30./31. Mai; 01./02. Juni; 08./09. Juni
zu den Seminaren Ende Mai, Anfang Juni empfehle ich die Lektüre der folgenden klassischen Texte, übersetzt von Heiner Frühauf.
„Das Herz ist der Herrscher der fünf Organnetzwerke. Es kommandiert die Bewegungen der vier Extremitäten, es lässt Qi und Blut zirkulieren, es durchstreift die Reiche des Materiellen und des Immateriellen und steht im Einklang mit den Toren jeglicher Handlung. Danach zu trachten, den Fluss der Energie auf Erden zu regieren, ohne ein Herz zu besitzen, wäre daher wie danach zu streben, Gongs und Trommel stimmen zu wollen, ohne Ohren zu haben, oder zu versuchen, ohne Augen ein Stück kunstvoller Literatur zu lesen.“
Aus dem daoistischen Klassiker, Kontemplationen der Huainan Meister (Huainanzi), ca. 110 v. Chr.
„Das Herz ist der Kaiser des menschlichen Körpers. Die ihm unterstellten Offiziere tragen die Verantwortung über die neun Öffnungen und deren entsprechende Funktionen. Solange das Herz auf dem rechtmäßigen Pfad bleibt, werden die neun Öffnungen ihm folgen und angemessen funktionieren. Werden die Wünsche des Herzen jedoch übermäßig, werden die Augen ihre Farbempfindung verlieren und die Ohren werden ihre Klangwahrnehmung einbüßen. Folglich heißt es: ‚Halte Dein Herz leer – dies ist die Kunst des Herzens, durch welche die Öffnungen beherrscht werden können.’
Abweichung oberhalb wird notwendigerweise eine Funktionsstörung unterhalb verursachen. Hetze Dein Herz nicht wie ein Pferd, oder Du wirst seine Energie erschöpfen. Lasse Dein Herz nicht fliegen wie einen Vogel, oder Du wirst seine Flügel verletzen. Bewege Dinge nicht wild herum, einzig um zu sehen, was geschehen wird. Wenn Du Dinge bewegst, verrückst Du sie von ihrem richtigen Platz. Wenn Du gelassen und geduldig bist, wird alles von selbst zu Dir kommen.
Das Dao ist niemals weit entfernt, gleichwohl es schwer zu erreichen sein mag. Es ist in jedem von uns, gleichwohl es schwer zu ergreifen sein mag. Wenn wir frei von Wünschen bleiben, wird der Shen sein Heim betreten. Wenn wir alle Unreinheiten weg fegen, wird der Shen bei uns bleiben. Die Menschen sehnen sich alle nach Intelligenz und Weisheit, doch nur selten suchen wir zu verstehen, was die Quelle ihrer Existenz ist. Ach, Intelligenz, Intelligenz – selbst wenn Du über den Ozean springst, wird sie nicht einfach dort sitzen und auf Dich warten! Der Suchende wird demjenigen hinter her hinken, der ohne Wünsche ist. Der Weise sucht nicht nach irgendetwas und erreicht naturgemäß den Zustand leeren Verstehens [ultimatives Wissen jenseits starrer Konzepte].“
Aus dem daoistischen Klassiker, Guanzi, vor 200 v. Chr.
Das Herz ist der Meister des Körpers und der Kaiser der Organnetzwerke. Es gibt das strukturelle Herz, gemacht aus Blut und Fleisch: es hat die Form einer geschlossenen Lotusblume und liegt unterhalb der Lunge und oberhalb der Leber. Und es gibt das leuchtende Herz des Geistes, Shen, das Qi und Blut erzeugt und folglich die Wurzel des Lebens ist. Es ist die Quelle aller Teile und Funktionen des Körpers, doch es manifestiert sich nicht in offensichtlichen Zeichen und Farben. Gerade wenn Du es beschreiben willst und sagst, ‚hier ist es’, dann ist es fort. Wann immer Du es jedoch vergisst, rückt es Dir näher als jemals zuvor. Dies ist der Grund, warum es der ‚leere Geist’ genannt wird. Trotz seiner schwer fasslichen Natur kommandiert Shen jede Handlung und jeden Teil Deines Körpers. Die materielle Form und der leuchtende Shen müssen daher als ein ineinander verflochtenes Paar betrachtet werden und wir müssen verstehen, dass Erkrankungen des strukturellen Herzens immer durch ein Ungleichgewicht der Emotionen verursacht werden, etwa durch Depression, Besorgnis, Obsession oder Trauer, die einen Weg öffnen, durch den schädliche Pathogene eindringen können.“
Aus Li Tings, Elementarbuch der Medizin (Yixue Rumen), 1575:
„Das antike Buch der Definitionen [Neijing] bezieht sich auf das Herz als den Herrscher des menschlichen Körpers, den Sitz von Bewusstsein und Intelligenz. Wenn wir uns entscheiden, dieses wesentliche Element in unserer täglichen Praxis zu nähren, dann werden unsere Leben lang, gesund und sicher sein. Wenn der Blick des Herrschers jedoch gestört und getrübt wird, dann wird der Pfad sich verstopfen und ein schwerer Schaden des materiellen Körpers ist das Ergebnis. Wenn wir ein Leben führen, in dessen Zentrum störende Gedanken und Handlungen stehen, werden schädliche Konsequenzen das Resultat sein.
