26.01.2016

Auf meiner lebenslangen Reise

durch Raum und Zeit begegnen mir gelegentlich Anhäufungen von Eiweißmolekülen, die ganz selbstverständlich von Qi, Karma oder verwandten Begriffen reden, meist ohne rechte Ahnung, um was es dabei geht. Aber wer weiß das schon? Viel häufiger sind jedoch noch immer die skeptischen Blicke, die Zweifel an meinem Verstand (die ich insgeheim teile) und die Versuche, rasch das Thema zu wechseln, wenn ich sage, was ich so mache. Das Mindeste sind Hinweise, dass das ja alles nicht zu beweisen sei und sicher viel Betrug dabei im Spiel ist, und die Frage, ob ich das selber glaube oder nur mein Geld damit verdiene.


Diese Skeptiker haben vielleicht kurz zuvor noch ein Selfie geschossen und schnell an einige Freunde verschickt. Ein Foto, Abbild der Realität von Teneriffa mal eben so nach Deutschland, USA oder Australien, das macht keinen Unterschied, zielgenau auf ein Emfängergerät, dessen Adresse gerade mal aus vorname.name@345.com besteht. Und das Bild kommt an, ziemlich authentisch, ziemlich das was auch verschickt wurde. Aufgelöst in Nichts und Sekunden später problemlos wieder zusammengesetzt. Reine Information, ohne das Original zu verlieren. Nichts ist von dem Bild wirklich physikalisch, außer den Geräten, die austauschbar wären.
Aber am Kopf ein paar Punkte drücken und das hat Wirkung auf den Magen? Ich weiß nicht. Oder Homöopathie, wo die eigentliche Substanz aufgelöst wird und nur Information übrig bleiben soll? Ich weiß nicht.
Was soll ich da antworten, wenn der Frager, der Zweifler, im Moment meiner Antwort schon nicht mehr existiert und ich, der Antwortende, noch nicht existiere. Meistens freue ich mich. Wie meistens.

13.12.2015

Das Leben ist eine Baustelle

Gebaut wird immer. Irgendwo hier wird immer etwas erneuert, renoviert oder ganz neu geschaffen. In den ersten jahren waren wir immer im Tian Lu Hotel. Einmal wurde während unseres Aufenthaltes die Fasade gestrichen bzw. gesprüht. Mit einer Farbe, die in Deutschland wahrscheinlich schon seit 100 Jahren verboten ist. Dann wurde in der Akademie, in dem runtergekommenen 70erJahre Hotel, die obere Etage für devisenbringende Touristen renoviert. Hat man richtig gut gemacht, muss gesagt werden. Und im Verlauf der Zeit wurden auch die anderen Etagen zumindest ordentlich mit Strom versorgt und weiße Farbe an den Wänden angebracht.
Dann sah ich auch jenes Gebäude im traditionellen Stil, im Quadrat um einen Hof, an dem gearbeitet wurde und dachte mir, das wäre was schönes für unsere Akademie. Zwei Jahre später war das "Hotel" verkauft, alle ausgezogen und wir Touristen in dem Quadrat untergebracht, das ansonsten Unterkunft bot für Pilger, die die Nacht zum Tag machten. 
Im Tempel wurden auch mal neue Platten verlegt oder ein Dach gedeckt. 
Vor ungefähr zwei Jahren begannen rechts und links vom Zixiaogong umfangreiche Baumaßnahmen. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde an der Stelle des alten Hotels, der ehemaligen Akademie, ein neues Hotel gebaut. Fünf Sterne.
In der neuen Akademie renovierte man etappenweise die Etagen. Zumindest jene, die für Ausländer bestimmt wurden. Pilger fanden hier kein Bett mehr, die Nächte wurden ruhiger.

