13.06.2010

Neigong, die »Innere Geschicklichkeit« des Taijiquan, birgt kein Geheimnis

Von Sun Jianguo
Auszüge aus WenWu Zeitschrift 1.2010 ·· S.15 ff

Im Laufe meiner Tätigkeit als Taiji-Lehrer habe ich immer wieder bemerkt, dass fortgeschrittene Schüler, die auch ihre gesundheitliche Konstitution verbessern konnten, trotzdem unzufrieden sind, weil sie den Verdacht hegen, nicht über Neigong, die „Innere Geschicklichkeit“, zu verfügen. Außerdem gibt es in Europa wie in China Menschen, die trotz jahrelanger Übung wesentliche Punkte des Taijiquan noch nicht erfasst haben. Sie sind der Meinung, dass nicht so sehr die äußeren, also die körperlichen Bewegungen, sondern allein innere Geschicklichkeit und Technik von Bedeutung seien. Dabei ist ihnen nicht klar – oder sie vernachlässigen diesen Aspekt –, dass es sich im Taijiquan um eine Kunst handelt, in der man sein Inneres und Äußeres gleichermaßen kultiviert. Dieses Missverständnis kann zum einen daher rühren, dass es ihnen an Wissen über Neigong fehlt. Ein anderer Grund ist darin zu suchen, dass es Leute gibt, die das Neigong des Taijiquan in abwegiger Weise mystifizieren und in einen Schleier des Geheimnisvollen hüllen. Auf Grundlage meiner langjährigen Übungs- und Unterrichtspraxis und des von unseren Vorfahren überlieferten wertvollen Erfahrungsschatzes, will ich versuchen, einiges darzulegen, was die Übungsmethoden des Neigong im Taijiquan betrifft.
Sucht man eine Definition des Neigong im Taijiquan, so könnte diese lauten: Die Übungen zur inneren Geschicklichkeit des Taijiquan sind ein Trainingssystem, in dem man schwerpunktmäßig an der inneren Verfassung des Geistes, der Atemtechnik und den inneren Kräften arbeitet. Dabei spielen hauptsächlich vier Fähigkeiten eine Rolle: die innere Stille (nei jing), die innere Bewegung (nei dong), das innere Qi (nei qi) und die innere Kraft (nei jin).

1. Innere Stille
Die innere Stille (nei jing) ist der beim Taiji- Training erforderliche Geisteszustand, in dem Herz und Geist friedlich und still werden, die Aufmerksamkeit konzentriert ist und sich Heiterkeit und Zufriedenheit einstellen. Von alters her haben chinesische Philosophen die Stille als ein wichtiges Prinzip in der Kultivierung des Dao und in der Pflege des Lebens betrachtet. Sie waren der Auffassung, dass „alles Gute in der Stille wurzelt“, dass „die Erlangung des großen Dao ganz auf der Stille beruht“. Dies spiegelt sich auch in Spruchweisheiten wie: „Den Weg zum Glück des langen Lebens findet, wer ihn in Klarheit und Stille ergründet.“ (Yang shou zhi dao, qing jing mingliao).
Wie also lässt sich nun die innere Stille verwirklichen? Zuerst soll man das Herz auf Eines ausrichten und keine störenden Gedanken entstehen lassen. Man begebe sich in einen Zustand, in dem man „sieht, ohne zu sehen, und hört, ohne zu hören“, und lasse sich ganz und gar auf die Übung ein. Zum zweiten soll der Geist gelöst, also weder angespannt noch nachlässig oder achtlos sein. Und drittens gilt es, im ganzen Körper Anspannung und Druck von Muskeln, Knochen und Gelenken zu nehmen.
Um in den Zustand der Ruhe zu gelangen und gute Bedingungen dafür zu schaffen, dass das Qi und das Blut und damit auch die Kraft ungehindert durch den ganzen Körper fließen können, soll man Kopf und Nacken aufrecht halten, die Schultern und Ellbogen nach unten sinken lassen, die Brust leicht zurück nehmen und den Rücken entspannen, den Unterbauch schwer und die Hüfte locker werden lassen und den Körper aufrecht und zentriert halten.
(...)