Der Weise betrachtet seinen Körper als einen Staat: das Herz ist der Herrscher und das Jing und das Qi sind die Bürger. Wenn das Herz seine erhabene Position nicht missbraucht, wenn es zentriert und fokussiert bleibt auf die wesentlichen Angelegenheiten, wird das Jing blühen und das Qi ist stabil, schädliche Eindringlinge werden immer abgewehrt, das Dantian ist angefüllt mit Schätzen und jeder Bereich der körperlichen Landschaft wird hell und friedvoll sein.“
Aus Li Yuhengs, Das Entfalten der Matte mit erleuchtenden Worten (Tuipeng Wuyu), Ming-Dynastie, 1570:
„Jedes der zwölf Leitbahnnetzwerke folgt den Befehlen des Herzens. Das Herz ist daher der Herrscher der Organnetzwerke. Seine Position ist der Süden, seine Jahreszeit der Sommer und seine Natur das Feuer. Das Herz repräsentiert folglich das Prinzip des kaiserlichen Feuers des Körpers (jun huo). Seine Beziehung zu den anderen Organen ist hierarchisch; nicht nur dass die zwölf Leitbahnnetzwerke ihr jeweiliges Qi [Funktionen] in Einklang zu den Direktiven des Herzens bringen, sondern sie bieten ihr gesamtes Jing [materielle Essenz] an, um das Herz zu nähren.
Daher ist das Herz die Wurzel des Lebens, der Sitz des Shen, der Meister des Blutes und der Kommandeur der Gefäße. Diese erhabene Position hat ihren Grund in der Allgegenwart des Shen: Shen residiert im Qi und Qi residiert im Jing. Einzig das Jing des Herzens ist immer reichlich vorhanden, was es in die Lage versetzt untergeordnete Shen zu den anderen vier Zang-Organen zu senden. Einzig das Qi des Herzen ist immer reichlich vorhanden, was es in die Lage versetzt, das Jing des Körpers in die sechs Fu-Organe zu lenken. Dies sind die Hauptfunktionen des Herzens.
Das Herz ist mit der Niere verbunden. Der Klassier [Neijing] bemerkt: ‚Das Herz residiert in den Gefäßen. Es herrscht über das Nierennetzwerk, jedoch nicht über eine kontrollierende Position im Einhalt gebietendem Zyklus der Beziehungen zwischen den Organnetzwerken [in dem tatsächlich die Niere dem Herz Einhalt gebietet], sondern schlicht weil es der Generalkommandeur aller Organnetzwerke ist. Bevor das Herz-Feuer sich jedoch harmonisch mit dem Nieren-Wasser verbinden kann, muss das Nieren-Wasser hinreichend vorhanden sein. Ist dies nicht der Fall, wird das Herz-Feuer außer Kontrolle geraten und alle Arten von Herz- und Nierenleiden werden auftreten.’
