen Seite ganz runter ins Tal, dann brauchen wir nur auf der anderen Seite wieder rauf zu laufen und schon sind wir da. Ganz einfach. Der Pfad verlaeuft sich immer mehr, ist manchmal kaum noch zu erahnen, gluecklicherweise sieht man hin und wieder im Dickicht rote Ba ender, die den "Weg" markieren. Wir laufen durch Bambuswaelder, die Voegelein zwitschern - es koennte wunderschoen sein, man muss nur die schnatternde Horde Halbwuechsiger, ausgestattet mit einer beeindruckenden Anzahl von Mucke-Maschinen, die es natuerlich zu uebertoenen gilt, ausblenden...

Je hoeher wir kommen, umso schmaeler wird der Weg, eher fuer Bergziegen als fuer Menschen gemacht...hin und wieder sehen wir Ueberbleibsel aus laengst vergangenen Tagen, uralte Treppenfragmente (natuerlich!), Bruecken. Ich habe eine Vision von brueckenbauenden Bergziegen, muss wohl die Hitze sein. Wir haben den Gipfel erreicht und rutschen nun mehr als dass wir laufen Richtung Tal. Ich versuche krampfhaft, nicht auf meinem Allerwertesten zu landen, erst als der erste von den Kleinen eine satte Arschbombe hinlegt - natuerlich unter ordentlichem Applaus der Umstehenden - werde ich lockerer und lande auch das eine oder andere Mal auf dem Hintern. Ueberhaupt fuehle ich mich oefter mal an meine Vergangenheit als Personenunfall-Sachbearbeiterin erinnert...man sollte sich nicht immer allzuviel Gedanken machen - no risk, no fun!

Die Disziplin hielt sich auch recht schnell in Grenzen, die Kleinen drängten nach vorne als ob es dort was umsonst gäbe und bald war ich der einzige Nichtchinese unter den ersten 10. Weil der Rest immer wieder zurückfiel, mussten ständig Wartepausen eingelegt werden, was ich beim Wandern nicht mag. Sowas ermüdet. Nicht die kleinen Chinacken. Wenn ich mich keuchend einen Anstieg hochdrueckte, dann konnte es schon mal vorkommen, dass so ein Kurzer, der eben noch da rum gesessen hat. mal flott die Treppen hochsprang, als sei er gerade erst gestartet. naja, die Kerlchen sind ja alle etwas jünger als ich. Gönn ich ihnen den Spass
Nach gut drei Stunden lagerten wir in einem wunderschönen schattigen Tal an einem romantischen Bachlauf.
Im Tal angekommen erwartet uns eine wunderschoene Flusslandschaft mit Felsen zum Draufrumlungern und allem was dazugehoert. Die Schueler schmeissen sich sofort hemmungslos ins Wasser, waehrend wir uns natuerlich erst einmal darueber Gedanken machen, ob wir oeffentlichkeitstaugliche Unterkleidung haben, und wie man sich am besten abtrocknet und was ist wenn die Schuhe nass werden und dann koennte man sich eine Blase holen und wir haben ja noch einiges an Weg vor uns und wenn wir erst mal sitzen...achja, es koennte alles so einfach sein.
Temperatur so um die 30 grad. T-shirt nass gemacht und weiter gehts, eine prima Klimaanlage. Nach dem Tal ging es nur noch steil bergauf, alles Stufen in unterschiedlicher Höhe, oben ein wüstes Ruinenfeld. Das hatte ich nicht erwartet. Hier haben die Aufräum- und Aufbauarbeiten gerade erst begonnen und hier ist viel zu tun. Nach der ersten Überraschung dann doch begriffen wie grossartig und vor allem wie fantastisch gelegen diese Anlage ist. Grandios.

Schweren Herzens verlassen wir diesen idyllischen Ort und machen uns an den naechsten Aufstieg. Fast ausschliesslich sehr steile, halb ver fallene Treppen. Mir graut es vor dem Rueckweg. Noch kann ich ganz ordentlich mithalten, trotz leichter Magenprobleme schaffe ich es, im vorderen Drittel zu klettern, das Ausdauertraining zahlt sich voll aus. Ich laufe hinter Yuergen, wir sind die Vordersten der Laowais, Guans Plan, die Langnasen vorneweg laufen zu lassen, damit sie das Tempo angeben und auch nicht verloren gehen, ist natuerlich gescheitert, man laeuft lieber hinten, laesst sich nicht hetzen und mit den Kleinen kann sowieso keiner mithalten. Wir kommen auch hier zur allseitigen Ueberraschung irgendwann am Gipfel an, die Vegetation lichtet sich, wir laufen nun in praller Sonne, ploetzlich stehen wir vor ein paar Mauern - der Tempel. Ich bin zunaechst enttaeuscht, hatte etwas anderes erwartet, so etwas wie den Zixiaogong (vielleicht mit einer Strasse mit Busverkehr und eine paar Verkaufsstaenden...) - hier gibt es: nichts, nada! Erst auf den zweiten Blick erschliesst sich die Majestaet dieser alten Ruinen, irg endwann kehrt auch Ruhe ein, selbst die unermuedlichen Schueler sind irgendwann still, ich moechte mir einbilden, dass sie die Atmosphaere dieses heiligen Ortes spueren.
Wir machen unseren Kotau und bewundern die voellig verwitterten Statuen in dem einzigen Gemaeuer, das noch ein Dach hat. Ein alter Einsiedler haelt den Opferofen am Rauchen, ein Ort des Friedens. Wir verbringen unsere Mittagspause dort, ausser uns ist kein Mensch hier. Ich mag gar nicht an den Rueckweg denken, wieder habe ich eine Vision, diesmal von einem Glas kuehlen Weizenbiers...ich lasse Yuergen daran teilhaben, wir fantasieren noch ein bisschen, unser Plan steht fest, heute abend kein lauwarmes Bier in Probierglaeschen sondern - sobald wir Nanyang erreicht haben - die naechste Verkaufsbude gestuermt, fuer jeden ein 0,75 l Bierchen - und zwar kalt! - gekauft und noch am Strassenrand abgekippt, danach noch ein Eis, danach sind wir entweder tot oder endlich wieder gesund!


