28.05.2015

airchina - eine endlose Geschichte

Anfang des Jahres buchte ich Flüge für 13 Personen von Frankfurt via Peking nach Xiangfan in der Provinz Hubei. Ende Februar teilte mir die Fluggesellschaft airchina mit, sie müsse die Flüge von Peking nach Xiangfan und zurück stornieren. Als Grund wurde mir gesagt, der Flughafen Xiangfan könne bis Oktober nicht angeflogen werden. Ein Freund, der uns in Wudangshan besuchte, kam von Peking mit airchina nach Xiangfan.
Als Alternative bot man mir an, nach Wuhan zu fliegen und von dort zurück. Wuhan liegt ca. 500 km von unserem Reiseziel entfernt. Wie wir von dort weiterkämen müsste ich selbst organisieren. Ich lehnte dieses Angebot ab und teilte mit, wir würde dann per Zug zu unserem Ziel Wudangshan reisen und ebenso per Zug zurück. Man möge mir dann bitte das Geld für die stornierten Flüge zurücküberweisen.
Fragen über eventuelle Hilfen seitens der airline, zum Beispiel ein Fahrerservice vom Flughafen zum Bahnhof, der auf der Webseite angeboten wird, oder zumindest eine Information, wie weit der Bahnhof zeitlich vom Flughafen entfernt sei, um kalkulieren zu können, wurden nie beantwortet. So erreichten wir unseren Zug im wahrsten Sinne des Wortes auf die letzte Minute.
Zwischenzeitliche Versuche, über höhere Stelle zumindest die Rückzahlung des Geldes zu erreichen, taumelten ebenfalls ins Leere. Mit stoischer Gelassenheit ignoriert man meine Fragen, wann ich denn das Geld bekäme. Ich habe bis heute noch nicht das Geld zurück.
Ich organisiere seit sieben oder acht Jahren Gruppenreisen nach Wudangshan. Immer mit airchina. Ich denke, das war das letzte Mal.

25.05.2015

In my kitchen in New York


Der wohl bekannteste Dichter der Beat Generation, Allen Ginsberg (1926 - 1997), schrieb ein Gedicht über Tai Chi in seiner Küche in New York City. Es ist der einzige Raum in seinem Apartment, der genug Platz bietet. Offenbar hat er große Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was er dort macht, was immer in sein Blickfeld kommt, lenkt ihn ab von seiner Übung. Ginsberg hatte Tai Chi gelernt von Bataan Faigao, einem Schüler von Chen Man Ching. Das Video von 1984 gibt einen Eindruck, was um diese Zeit im Westen teilweise unter Tai Chi verstanden wurde.

Thanks to Julianne Zhou, who posted this on Daoist Gate Wudang Arts


In my kitchen in New York
by Allen Ginsberg
for Bataan Faigao
Bend knees, shift weight
Picasso’s blue deathhead self portrait
tacked on refrigerator door
This is the only space in the apartment
big enough to do t’ai chi
Straighten right foot & rise–I wonder
if I should have set aside that garbage
pail
Raise up my hands & bring them back to
shoulders–The towels and pyjama
laundry’s hanging on a rope in the hall
Push down & grasp the sparrow’s tail
Those paper boxes of grocery bags are
blocking the closed door
Turn north–I should hang up all
those pots on the stovetop
Am I holding the world right? That
Hopi picture on the wall shows
rain & lightning bolt
Turn right again–thru the door, God
my office space is a mess of
pictures & unanswered letters
Left on my hips–Thank God Arthur Rimbaud’s
watching me from over the sink
Single whip–piano’s in the room, well
Steven & Maria finally’ll move to their
own apartment next week! His pants’re
still here & Julius in his bed
This gesture’s the opposite of St. Francis
in Ecstasy by Bellini–hands
down for me
I better concentrate on what I’m doing
weight in belly, move by hips
No, that was the single whip–that apron’s
hanging on the North wall a year
I haven’t used it once
Except to wipe my hands–the Crane
spreads its wings have I paid
the electric bill?
Playing the guitar do I have enough $
to leave the rent paid while I’m
in China?
Brush knee–that was good
halavah, pounded sesame seed,
in the icebox a week
Withdraw & push–I should
get a loft or giant living room
The land speculators bought up all
the sqaure feet in Manhattan,
beginning with the Indians
Cross hands–I should write
a letter to the Times saying
it’s unethical
Come to rest hands down knees
straight–I wonder how
my liver’s doing. O.K. I guess
tonite, I quit smoking last
week. I wonder if they’ll blow
up an H Bomb? Probably not.
-Manhattan Midnite, September 5, 1984

24.05.2015

Die zehn Verbote für den Kampfkünstler



Die Niederschrift der “Zehn Verbote für den Kampfkünstler” (Xi wu shi jin 习武十禁) wird dem Shaolin-Mönch Jue Yuan 觉远 zugeschrieben, der gegen Ende der Südlichen Song-Dynastie (1126–1279) gelebt haben soll. In den chinesischen Quellen heißt es, Jue Yuan habe sich damals einen Namen als großer Meister der chinesischen Kampfkünste gemacht und im Shaolin-Kloster die Mönche in der Kampfkunst unterrichtet.

