19.05.2016

Hier zu sein

Würde ich jetzt ein Mikrophon einschalten, dann wäre es ein postcast, oder? Einen Postcast hab ich noch nie gemacht. Es würde mich aber vor dauernden Tippfehlern bewahren. 
Frau A.O. aus ich weiß nicht wo fragt, was ich hier eigentlich mache. Weil sich das vielleicht auch einige andere fragen, beantworte ich es öffentlich. Ich hoffe, Frau A.O. aus Irgendwo hat Verständnis dafür. 
Nun mache ich hier nichts besonderes, die alltäglichen Dinge, die hier aus sehr viel körperlicher Übung bestehen.
Vor fast ziemlich genau vierzig Jahren ungefähr fing ich damit an Taijiquan zu lernen. Obwohl ich das zunächst widerwillig anging (Freundin wollte, ich nicht) fand ich eigentlich schon nach dem ersten Heben und Senken der Arme einen Gefallen daran und stellte mich anscheinend auch noch geschickt an. Machen wir es kurz, ich wurde völlig ohne Ambitionen zum Taijiquan und Qigong Lehrer. Weil Taijiquan zumindest der Legende nach in Wudangshan seinen Ursprung hat (und auch die chinesische Post unterstützt diese Legende), bestand ich 30 Jahre später darauf, eine Chinareise mit einem Besuch in Wudangshan zu verbinden. 
Ich dachte mir das so: Da ist ein Berg und da ist ein Tempel mit Mönchen und die haben den ganzen Tag nichts besseres zu tun als Taijiquan zu üben. Tasächlich ist das nicht EIN Berg, sondern eine Bergregion umd es gibt da auch nicht einen Tempel, sondern viele und die Mönche machen kaum was an Taijiquan. Das wurde zumindest in der Neuzeit (nach ca. 1985) ins Profane verlagert und wird derzeit in immer mehr aufblühenden Schulen unterrichtet. 
So! In diesem Universum landete ich vor 11 Jahren und seit 10 Jahren reise ich immer wieder freiwillig hier hin.
Gestern Abend hatten wir ein Essen. Ein neuer Gast, der in der Tourismusbranche wer ist, hatte eingeladen und da saß ich nun, mit unserem Shifu 师傅,dem hiesigen Polizeichef (ich mit dem Polizeichef!) und so weiter zusammen und haben gefachsimpelt und gesponnen, uns erinnert, daran, wie ich zum ersten oder zweiten Mal herkam und wie Zhong Shifu und ich gleich Freunde wurden. Ich bin nicht dazu gekommen, zu erklären, warum ich in Deutschland keinen Tempel errichten will. aber dass ich mich hier wie zu Hause fühle, selbst wenn ich dieses verdammte Chinesisch einfach nicht verstehe. (man spricht hier einen Dialekt, ähnlich dem Sächsischen). Als ich meinte, ich fühle mich wie in der Mitte der Mitte des Zentrums, da stimmten alle zu, weil ich ja hier in der Mitte der Mitte des Zentrums sei und auch, dass man das niemandem erklären könne, der noch nie hier gewesen ist. Meinte auch der Polizeichef. Und auch die Polizistin, die ich immer Ursula nenne, weil ich ihren Namen nicht weiß, die aber auf Ursula hört. 
 
Mit der Polizei sind wir dicke, weil die Schule in einem ehemaligen Hotel untergebracht ist, welches der Polizei gehört. Jetzt hier zu erklären, warum wir in diesem Polizeihotel sind, das wird zu kompliziert. Wir trainieren im Hof oder im Tempel, dem Zixiaogong, was Purpurwolkenpalast heißt. Wir führen kein ruhig beschauliches, meditatives Tempelleben. Vor allem das Training der Jugendlichen ist recht sportiv. Ich halte mich aus Altersgründen etwas zurück. Obwohl ich nun auf die siebzig zugehe, mangelt es mir an entsprechender Alterswürde, da hilft auch kein Bart. Allerdings lassen mich die schnelleren Kungfu-Formen aus der Puste geraten. 
Ansonsten lässt mir unser Trainingsalltag kaum die Zeit, einen solchen Bericht zu schreiben. 
Ich verbringe meine Tage mit den kleinen Dingen, damit, mein Zimmer sauber zu halten und meine Wäsche, immer mit der Hand, weil es keine Waschmasch mehr gibt, rechtzeitig zum Essen zu kommen, weil es sonst nicht mehr alles gibt und rechtzeitig zum Training, weil es sich so gehört. Meistens stehe ich morgens gegen halb sechs auf, gehe rauf in den Tempel, wo die Nonnen singen und ich mein Qigong mache. Danach gibts Frühstück, aufräumen, Training, Mittagessen und Pause, wie jetzt, die ich gerne nutze, Chinesisch zu lernen, worüber ich immer prima einschlafe. Dann wieder Training, Abendessen, Spaziergang, schlafen. Alle zehn Tage ist frei, meistens nutze ich es für einen Ausflug.
Das alles hat natürlich auch mit Dao zu tun, jenem geheimnisvollen Offenbaren.
 
ein jeder gibt seinem leben sinn
ich allein bin ohne verstand
anders als andere
ehre die nährend mutter 

Ich weiß nicht genau, warum ich hier bin. Weil es meistens morgens Nudelsuppe gibt? Oder weil mir hier noch die Hühner über den Weg laufen, wegen der Nonnen, wegen des Kongfu???
Wenn ich hier bin, bin ich glücklich. Mir reicht das. 

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