„Von alters her haben chinesische Philosophen die Stille als ein wichtiges Prinzip in der Kultivierung des Dao und in der Pflege des Lebens betrachtet.“


2. Innere Bewegung
Mit der inneren Stille als Grundlage verwendet das Taijiquan eine besondere Methode der Bewegung: Man bewegt sich entspannt und geschmeidig, langsam und gleichmäßig und in einem ununterbrochenen Fluss. Das bewirkt, dass die Qi-Kanäle, Blutgefäße und Leitbahnen sich öffnen und im ganzen Körper durchgängig
werden. Dies ist ein wesentliches Merkmal der inneren Bewegung (nei dong). Darüber hinaus ist es bei der Ausübung des Taijiquan von großer Bedeutung, dass „sich zuerst die Vorstellungskraft bewegt und der Körper ihr nachfolgt“ (yi dong xing sui). Es muss also gelingen, dass die Bewegungen erst im Herzen, d.h. im Geist, und dann im Körper stattfinden (xian zai xin, hou zai shen). Diese „Bewegung durch die Vorstellungskraft“ ist das zweite Merkmal der inneren Bewegung. Wenn etwa die Hände nach vorne schieben und drücken (tui an), braucht man erst eine Vorstellung davon, nach vorn zu schieben und zu drücken, und unmittelbar darauf bewegen sich die Hände der Vorstellung folgend nach vorn. Ob man nun in der Ausübung der Kampfkunst gerade Angriffs- oder Verteidigungsbewegungen ausführt, vorwärts oder rückwärts geht, ob Leere und Fülle
einander abwechseln oder Härte und Weichheit sich gegenseitig hervorbringen: Von Anfang bis Ende sollen die äußeren Körper bewegungen von einer „inneren Bewegung“ des Bewusstseins bzw. der Intention angeleitet sein. Das also ist die Methode, mit dem Bewusst sein die Bewegung zu dirigieren. Nur so kann das Nervensystem in seinen Koordinations- und Reaktionsfunktionen und in seiner ganzen Geschicklichkeit auf intensive Weise trainiert und verbessert werden.

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12.06.2010

Xinxinming 20

齊含萬像  不見精麁  寧有偏黨

die zehntausend Dinge umfassend
ist es weder fein noch grob
warum sollte man sich auf eine Seite schlagen
.



Wieder, oder noch immer und immer wieder, das Eine, nur das Eine. Nicht unterscheiden und nicht Partei nehmen. Sehen wir das Eine, das Ganze, das Allumfassende, in dem alles enthalten ist, natürlich, wie kann man da eines verwerfen und ein anderes wählen. Aber wir lieben schöne Dinge und verabscheuen Hässliches. Dabei sind die Begriffe relativ. Es gibt nicht das objektiv Schöne, nicht das Gute, nicht das Wertvolle. Wir legen es fest, jeder für sich. Es ist der unaufhörliche Konflikt zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Die Dinge sind die Dinge, die Ereignisse sind die Ereignisse.

Die Erscheinungen des Lebens sind weder falsch noch sind sie richtig. Sie kommen und vergehen, schneller als wir uns für oder gegen sie entscheiden können. Ist es daher falsch, zu beurteilen? Könnten wir das sagen, wäre es schon wieder ein Urteil. Darum sagte Meister Feng Giafu: "Urteile nicht! Aber wenn du urteilst, dann urteile."