1. Verrat am Meister (yijin panshi 一禁叛师)

2. Abschweifendes Denken (erjin yisi 二禁异思)

3. Dummes Gerede (sanjin wangyan 三禁妄言)

4. Oberflächliche Künste (sijin fuyi 四禁浮艺)

5. Rauben und Stehlen (wujin daojie 五禁盗劫)

6. Den eignen Stil als den besten anpreisen (liujin kuangmen 六禁狂门)

7. Fehlende kindliche Pietät (qijin buxiao 七禁不孝)

8. Sich kaiserlichen Befehlen widersetzen (bajin kangzhao 八禁抗诏)

9. Schwache drangsalieren (jiujin qiruo 九禁欺弱)

10. Alkohol und Ausschweifungen (shijin jiuyin 十禁酒淫)

Seine Aufzeichnungen wurden zum ersten Mal im Jahr 1915 in dem Werk „Geheime Techniken der Shaolin Kampfkunst“ (Shaolinquan shu mijue 少林拳术秘诀) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, dabei finden sich auch folgende Erläuterungen der “Zehn Verbote”.

aus Wen Wu, Zeitschrift für chinesische Kultur und Kampfkunst


22.05.2015

Chinesisch 2


Um einem Westler die Aussprache eines chinesischen Schriftzeichens zu erleichtern, hat man sich schon seit längerem die verschiedensten latinisierte Umschriften einfallen lassen. Ist ja auch nicht so einfach, spricht doch ein Engländer ein geschriebenes Beijing anders aus als ein Franzose oder Deutscher. Da ist doch im Deutschen schon das ei nicht mehr von einem ai zu unterscheiden, wird es ja wie letzteres ausgesprochen. Was übrigens zur Folge hat, dass der höchste Berg Spaniens, der Teide auf Teneriffa, von Deutschen gern Te-Ide genannt wird, weil sie es anders schon nicht mehr können und zwanghaft ohne die Trennung Taide sagen würden. In alten Büchern findet man mitunter noch so eigenwillige Umschreibungen, die direkt der deutschen Sprache angepasst sind. So hatte ich mal eine Ausgabe des Laozi Buches in der Hand, auf dem der Autor Lau Dse und das Buch Dau Dö Dsching geschrieben waren. Kommt der tatsächlischen Aussprache jedenfalls näher als die lange Zeit genutzte und hängen geblieben Wade Giles Umschrift, wo es Lao T'se und Tao te King heißt. So sagen dann auch alle: Tao Te King vom La O Ze. Versteht natürlich kein Chinese. Sowenig wie Thai Tschi Tschuan.

Der Name der chinesischen Hauptstadt besteht aus zwei Schriftzeichen und folglich aus zwei Silben. Die Schrift ist konsequent einsilbig, auch wenn schon mal zwei oder drei Vokale hintereinander kommen.

Bei 北, was Norden oder nördlich bedeutet, wird nicht Bai sondern wie ebay ohne e gesprochen und jing 京wird im Anlaut wie ein englisches jott bei jungle oder jesus oder, wie im Deutschen ähnlich wie in Mädchen. Also Baydching.

So zumindest hab ich das mal gelernt. Nun möchte Lehrer Ming von mir Englisch lernen. Da tut sich seine Zunge oft schwer. Es ist dem Chinesen fremd, auf einen Konsonanten zu enden. Da will er immer noch ein e dran hängen. Aber auch so ein i in circle, und warum das fast so ausgesprochen wird wie learn, das ist nicht leicht verständlich. Vielleicht deshalb mägelt er an meiner chinesischen Aussprache rum. Wenn es ein Z sein soll, ohne ein H dahinter und auch ohne ein T davor. Wenn ich es dann zu seiner Zufriedenheit hinbekomme, dann kann es sein, dass gerade die kleine Jia Xian reinkommt und mir sagt, es müsse nicht Z sondern TCH wie in Tchibo sein (was sie natürlich nicht als Beispiel kennt).

