31.07.2015

Spuren im Kopf


Immer noch halten viele Menschen die Meditation für eine rein religiöse Praxis. Dabei entfaltet sie messbare Wirkung - auf Gehirn, Gedanken und Gesundheit.
Von Kai Kupferschmidt  (süddeutsche.de 8. Februar 2015)

Ein Lagerraum, kahle Wände. Kaltes Licht beleuchtet die Stapel von Holzkisten. Die Aufgabe lautet, die grünen Gläser einzusammeln, die hier und da auf den Kisten stehen. Doch plötzlich sind überall Spinnen. Dicke, haarige, furchterregende Spinnen krabbeln über den Boden, kleben an den Wänden. In einer Ecke des Raumes steht ein grün leuchtendes Glas. Darunter ragen wiederum Spinnenbeine hervor. Das Herz pocht. Der Körper meldet: Angst.

Dabei geht es hier - im Keller des Max-Planck-Instituts für kognitive Neurowissenschaften in Leipzig - weder um Spinnenphobien noch um Angststörungen. Die Hirnforscherin Tania Singer und ihr Team wollen vielmehr untersuchen, wie Meditation Menschen verändert. Der programmierte Albtraum, intern "Raum 101" genannt, gehört zu einem Forschungsprojekt. Den Probanden wird die künstliche Umwelt über einen Helm auf die Netzhaut projiziert, um herauszufinden, ob das mentale Training Menschen hilft, ihre Emotionen besser zu regulieren.

Immer noch halten viele Menschen die Meditation für eine nur religiöse Praxis, mit der sich vor allem rot gewandete Mönche im Himalaja beschäftigen. Tatsächlich ist sie eine psychische Technik, mit der prinzipiell jeder Mensch seinen Geist und die Gesundheit beeinflussen kann.
Die Frage ist nicht mehr, ob Meditation einen Effekt hat - sondern welchen

Dass Meditation Spuren im Gehirn hinterlässt, ist mittlerweile gut belegt. Der Psychologe Richard Davidson von der University of Wisconsin-Madison konnte schon 2007demonstrieren, dass ein dreimonatiges Meditationstraining die Aufmerksamkeit schärft. Die Teilnehmer erkannten Zahlen, die auf einem Bildschirm zwischen zahlreichen Buchstaben versteckt sind, schneller als vor dem Training. Und Sara Lazar vom Massachusetts General Hospital in Boston berichtete, dass sich das Training sogar in der Morphologie des Gehirns niederschlägt. Der Hirnscanner zeigte, dass es den Mandelkern schrumpfen lässt, eine Struktur im Gehirn, die unter anderem an der Steuerung von Angst beteiligt ist. Zugleich hatte die graue Substanz in Bereichen des Gehirns zugenommen, die zum Beispiel mit Mitgefühl assoziiert sind.

"Das Gehirn ist in der Lage, sich zu verändern, und so wie wir eine neue Sportart lernen, können wir auch Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Mitgefühl trainieren", sagt Richard Davidson. "Das ist kein Voodoo."


So sieht das auch Tania Singer: "Die Frage ist eigentlich nicht mehr, ob Meditation einen Effekt hat, sondern welche Meditation welchen Effekt hat, wie groß der ist und wie lange es dauert, bis er sich einstellt." Genau das untersucht sie in ihrem Projekt, an dem 17 Meditationslehrer und 160 Probanden in Leipzig und Berlin beteiligt sind. Die Teilnehmer haben neun Monate lang mindestens sechs Tage die Woche meditiert. Zugleich wurden sie von den Forschern körperlich und seelisch durchgecheckt: Wie hoch ist der Pegel des Stresshormons Cortisol im Speichel? Wie häufig kooperieren sie in speziell entwickelten Computerspielen? Wie glücklich sind sie? Und wie schnell rast ihnen das Herz, wenn sie durch Raum 101 laufen? Außerdem wurde das Gehirn jedes Teilnehmers fünf Mal gescannt.

weiter lesen

Siehe auch: Sitzen in Vergessenheit, Daoistische Meditation nach Sima Chengzhen
Yürgen Oster, BoD 2015

1 Kommentar:

  1. Danke für diesen Beitrag. Ich hatte gar nicht auf dem Schirm, dass hier gerade so intensiv weitergeforscht wird.

    AntwortenLöschen