Aufgrund dieser verflochtenen Beziehung zwischen dem Herzen und der Niere, gibt es zwei Methoden das Herz zu nähren und zu beschützen: Erstens gibt es die Methode, das Herz-Qi direkt zu nähren, d. h. über sein eigenes Leitbahnnetzwerk. Dies bedeutet: belaste Dich nicht mit bedrückenden Gedanken, sei nicht besorgt über zukünftige Ereignisse, die möglicherweise niemals stattfinden, halte nicht an Dingen fest, die in der Vergangenheit richtig waren – all diese Emotionen zerstreuen den Glanz des Shen. Wenn wir unser Herz überstrapazieren, werden wir sein Qi schädigen. Wenn dies geschieht, wird auch das Jing Schaden nehmen und der Shen wird konsequenterweise seine Wohnstatt verlieren. Wenn wir einen Blick auf die Doktrin des Konfuzius werfen (wolle nicht, strebe nicht, sei nicht unbeugsam, sei nicht egoistisch) und auf die seines Schülers Mencius (sei nicht selbstgerecht, erwarte nichts, erzwinge nichts), sehen wir, dass die Art und Weise das Herz zu nähren schon während der Zeiten von Konfuzius und Mencius völlig verstanden worden war. Selbst obwohl beide Meister nicht viel zur Medizin gesagt haben, wussten sie mit Sicherheit darum, wie das Herz zu nähren ist.
Zweitens gibt es die Option, das Herz zu hegen und zu pflegen, indem man sein Jing über das Nierennetzwerk nährt. Dies bedeutet: mäßige Dein Sexualleben, giere nicht nach Frauen, andernfalls wird Dein ministerielles Feuer (xiang huo) auflodern und instabil werden. Gibt es keinen schützenden Erhalt durch die Nieren, wird das Jing der Nieren geschädigt. Wenn das Nieren-Jing geschädigt ist, wird das Qi ebenfalls unter schädigenden Einflüssen leiden. Das Wasser wird dann nicht mehr in der Lage sein, dem Feuer Einhalt zu gebieten, das Yin bietet dem Yang keine Zuflucht mehr und pathologisches Wasser-Qi wird das Herz einhüllen.
Dies ist genau das, was Meister Xianchuan meinte, als er sagte: ‚Jing kann Qi hervorbringen und Qi kann Shen erzeugen; es gibt nichts Größeres als einen gesunden Körper, der übersprudelt vor Ying [Jing] und Wei [Qi]! Ein Praktizierender, der danach trachtet, das Leben zu nähren, muss zu allererst sein Jing hegen. Ist Jing im Überfluss vorhanden, gibt es reichlich Qi; wenn es reichlich Qi gibt, gibt es Shen im Übermaß und ist Shen im Übermaß vorhanden, wird der Körper stark sein. Und schließlich gibt es, ist der Körper stark, keine Erkrankung.’ Der Meisterarzt Zhu Danxi (1282-1358) schrieb darüber hinaus einmal: ‚Die Niere hat die Verantwortung zu verankern und zu speichern, die Leber ist verantwortlich für den harmonischen Fluss. Beide Organsysteme enthalten ministerielles Feuer und sind an ihrem oberen Ende mit dem Herzen verbunden. Der Herz-Kaiser repräsentiert das Feuer – einmal entzündet, beginnt es aufzulodern. Wenn das imperiale Feuer des Herzen zu lodern beginnt, lodert auch das ministerielle Feuer und das Jing wird naturgemäß vom Wege abkommen. Dies zeigt uns, dass das Jing von der Niere verankert und von der Leber aktiviert wird, und dass ein Aus- und Verströmen des Jing gewöhnlich vom Herzen ausgeht. Wenn eines dieser Netzwerke sein Gleichgewicht verliert, werden auch alle anderen Bereiche beeinträchtigt!’ Was Xianchuan und Danxi hier so klar formulieren, steht für die kollektive Warnung, die die Meister der Herznährung seit undenklichen Zeiten aussprechen. Mit einem Wort: wenn das Herz nicht richtig genährt wird, wird es krank; wenn die Niere nicht richtig genährt wird, wird das Herz ebenfalls krank.
Ist es nun so, dass diese inneren Fülle- und Mangelzustände des Herzens Ähnlichkeit haben mit den äußeren Unausgewogenheiten wie Feuer-Stagnationen oder Feuer-Pathogenen, die die Atmosphäre während bestimmter Zeiten des 60-jährigen Zykluses der kosmischen Zirkulation durchziehen? In der Tat, sowohl äußeren als auch inneren Unausgewogenheiten dieser Natur muss entgegengewirkt werden, indem man das eigene Jing in Schranken hält, um das Qi zu stützen, und indem man das eigene Yin nährt, um den Shen zu festigen.“
Aus Shen Jin’aos, Dr. Shens Kompedium ehrenhaften Lebens (Shen Shi Zusheng Shu), 1773
Quelle: http://www.classicalchinesemedicine.org/2010/12/herz-feuer/