Und da gilt es zu unterscheiden zwischen c ch s sh z zh j q x - kommt alles so ähnlich erst mal ins Ohr. Wer sich weiter darin verirren will, bitte hier bei wikipedia




18.05.2015

die 14 qigong gedichte der sun buer einfuehrung


Sun Bu’er (孙不二, ca.1119-1182) gehört zu den sogenannten Sieben Meistern des Quanzhen-Daoismus. Ihr bürgerlicher Name lautete Sun Fuchun (孙富春). Sie war verheiratet mit Ma Yu (马钰, 1123-1183), mit dem sie drei Söhne hatte. Offenbar begann sie erst recht spät, etwa im Alter von 50 Jahren, ernsthaft daoistische Übungen zu betreiben, überholte dann aber, wenn man der weiter unten zitierten biographischen Skizze Glauben schenkt, darin ihren Mann. Beider Lehrer war Wang Zhe (王喆, 1113-1170). Die Rahmendaten sind zwar spärlich, geben aber doch einen Hinweis darauf, dass das Praktizieren der Inneren Alchemie viel Zeit erfordert und sich eigentlich nur in klösterlicher bzw. einsiedlerischer Abgeschiedenheit verwirklichen lässt, also gewissermaßen erst dann, wenn „die Kinder aus dem Haus sind“. Der Name „Bu’er“ weist darauf hin, dass Sun sich, als sie einmal den Entschluss gefasst hatte, durch nichts und niemanden mehr vom Studium und Meditieren abhalten ließ. Sie soll sich sogar selbst heißes Öl ins Gesicht gekippt haben, um sich unattraktiv zu machen und sich ganz der Inneren Alchemie widmen zu können.
Die Textsammlung Nüzi danjing huibian (女子丹经汇编 , Sammlung von Texten über Innere Alchemie für Frauen) enthält u.a. die 14 Qigong-Gedichte der Sun Bu’er und liefert auch die unten folgende kurze biographische Skizze, in der die Sun Fuchun, Ma Yu und Wang Zhe bei ihren daoistischen Namen Bu’er, Danyang 丹阳 (=Zinnober-Yang) und Chongyang 重阳 (=doppeltes Yang) genannt werden. Während im Buddhismus die Erleuchtung angestrebt wird, geht es in daoistischen Texten um die „Transformation“ bzw. das „Emporsteigen“. Das bedeutet, die körperlichen und geistigen Prozesse werden komplett umgestellt, der Adept / die Adeptin wird unsterblich und entzieht sich so dem Verständnis und der Existenz normaler Menschen.

Chinesisch



Gleich an einem der ersten Tage bekam ich von meiner Nachbarin, der 13jährigen Yao Jia Xian, eine ihrer Kaligraphien geschenkt. Wahrscheinlich ganz frisch von der täglichen Unterrichtsstunde. Nur wusste ich mit den vier Schriftzeichen erst mal nichts anzufangen, was deren Sinn angeht. Dann kam ich dahinter, es muss von rechts nach links gelesen werden, aber viel schlauer wurde ich daraus auch nicht. Da steht

上 shang: nach oben, hochlaufen oder steigen, vorher, an einer Tätigkeit teilnehmen, beginnen.

善 shan: billigen, für gut befinden, gut, lieb, warmherzig

若 ruo: als ob, scheinen deuchen, wie

水 shui, Wasser, Flüssigkeit, Fluss, Gewässer

若水 ruo shui, wie Wasser, heißt fließen. Aber mit dem shang shan kam ich lange nicht zurecht. ich fragte die Kleine, die verhältnismäßig gut Englisch spricht ( sie kann ein paar Brocken), ob sie wisse, was das bedeutet. "No."

Dann kam ich endlich auf die Idee, den ganzen Komplex in mein digitales Wörterbuch einzugeben, und siehe da, das Ergebnis lautet: Nächstenliebe. Wär ich so nicht drauf gekommen. Manche Kombinationen muss man einfach wissen. Ist doch ein schönes Geschenk. Danke Jia Xian.


