Lieber Leser, nichts liegt mir näher, als dich neidisch zu machen.
Ich habe gesehen, dass es in Deutschland nett warm ist dieses
Wochenende, aber der Trend geht Richtung Abkühlung und Regen. Nun,
hier ist es sehr sonnig und HEISS. Richtig lecker heiß. Ich weiß, es
gibt Leute, denen liegt Hitze nicht, aber mir, ich mag sie. Dennoch
hab ich es vorgezogen, im Schatten zu trainieren. Der Trend hier geht
zu noch mehr heiß. Heißer. An die 40 Grad. Und wir haben auch hier
noch April. Und das alles, ohne bisher Zhen Wu auch nur ein
Räucherstäbchen geopfert zu haben.
Gut, das reicht.
Erzähle ich was von anderen Wunderlichkeiten.
Gestern Nachmittag und heute hatten wir Training in der Akademie,
nicht im Tempel. Als ich am Abend den Berg hoch musste, wunderte ich
mich schon, dass noch Busse fuhren. Oben angekommen wunderte ich mich
über die vielen Menschen. Rund um die Busstation hat man einen
Wartelaufstall eingerichtet. Es gibt bestimmt einen Namen dafür, aber
er ist mir nicht geläufig. Es gibt natürlich für alles ein Wort.
Tochter A. wollte mal wissen, wie die Dinger heißen, die man im
Supermarkt auf dem Laufband vor der Kasse zwischen die eigenen
Einkäufe legt und die des Vordermanns, der Hinterfrau. Warentrenner.
Haben wir erfragt. Hier gibt es diese Laufgitter,
Warteschlangensortierer. Die standen rappelsvoll und noch darüber
hinaus die Straße hoch in Viererreihen, noch mindestens zwanzig
Meter. In der Schätzung von Menschenmassen ungeübt, würde ich
sagen:tausend Leute. Heute hatte man schon die Busse parat gestellt.
Die ganze Straße voll. Zwanzig Busse a vierzig Sitze macht Platz für
achthundert Leute. Lieg ich doch gut mit meiner Schätzung.
Das war jetzt Wochenendbetrieb. Wartet mal ab, wenn Anfang Mai die
Golden Week anbricht. Ferienzeit. Dann tanzt hier der Bär, boxt der
Papst.
Apropos - heute war ich oben beim alten Shang oder Zhang, dem
Vorzeigeeinsiedler, dem Bienendaoisten, den zu besuchen fester
Bestandteil meiner ersten Woche hier ist. Treffe ich eine junge Frau
aus Deutschland, lebt derzeit am Wulonggong. Trainiert bei Ismet Himmet.
Heute Mittag kamen ein paar ganz junge Menschen runter zur Akademie
und wollten mal schauen, was wir so machen. Ganz brav in blauen
Daoistenanzügen mit weißen Gamaschen und ganz jung. Ich hab mich
gefreut, dass anscheinend auch wieder die Jugend zum Taiji findet. In
den letzten Jahren waren die Teilnehmer mit einem selbst immer älter
geworden. Junge Menschen waren selten. Jetzt nimmt es wieder zu. Auch
in der Akademie sind viele jüngere Leute. Die haben zum Teil Zeit und
Geld ein halbes oder ganzes Jahr hier zu sein.
Am Abend fand ich die jungen Menschen von heute Mittag dann wieder in
einer Gruppe auf der Terrasse vor dem Hotel nebenan. Übten unter
Anleitung eines Lehrers, den ich kurz vorher auf der Straße getroffen
hatte. Wir hatten uns letztes Jahr schon kennen gelernt. Und auch ihr
Hometrainer, der sie wohl hierhin mitgenommen hat, ihr Meister von
daheim, lief mit ernstem Blick in seinem Anzug umher.
Man kann sich als Lehrer seine Schüler nicht immer aussuchen, aber
man kann sich seine Lehrer aussuchen. Heute kann man das. Als ich
anfing vor vierunddreissig Jahren, da war man froh, wenn man jemand
Gutes fand. Es gab nicht viele. Aber von den weniger Guten gab es
auch nicht viel. Heute schon. Nur die Guten sind nicht wirklich
bedeutend mehr geworden. Ein heißes Thema.
Klingt grauenhaft - muss wirklich schlimm geworden sein. Nichts mehr mit Beschaulichkeit und Ruhe....
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