06.03.2020

Yi Dao Qi Dao


Die Phrase „Yi Dao Qi Dao“ (意到氣到) wird meist in der Weise übersetzt: 
Die Vorstellungskraft führt, die Lebenskraft folgt.
Das ist gewiss richtig übersetzt, engt aber den Bedeutungsspielraum beachtlich ein. Natürlich kann man sagen dass Qi der Vorstellung folgt. Einfache Praktiken wie der Kleine Tageskreislauf lassen dem Anfänger auch keine andere Wahl. Man stellt sich vor, wie Qi entlang der Wirbelsäule aufsteigt und mit einiger Übung spürt man es dann auch.

An dieser Stelle möchte ich noch mal die bekannte Anektode von Jiddu Krishnamurti erwähnen. In einem seiner Vorträge in Brockwood Park, England sagte er sinngemäß: „Wenn du ein Wort oder eine Reihe von Wörtern permanent wiederholst, ganz gleich ob Ave Maria oder ein Mantra oder zum Beispiel Coca Cola, wenn du das immer wieder vor dich hin brabbelst, dann wird dein Geist nach und nach abgestumpft und wenn du willst, dann spürst du auch etwas in deiner Wirbelsäule.“

Es hat ja auch was für sich, wenn ein Satz auf eine einfache Art verstanden werden kann und Anwendung findet. Es ist dabei besonders charakteristisch für die chinesische Sprache, dass der Satz eine völlig andere Bedeutung bekommen kann, wenn ein anderes Vorwissen vorhanden ist.

So kann unsere Anweisung Yi Dao Qi Dao auch eine andere Bedeutung bekommen, wir können es nur nicht mit so wenig Worten sagen.

Yi 意 ist eine der fünf geistigen Qualitäten. Sie wird der Erde zugeordnet, stellt demnach eine Verbindung her. Über die Sinne nehmen wir Information auf. Hun saugt sie auf wie ein Schwamm. Shen wählt aus und gibt Sinn, den wir mit Yi in Beziehung zu uns Bekanntem bringen Also Yi ist nicht nur eine Absicht, es ist jegliche geistige Aktivität, die wir unter ‚Denken‘ verstehen. Alle unsere Gedanken bedürfen einer Vorstellungskraft. Ganz gleich ob wir phantasieren oder ob wir ein mathematisches Problem lösen, ob wir eine Sprache lernen oder uns an ein Gedicht erinnern. All das ist Yi. Aber auch die Gedanken, die in uns aufsteigen, die von irgendwo herkommen ohne nach ihnen gefragt zu haben. All das ist auch Yi.

Der Begriff Dao 到 sollte in diesem Zusammenhang im Sinne von ‚zu etwas hin‘; auf ein Ziel zu, verstanden werden. Es hat auch die Bedeutung von ‚gehen’ oder ‚ankommen‘. Im Zusammenhang der hier diskutierten Phrase können wir durchaus sagen: Wohin Yi sich bewegt, dorthin bewegt sich auch Qi. Wenn wir uns nun von der Bewegung in einem Übungszyklus abwenden und diesen Satz auf die Lebensführung anwenden, dann kommen wir der eigentlichen Bedeutung näher. Wohin unsere Gedanken sich wenden, dorthin wandert auch das Qi.

Da unsere Gedanken sich ständig nach außen bewegen, zu Dingen und Ereignissen, die wir mit unseren Sinnen aufnehmen, aber auch zu Ideen, zu gedachten Möglichkeiten einer Entwicklung, zu Vergangenem und Zukünftigem, so vergeuden wir ständig unser Qi in die Welt.

In der meditativen Lebensführung bleiben wir bei uns, sammeln Qi im Innere. Unter diesem Aspekt bekommt der Satz Yi Dao Qi Dao (意到氣到) eine völlig neue Bedeutung.

Bei Lao Zi finden wir im 12 Kapitel die Warnung:
fünf farben den blick blenden
fünf töne das ohr betören
fünf würzen den gaumen trüben
preschen und hetzen das herz verwirren
forschen und schätzen den sinn verirren
Weswegen wir oft den Hinweis erhalten, die Tore zu schließen, womit die Sinne gemeint sind, damit der Geist (Yi) in Ruhe verweilen kann. Deshalb, so rät Lao Zi weiter, soll man dem Bauch, dem Dan Tian, folgen und nicht dem Auge.

Wer dies beherzigen kann, wird ein langes und glückliches Leben führen.

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