齐1含2万象3  不4见5精6粗7  宁8有9偏10党11


1 齐  qí:  Qi-Reich [ während der Zhou-Dynastie 11.Jh-256 v. Chr. ]; gemeinsam, gleichzeitig, zusammen; gleich hoch sein, auf einer Ebene mit etw. stehen; gleich in gleicher Weise, gleichermaßen; ordentlich, gleichmäßig, in Reih und Glied; Radikal Nr. 210 = gleich, ordnen, gleichmäßig; vollständig, alle, ausnahmslos; Qí
2 含  hán:  aufhalten, halten; beinhalten, umfassen; lutschen; inbegriffen
3 万象  wànxiàng:  Vientiane (Hauptstadt von Laos); alle Naturerscheinungen
4 不  bù:  nein; nicht
5 见  jiàn:  sehen, erblicken, treffen
6 精  jīng:  Feinstes, tüchtig; ausgezeichnet, exzellent, hervorragend; Kraft, Energie
7 粗  cū:  unfertig; derb, roh; ungehobelt
8 宁  níng:  Frieden (auch benutzt als ein Terminus des Vergleichens)
9 有  yǒu:  existieren; haben; es gibt
10 偏  piān:  sich zu einer Seite neigen; geneigt, schräg; parteiisch, voreingenommen, tendenziös; Pian
11 党  dǎng:  Partei

09.06.2010

Nachrichten aus der Goldgrube Juni 2010

Meine Tochter sollte eine kurze Definition von Kunst abgeben. Als wenn sich nicht schon Generationen von Künstlern, Kunsthistorikern, Kritikern und Laien daran versucht hätten. Genauso fällt es mir immer noch schwer, jemandem, der Taijiquan etc. nicht kennt, zu erklären, was ich da eigentlich mache. Die Methoden der daoistischen Selbstkultivierung, ganz gleich mit welchem Schwerpunkt man sie betreibt, werden definiert dadurch, dass man sie ausübt, nicht, indem man darüber redet. Hält man sich daran, dann gibt es doch sehr viel dazu zu sagen. Je tiefer du in die Materie eindringst, desto weiter wird das Feld der Zusammenhänge. Irgendwann musst du dich entscheiden, in welche Richtung du weiter gehen willst. Unsere Künste bieten dir die Möglichkeiten der Konzentration auf die kämpferischen Aspekte, die der Gesundheit, der Meditation, Philosophie und innerer Alchemie. Ganz gleich, was du zu deinem Mittelpunkt machst, du entfernst dich dabei nie von den anderen Positionen. Wenn es auch ein weites Feld ist, so liegt doch alles beieinander.
Für mich haben die letzten Aufenthalten auf dem Wudangshan auch wieder einige Perspektiven verändert. Teilweise waren es nur ein paar kleine Informationen, die letztlich ein Bild abgrundet haben. Meistens geh ich mit mehr Fragen weg, als ich bei meiner Ankunft hatte.

Ich wünsche euch allen eine schöne Zeit, bleibt gesund und vergesst nicht zu üben

Euer Yürgen Oster

In diesem Brief

• Reiseberichte
• Museum Hombroich
• Zurückkehren zum Ursprung
• Sommerakademie
• Neue Ausbildungen
• Buchtipp
• Zum Schluss


Reiseberichte

wie immer, haben Lilo und ich unsere Erlebnisse in Wudangshan fleißig in den Blog geschrieben. und begeisterte Resonanzen erhalten.
Ältere Berichte könnt ihr auch bequem als Buch lesen oder verschenken. Direkt erhältlich über die Bibliothek der dao-akademie:
Das Buch scheint ein Renner zu werden. Warum, versteh ich auch nicht.


Museum Insel Hombroich

Anfang der 80er Jahre kaufte der Makler Heinrich Müller in der Nähe von Neuss am Niederrhein eine kleine Insel in dem Flüsschen Erft. Damit legte er den Grundstein für eines der faszinierensten Museen der Gegenwart. Eingebettet in eine renaturierte Auenlandschaft beherbergen die begehbaren Skulpturen des Bildhauers Erwin Heerich eine ungewöhnliche Sammlung klassischer Moderne und ethnischer Kunst. Heinrich Müller praktizierte auch Taijiquan und war, wie ich, ein enger Schüler des daoistischen Meisters Gia Fu Feng.
Durch diese Verbindung ist es mir möglich, dort, in dieser ungewöhnlichen Umgebung, Taijiquan und Qigong zu unterrichten.
Die nächsten Termine sind am 12. und 13. Juni.
Der Preis pro Tag beträgt 60 Euro, incl. ein kleiner Mittagsimbiss.