ca. eine Stunde oder anderthalbe Pause, dann langsam Rückweg.
Früher Nachmittag, sehr heiss untem am Bach wieder das T-Shirt nass gemacht. jetzt ging es vorwiegend langsam bergan, auf Dauer anstrengender als der steile Anstieg. Die älteren Lehrer hatten sich schon früher abgesetzt und für einen kürzeren aber schwierigeren Rückweg entschieden (wahrscheinlcih Schwindel und die haben sich ein Drachentaxi genommen) Unsere Sherpas entschieden, den Weg über Nanyan zu nehmen, der uns allen als weiter vorkam. Schönheiten der Landschaft verschwanden hinter den Wasserrationierungen, den schmerzenden Beinen, nur hin und wieder mal ein kurzer Blick und die Erkenntnis, dass es hier verdammt schön ist.

Als die groesste Mittagshitze vorbei ist, sammelt Meister Zhong seine Mannen, die Aelteren haben das Vergnuegen, eine steilere Strecke zurueckzugehen, waehrend wir den zwar etwas weiteren aber angeblich komfortableren Weg ueber Nanyang laufen sollen. Wir sind's zufrieden und begeben uns mit den Kleinen und Halbwuechsigen auf den Rueckweg und nehmen dabei kleinere Unsicherheiten ueber den Wegverlauf gerne in Kauf. Ausserdem haben wir ja Bebe als Blindenhund dabei, da kann ja gar nichts schiefgehen. Es zeigt sich allerdings, dass auch unsere "Light-Version" alles verlangt: das eher frugale Mittagsmahl, das bei mir aus einem klebrigen Karamell-Erdnuss-Riegel und einer Dose diverser Huelsenfruechte mit undefinierbaren Fruechten an Reisschleim, ueberreicht von Wang, der peinlich den ordnungsmaessen Verzehr dieser Koestlichkeiten ueberwacht hat , bestand, hat sich laengst verbraucht, Wasser ist auch keins mehr da, ich muss eingestehen, dass ich langsam an meine Grenzen komme. Wieder habe ich eine Vision - ich erinnere mich an Kindertage, als ich mich in einer solchen Situation einfach mit dem Ruecken auf den Boden werfen konnte, wild mit den Fuessen trommelnd und schreiend verlangte, getragen zu werden. Ich denke kurz darueber nach, traue mich aber dann doch nicht.

Ich setze also einfach weiter Fuss vor Fuss, versuche weiter, vorne mitzulaufen, damit ich jede Chance auf eine Pause, wenn wir auf die Nachzuegler warten, nutzen kann. Fuer die grandiose Aussicht habe ich kaum noch ein Auge. Gluecklicherweise hat Yuergen sich meiner Kamera erbarmt, so dass ich mir spaeter wenigstens die Bilder anschauen kann. Irgendwann biege ich um eine Kurve und sehe voellig unverhofft die Tempeldaecher von Nanyang vor mir.

Endlich angekommen am Nanyan, haben wir uns erst mal ein kaltes Bier gegönnt, das Beste Bier der Welt und hinterher noch ein Eis.
Meine Lebensgeister wer den wieder hellwach, ich trabe los, Yuergen wartet schon, wir stuerzen zur naechsten Bude, lassen uns in Hocker fallen und trinken das beste Bier unseres Lebens. Das beste Eis unseres Lebens folgt unmittelbar - so gut gings uns noch nie! Vergessen sind alle Magenprobleme, manchmal sind die einfachsten Therapien wirklich die besten. Die Bilanz des Tages: 35 Kilometer, kreuz und quer, bergauf und bergab - 8 Stunden reiner Gewaltmarsch - aber wir haben's ueberlebt!
Weil wir wieder auf die Nachzuegler warten mussten, hab ich aus Langeweile noch ein paar Bilder gekauft. Aber das ist noch mal ne Geschichte für sich.

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