Die Gebäude seitlich des Tempels wurden im letzten Jahr fertig gestellt. Rechts eine Residenz für verrentnerte Mönche und Nonnen, die nach und nach bezogen wird und uns mit dem Anblick fröhlicher Alter beglückt. Links sind Zimmer für Pilger und Kurzzeitbesucher des Tempels. Ob man auch für längere Zeit sich dort einmieten kann, habe ich noch nicht herausgefunden. 
Als wir im Frühjahr kamen, dieses Jahr, werkelte man schon an dem Bagua-Teich vor dem Zixiaogong. Ein Jahr zuvor war eine Xuanwu-Skulptur dort eingezogen.  Nun wurden die Steinernen Geländer entfernt und wir beobachteten aufmerksam die langsamen Fortschritte. Immer mit der Frage: Was machen die da?
Nun ist inzwischen das Bagua verschwunden und ein Halbmondteich entstanden. Alles neu, alles schön, fast fertig. Mit großen Beeten, in die schon Azaleen gesetzt wurden, und weiter sind wir nicht im Pflanzenalphabet.  
Bei unserer Ankunft im Herbst begann eine Baumaßnahme hier auf unserem Gelände. Vornean ist ja die Polizeistation und die haben seit Neuestem eine Hündin. Die wird ein wenig betreut und ein junger Polizist versucht, dem Tier Manieren beizubringen. Mit mäßigem Erfolg. Das Arme Tier wurde die meiste Zeit in einer Toilette eingesperrt. Und dann kamen die Bauarbeiter. Sie bauen ein haus für den Hund. Sie bauen ein großes Haus für den Hund. Sie bauen ein zweites Haus. Nun erfahre ich, dies sei für die jungen Hunde. Und dann wird auch noch bei der Polizei direkt angebaut. Wir vermuten zunächst, es wird eine Waschküche, denn da steht eine Waschmaschine im Freien und der Winter naht. Aber man baut zweigeschossig, gleicht das Dach an und alles, auch die Hundzwinger, erhalten natürlich hübsche, geschwunge Dächer mit den gerundeten  Eckziegeln, auf denen die Drachen Platz nehmen können, um Glück zu bringen.  Gestern wurde der Zementmixer endlich abgebaut. Derweil hat aber auch das Restaurant hinter unserem Haus eine Rundumsanierung begonnen, welche natürlich mit Geräusch verbunden. 
Im Frühjahr hatten wir schon bemerkt, dass etwas vor sich geht im Dorf hinter dem Dong Xian Men, aber im Sommer, als ich dort in Shifus Haus gewohnt habe, war nichts besonderes zu bemerken. Nun hatte inzwischen wohl der Nachbar vom Shifu verkauft, denn ich konnte von der Straße aus sehen, wie dort umgebaut wurde. Umfangreich. Weil es von der Straße bei Kilometer 20.5 einen Pfad gibt, der wohl in das Dorf führt, bin ich letztens mal dort hochgestiegen. Ich wär aus dem Sattel gefallen, hätte ich denn auf einem Muli gesessen. Das ganze Dorf komplett umgestaltet, neue Häuser dazu gestellt, alte verschönert bis zum Gehtnichtmehr. Mit Gaubenfenstern und alles fein im traditionellen Stil, mit hübschen Firstbalken, die es früher dort nicht gab. 
Da hat der Besitzer jener Akademie im Quadrat das Dorf gekauft, oder, wie Gerüchte behaupten, der Tempel habe gekauft. Jedenfalls werden dort jetzt jene Vorhaben wahrgemacht, die man uns schon vor zwei Jahren erklärt hatte und weswegen wir die alte Akademie auch nicht mehr besuchen. Es wird ein Qigong Wellness Hotel. Warum das vor zwei jahren am Baxian Tempel nicht schon geschehen ist? Weil der Teilhaber des Besitzers kurzerhand quasi am Montag festgenommen, am Dienstag wegen Unterschlagung angeklagt und am Mittwoch für 13 Jahre verknackt wurde. Deshalb ist in den zwei Jahren nicht das passiert, was wir erwartet hatten.  