Anmeldung per mail oder Telefon 06131 6226 910

Das Seminar habe ich inzwischen mangels ausreichender Anmeldungen abgesagt und den geplanten Termin im Herbst auch anderweitig vergeben. Geht jetzt eine Epoche zu Ende?



Zurückkehren zum Ursprung

Das erste, was ich in Wudangshan lernte, war das Qigong "Zurückkehren zum Ursprung" Xian Tian Hun Yuan Gong.
Es ist ein sehr ruhiges, esoterisches Qigong, dessen tiefe Wirkung ich sehr schätze. Entgegen meiner ersten Erwartungen unterrichte ich dieses Qigong nur gelegentlich. Es gibt ein Seminar am 26./27. Juni in Münster (wobei ich nicht weiß, ob da noch Plätze frei sind) und ich unterrichte es im Rahmen der Sommerakademie in den Wochen 19. - 23. Juli und 26. - 30. Juli
Das Buch dazu findest du ebenfalls in der Bibliothek der dao-akademie.



Sommerakademie

bestimmt schon im sechsten Jahr biete ich die Seminare im Mainzer Rosengarten an. Mit vollem Erfolg. So auch wieder in diesem Jahr mit einem umfangreichen Programm. Dieses Jahr sind in allen Wochen auch vormittags Seminare, so dass sich eine weitere Anreise lohnt. Möglichkeiten zur Übernachtung habe ich inzwischen auch auf der Karte eingetragen: http://moonroot.2ya.com
das komplette Programm kannst du als pdf Datei laden.



Neue Ausbildungen der dao-akademie

Die zweite Qigong-Ausbildung ist abgeschlossen, die dritte hat das erste Jahr hinter sich, ebenso wie die zweite Taijiquan Ausbildung. Die Ausbildungen zum Kursleiter entsprechen den Leitlinien des DDQT. Sie gehen teilweise sogar darüber hinaus. Deswegen dauern sie länger als einige andere Angebote und sind mitunter auch teurer, dafür aber von entsprechender Qualität. Im Herbst und Winter beginnen wieder neue Ausbildungen. Alle Informationen dazu sind auf der Seite der dao-akademie abrufbar.



Buchtipp

Der geheime Meister vom Drachentor
Das Buch von Chen Kaiguo und Zheng Shunchao, zuerst bei Heyne erschienen, wurde jetzt von Lotus Press neu aufgelegt. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der 1961 als zwölfjähriger von daoistischen Magiern aus der Familie geholt wird und inmitten der Wirren jener katastrophalen Kulturrevolution ausgebildet wird zu einem der größten Schamanen, Heiler und Magier Chinas.
Im Klappentext heißtes, die Geschichte sei aufgeschrieben von zwei seiner engsten Schüler, aufgeschrieben wie ein Roman. Ich will es gleich sagen; ich halte das Buch auch für einen Roman. Sorgfältig wurde alles zusammengetragen, was man über daoistische Künste, Rituale und magische Praktiken in der umfangreichen Literatur finden kann. Insofern ist es ein wertvolles Buch, es erspart manch anderes. Sicherlich sehr unterhaltsam und teilweise lehrreich, sollte man jedoch nicht alles für bare Münze nehmen, was darin zu finden ist.
In der Bibliothek der dao-akademie.
Inzwischen habe ich einen dezenten Tipp bekommen. Es gibt vom Verlag Lotus Press ein Blog, in dem auch ein Gespräch zwischen dem Verleger Joachim Stuhlmacher und einer Schülerin des geheimen Meisters zu sehen ist. Sollte ich mich da getäuscht haben? Oder geht die Täuschung noch darüber hinaus?

Zum Schluss

die Gruppe "Improv Everywhere" macht den Alltag zur Bühne: