Die beiden Hauptformen des Daoismus sind der philosophische und der religiöse Daoismus. Beide sind in der Praxis jedoch eng miteinander verbunden.
Philosophischer Daoismus
Der Daoismus ist neben dem Konfuzianismus die bedeutendste Strömung in der chinesischen Philosophie. Er geht im wesentlichen auf die rund 2500 Jahre alten Texte des legendären Laotse (und Dschuangtse) zurück. Ob Laotse als historische Person überhaupt gelebt hat, ist allerdings umstritten. Trotzdem gelten seine Schriften bis heute als Leitfaden für ein richtiges Leben.Eine der wichtigsten Verhaltensregeln des Daoismus ist nach Laotse das Gebot des "Wu Wei", des "Nicht-Handelns". Der vollkommenste und natürlichste Zustand aller Dinge sei durch Leerheit und Stille gekennzeichnet: kein Karrierestreben, keine Ausbeutung, keine Aggressionen.
Laotse verglich den nach heiligen Prinzipien lebenden Menschen dazu mit dem Wasser. Es nützte allen Wesen, ringe aber mit niemandem. Die Folgerung: Wenn niemand mit dem anderen ringt, können alle ein friedliches Leben führen. Laotse tritt damit ein für eine Verwandlung des individuellen Charakters von innen heraus. Sein Ziel: eine gute und friedliche Gesellschaft. Spontanes Handeln, das sich frei von Absichten der jeweiligen Situation anpasst, ist die Haltung eines daoistischen Heiligen. Für die meisten Chinesen bedeutet Laotses Weisheit heute vor allem eine gelassene Einstellung zum Leben.
Der philosophische Daoismus lehrt, beide Seiten der Dinge, positive wie negative, zu erkennen, um so ihr Gesamtbild und inneres Wesen zu erfassen. Er ist einerseits praktische Lebens- hilfe bei der Bewältigung von Krisen und Krankheiten. Andererseits ist der Daoismus aber auch eine Religion, ein "Weg" zur individuellen Heilsfindung. Kaiser Xiaozong sagte vor ca. 800 Jahren: "Der Buddhismus ist für den Geist, der Konfuzianismus für die Gesellschaft und der Daoismus für den Körper zuständig". Im Volkskörper und in der chinesischen Kultur ist der Daoismus daher fest verwurzelt.
Religiöser Daoismus
Der religiöse Daoismus hat eine lange und wechselvolle Geschichte mit zahlreichen Schulen und Lehren. Im Laufe der Zeit integrierte er viele bestehende und neue Elemente aus dem alten Volksglauben, schamanis- tischen Praktiken, dem Konfuzianismus und dem Buddhismus. Historisch wird die Entstehung des religiösen Daoismus mit der Gründung der "Sekte der Himmelsmeister" gegen Ende der Han-Dynastie (207 v.Chr. - 220 n.Chr.) gleichgesetzt.
Grundlage sind die Weisheiten und Lehren des Laotse. In der auf ihn zurückgehenden Spruchsammlung "Daode jing", den Kanon des Wegs und seiner Kraft, wird der Weg zum kosmischen Leitmotiv erhoben, dem obersten und ewigen Aspekt des Universums, dem alle Schöpfung zu Grunde liegt.

Dao, "der Weg" oder der Ursprung ist das "Urprinzip des Kosmos". Alles beginnt mit ihm und kehrt wieder zu ihm zurück. Qi (Chi) ist die Energie, der Atem, der allen Dingen innewohnt. Qi wird durch fünf Elemente symbolisiert, die jeweils unterschiedlichen Zuständen entsprechen: Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall. Der Gesundheitszustand des Menschen ist abhängig vom harmonischen Fluss des Qi. Durch meditative, geistige und körperliche Übungen zur Lebenspflege suchten schon früh daoistische Einsiedler die vitale Energie des Qi zu bewahren und in ihrem Geist zu verfeinern. Bis heute suchen sie nach dem Weg des Großen Gleichgewichts, um so Unsterblichkeit zu erlangen. Unsterblichkeit ist das ersehnte Ziel und Ideal aller Daoisten.

Das Qi zeigt sich auch in der Veränderung und im Zusammenspiel der beiden Kräfte Yin und Yang. Sie bilden ebenfalls zwei wichtige Prinzipien der daoistischen Lehre. Es sind entgegengesetzte Kräfte, die durch ihr Wechselspiel und durch ihr Zusammenwirken das gesamte Universum am Leben erhalten. Beiden Kräften werden bestimmte Eigenschaften zugeordnet. Yin ist das Weibliche, Passive, Weiche, das u.a. durch den Mond, das Wasser, die Wolken, die Schildkröte und die Farbe Schwarz symbolisiert wird. Yang dagegen entspricht dem Männlichen, Aktiven und Harten und wird u.a. verkörpert durch die Sonne, das Feuer, den Drachen und die Farbe Rot. Das Symbol für Yin und Yang ist der Kreis. Die beiden Punkte weisen darauf hin, dass jede der beiden Kräfte auch ihr Gegenteil in sich trägt. Nichts ist Absolut, sondern enthält immer ein Stück des Anderen. Yin und Yang verkörpern damit den Dualismus zweier entgegengesetzter und doch einander ergänzender Kräfte. Auch in der traditionellen chinesischen Medizin sind die beiden Kräfte von zentraler Bedeutung. Nur wenn sich Yin und Yang im Gleichgewicht befinden, ist der Körper gesund.

Das Verhältnis der Chinesen zur Religion und zu ihren Gottheiten lässt sich durchaus als pragmatisch und lebensnah beschreiben. Eine Religion als praktische Lebenshilfe bei Problemen im Alltag. Der Daosimus kennt eine Vielzahl von Göttern und Gottheiten, die jederzeit erweitert werden können. Ähnlich den Heiligen in der katholischen Kirche nehmen die jeweiligen Gottheiten Einfluss auf ganz bestimmte Lebensbereiche (z.B. für Prüfungen, Liebesbeziehungen, Geldsorgen usw.). Mit Wünschen und Bedürfnissen wird sich an Instanzen gewandt, die sich als wirksam erwiesen haben. Werden die Bitten nicht erhört oder haben die Opfer nicht die gewünschte Wirkung, wird die Gottheit gewechselt.

Der religiöse Daoismus prägt bis heute die Wertvorstellungen, das Handeln und das Brauchtum des chinesischen Volkes. Im Mittelpunkt stehen die Verfeinerung des menschlichen Körpers und das Streben nach Unsterblichkeit. Dies zeigt sich in der Verehrung der Ahnen und bestimmter Gottheiten, in Wahrsagerei, Traumdeutung und Meditation. Daneben verhelfen die richtige Ernährung, Atemübungen und Gymnastik zu anhaltender Gesundheit. Die Wert- und Zielvorstellungen des Daoismus beruhen auf der Gleichberechtigung aller Menschen und Dinge, auf Friedfertigkeit, Natürlichkeit und Bescheidenheit. Das bedeutet, Rücksicht zu nehmen auf die Interessen der Gegenpartei, sie zu achten und behutsam zu behandeln, außerdem Zugeständnisse zu machen und Toleranz zu zeigen.

Die alte chinesische Volksreligion war lange verboten und erwacht heute wie im Wudang-Gebirge wieder zu neuer Blüte. Trotz der jahrelangen Unterdrückung, v.a. während der Kultur- revolution, blieb der Daoismus sowohl als Philosophie, wie auch als Volksreligion überaus lebendig. Nachdem die Machthaber in Beijing (Peking) den Druck gelockert haben, erlebt der religiöse Daoismus beim chinesischen Volk heute seine Renaissance.
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