18.11.2015

Fortschritte



Gestern hat Zhong Shifu davon erzählt, wie er als 14jähriger hier hin kam in die Wudang Berge. Von den Eltern geschickt, weil er schwächlich war und ständig krank. Damals, in den 80er Jahren, hatten sie hier nur eine notdürftige Unterkunft, mit Löchern im Dach, die man immer wieder versuchte zu flicken. Keine richtige Toilette, erst recht keine Dusche. Nach dem Training sind sie in den Teich gesprungen vorm Zixiaogong, auch im Winter. Da mussten sie erst das Eis aufhacken. Trinkwasser musste vom Berg aus einer Quelle geholt werden, Feuerholz im Wald gesammelt. Nun leben wir daran gemessen im puren Luxus, mit Toiletten in jedem Zimmer, heißer Dusche und einer Köchin, die für das leibliche Wohl sorgt. So hat der Fortschritt viel Verbesserung und Erleichterung gebracht. Aber, so meint der Meister, würden die Schüler nicht mehr so erfolgreiche Fortschritte machen. Er hat Sorge, dass vieles verloren gehen könnte. Es wird jetzt zwar alles verbreitet und nicht mehr so geheim gehalten, wie früher, wodurch auch einiges verloren gegangen ist.
Dazu hat er uns die Geschichte des Tai Yi Wu Xing Quan erzählt, was ich ja gerade lerne. Diese Methode wurde von dem Wudang Meister Zhang Shouxing (张守性) in der Longmen (Drachentor) Tradition um 1500 entwickelt. Die Meister suchten sich immer nur wenige Schüler aus, die sie für geeignet und zuverlässig hielten. Nicht jeder lernte wie heute fast alles (und nichts richtig - Anmerkung des Chronisten) sondern man konzentrierte sich auf wenige Techniken, ergründete sie dabei in der Tiefe. Einer derer, die im Tai Yi Wu Xing Quan ausgebildet wurde, war ein jüngerer Bruder des letzten Kaisers, Aisin Gioro Pu Xuan (daoistischer Name Jin Zitao), dessen bewegtes Leben ein Buch wert wäre. Er blieb 1929 nur kurze Zeit in den Wudang Bergen wo er unter Li Heling hier am Zixiaogong das Tai Yi Wu Xing Quan lernte. Als er nach den Wirren der Kulturrevolution 1980 wieder zurückkehrte, stellte er fest, dass niemand dort war, der Tai Yi beherrschte. Er hatte es bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht unterrichtet, weil er keinen geeigneten Schüler gefunden hatte. Nun war er auch nicht mehr der Jüngste und es ging darum, ob er sein Wissen mit ins Grab nehme oder doch noch Schüler unterweisen würde. Er hat sich für letzteres entschieden und kam regelmäßig nach Wudangshan um dortige Kampfkünstler zu unterrichten, darunter Zhao Jianying und Yang Qunli, bei dem ich das Tai Yi Wu Xing Gong (Fünf Tiere) gelernt habe.
Zhao Jianying wurde sehr bekannt. Sie unterrichtete auch Zhong Yun Long, ein Onkel und Lehrer unseres Shifu, damals in den 80er Jahren.

14.11.2015

Money money money...



Bei dem einen wurde eingebrochen, mir wurde Geld gestohlen, eine Freundin fühlt sich als Sklave des Geldes. Nun mal langsam. Zunächst denke ich, ist jener Mensch, der mir Geld gestohlen hat ein größerer Sklave des Geldes, wenn überhaupt. Gestohlen wird, was einen Wert darstellt, manchmal für den Bestohlenen einen größeren, als der Dieb dafür einlösen kann. Wert aber ist etwas sehr abstraktes. Wert kommt in der Natur nicht vor. Er existiert nur in unserer Vorstellung. Die folgende Belehrung stammt nicht von mir, ich habe sie in einem Buch gelesen, weiß nicht mal mehr, in welchem.


Ein Dollar hat einen bestimmten Wert, auf den sich die Gesellschaft im allgemeinen geeinigt hat. Es wurde zwar nicht jeder gefragt, wieviel ihm das Papier wert sei, das regelt der Markt. Früher war der Geldschein noch ein Garant für eine bestimmt Menge Goldes, die die Bank jederzeit bereit war, dem Besitzer dafür auszuhändigen. Diese Zeiten sind vorbei. Obwohl die Bundesbank, welche die Geldscheine ausgibt dafür nichts an echtem Wert bereit ist zu geben, ist es noch immer verboten, Geldscheine nachzumachen. Bei Strafe. Ein nachgemachter Geldschein ist nichts wert.
Als aber der Popkünstler Andy Warhol im Siebdruckverfahren ganze Notenbögen herstellte, und das recht schlecht, wurde er dafür nicht bestraft, sondern hoch gelobt. Seine Dollar-Bögen waren schnell mehr wert, als die darauf abgebildeten Dollars. Würde nun jemand hingehen und das gleiche machen, mit Andy Warhol signieren, also kein Geld, aber Kunst fälschen, dann wären die Bögen, spätestens wenn der Schwindel aufgeflogen ist, nichts mehr wert.


Also was ist ein Dollar? Wahrscheinlich würde man dir hier in China sogar etwas für den Dollar verkaufen. Einfach um einen Dollar zu besitzen. Jedoch umgekehrt wird dir in USA kein Ladenbesitzer etwas für die hiesigen Mao-Bildchen geben.


Weil wir angefangen haben, Dingen einen Wert beizumessen, wurde vor ca. 3000 Jahren das Geld erfunden. Es hat etwas durchaus Praktisches. Im reinen Tauschhandel hätte ich wohl große Probleme, an mein tägliches Essen zu kommen, wenn ich keinen Bauern finde, der an Taijiquan interessiert ist.
Du bist sowenig Sklave des Geldes, wie du Sklave der Atemluft bist. Beides brauchst du, um in dieser Welt, in dieser Zeit, in dieser Kultur zu überleben. Wenn du mehr willst, als du brauchst, dann wirst du Sklave. Wenn unser Atemluft immer dreckiger wird und Nestlé über dem Ozean saubere Luft auf Flaschen zieht, dann wirst du Sklave. Womit wir uns selbst und andere unterjochen, das ist nicht das Geld, es ist die Gier. Weil wir glauben und uns gegenseitig glauben machen, dieses oder jenes unbedingt besitzen zu müssen. Weil wir uns gegenseitig einreden, die Dinge hätten einen Wert.
Deshalb rät uns Laozi, Gewinn und Verlust gleichermaßen zu behandeln. Gleich gültig, gleich wert.

13.11.2015

Eine Schale

Du hast eine Schale, eine, die groß genug ist, eine Portion Reis mit Gemüse zu fassen oder aus der du eine Suppe trinken kannst. Für unsere Betrachtung ist es völlig irrelevant, aus welchem Material die Schale ist. Sie kann aus Keramik, Glas, Blech oder Plastik sein. Was uns interessiert ist das Potential der Schale. Wenn sie leer ist, kann sie mit allem möglichen gefüllt werden: mit Nahrung, Sand, kleinen Souvernirs aus dem letzten Urlaub, du legst deine Schlüssel hinein, was auch immer. Alles was nicht zu groß ist, kann in der Schale Platz finden. Solange nichts anderes darin ist, solange sie leer ist. In dem Moment, in dem du sie mit etwas füllst, gibst du ihr eine Bestimmung. Ihr Potential verändert sich. Solange sie leer ist, ist sie aufnahmebereit. Gibst du ihr eine Bestimmung, wird sie definiert. Sie wird zur Schlüsselschale, oder zur Suppenschale.
Vielleicht hast du die Schale aber gekauft, oder geschenkt bekommen, weil sie eine besonders schöne Schale ist. Sie ist aus so herausragendem Material, von solch hoher Handwerkskunst, dass selbst klares Wasser ihre Schönheit mindern würde. So ist sie eigentlich keine Schale mehr, nur von der Form her, aber sie wird nie eine andere Bestimmung haben, als sie selbst zu sein. Sie ist leer und nur in ihrer Leerheit ist sie zu ertragen.
Ich kannte einen Mann, der sich nach einer erfüllenden Arbeit sehnte. Er bekam auch die verschiedensten Angebote, gute Angebote. Aber er lehnte stets ab, weil er dann ein anderes Angebot ja nicht mehr bekommen oder annehmen könnte. Eines, dass ihn vielleicht mehr erfüllen würde. So blieb er ständig unerfüllt, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und wartete auf die große Erfüllung, die er nie erkennen würde. Denn nur wenn er eine Arbeit annehmen und ausführen würde, könnte er davon erfüllt sein. Nicht, wenn er nur ihre Möglichkeit in Betracht zog.
Nun denke wieder an deine Schale. Lässt du sie für immer leer, hat sie immer das Potential, etwas aufzunehmen. Erst wenn du ihr eine Bestimmung gibst, ist sie er-füllt.