Grafik copyright Joachim Mäder

放鬆 - relax



The Psoas: Muscle of The Soul


psoasI was delighted when I first came across Liz Koch’s amazing work because it confirmed much of what I’d been intuiting on my own. I had begun to open and close my yoga practise with hip opening poses with the specific intention of releasing tension in my psoas and hip flexors. I’d breathe and imagine tension flowing out of constricted muscles to be released as energy into the torso.
It worked, I’d feel my body soften yet somehow grow stronger.
Reading Liz Koch I instantly realized what I was doing – by learning to relax my psoas I was literally energizing my deepest core by reconnecting with the powerful energy of the earth. According to Koch, the psoas is far more than a core stabilizing muscle; it is an organ of perception composed of bio-intelligent tissue and “literally embodies our deepest urge for survival, and more profoundly, our elemental desire to flourish.”
Well, I just had to learn more. Here is just a sprinkling of the research that Liz Koch and others have uncovered regarding the importance of the psoas to our health, vitality and emotional well-being.
The Psoas muscle (pronounced so-as) is the deepest muscle of the human body affecting our structural balance, muscular integrity, flexibility, strength, range of motion, joint mobility, and organ functioning.
Growing out of both sides of the spine, the psoas spans laterally from the 12th thoracic vertebrae (T12) to each of the 5 lumbar vertebrae. From there it flows down through the abdominal core, the pelvis, to attach to the top of the femur (thigh) bone.
The Psoas is the only ‘muscle’ to connect the spine to the legs.  It is responsible for holding us upright, and allows us to lift our legs in order to walk. A healthily functioning psoas stabilizes the spine and provides support through the trunk, forming a shelf for the vital organs of the abdominal core.
The psoas is connected to the diaphragm through connective tissue or fascia which affects both our breath and fear reflex. This is because the psoas is directly linked to the reptilian brain, the most ancient interior part of the brain stem and spinal cord.  As Koch writes “Long before the spoken word or the organizing capacity of the cortex developed, the reptilian brain, known for its survival instincts, maintained our essential core functioning.”
Koch believes that our fast paced modern lifestyle (which runs on the adrenaline of our sympathetic nervous system) chronically triggers and tightens the psoas – making it literally ready to run or fight. The psoas helps you to spring into action – or curl you up into a protective ball.
If we constantly contract the psoas to due to stress or tension , the muscle eventually begins to shorten leading to a host of painful conditions including low back pain, sacroiliac pain, sciatica, disc problems, spondylolysis, scoliosis, hip degeneration, knee pain, menstruation pain, infertility, and digestive problems.
A tight psoas not only creates structural problems, it constricts the organs, puts pressure on nerves, interferes with the movement of fluids, and impairs diaphragmatic breathing.
In fact, “The psoas is so intimately involved in such basic physical and emotional reactions, that a chronically tightened psoas continually signals your body that you’re in danger, eventually exhausting the adrenal glands and depleting the immune system.”
And according to Koch, this situation is exacerbated by many things in our modern lifestyle, from car seats to constrictive clothing, from chairs to shoes that distort our posture, curtail our natural movements and further constrict our psoas.
Koch believes the first step in cultivating a healthy psoas is to release unnecessary tension.  But “to work with the psoas is not to try to control the muscle, but to cultivate the awareness necessary for sensing its messages.  This involves making a conscious choice to become somatically aware.”
 A relaxed psoas is the mark of play and creative expression.  Instead of the contracted psoas, ready to run or fight, the relaxed and released psoas is ready instead to lengthen and open, to dance. In many yoga poses (like tree)  the thighs can’t fully rotate outward unless the psoas releases. A released psoas allows the front of the thighs to lengthen and the leg to move independently from the pelvis, enhancing and deepening the lift of the entire torso and heart.
Koch believes that by cultivating a healthy psoas, we can rekindle our body’s vital energies by learning to reconnect with the life force of the universe. Within the Taoist tradition the psoas is spoken of as the seat or muscle of the soul, and surrounds the lower “Dan tien” a major energy center of body.  A flexible and strong psoas grounds us and allows subtle energies to flow through the bones, muscles and joints.
Koch writes “The psoas, by conducting energy, grounds us to the earth, just as a grounding wire prevents shocks and eliminates static on a radio. Freed and grounded, the spine can awaken”…“ As gravitational flows transfer weight through bones, tissue, and muscle, into the earth, the earth rebounds, flowing back up the legs and spine, energizing, coordinating and animating posture, movement and expression. It is an uninterrupted conversation between self, earth, and cosmos.”
So, it might be worth it, next time you practice, to tune in and pay attention to what your bio-intelligent psoas has to say.

15.05.2015

Der tausendjährige Molch



Es ist 20:22 Ortszeit und ein Zug verlässt den Bahnhof von Wuhan (Wuchang). Ich weiß nicht, ob meine Reisegruppe drin sitzt. Was ist passiert? Zuerst die gute Nachricht? Ok zuerst die gute. Es ging darum, wie lange ein Bus braucht nach Wuhan Wuchang. Ältere Informationen sprachen von viereinhalb Stunden. Ich kalkulierte sechs. Bedeutet, wenn man um acht Uhr dort sein möchte, um zwei Uhr abfahren. Dann aber meinte Freund Pei, der sich auskennt, wir sollten um Zwölf unten am Tor losfahren, also um elf hier oben von der Schule weg. Der Fahrer aber meinte, um zwölf würde der Verkehr zu dicht, er wolle schon um elf fahren. Die Mitglieder der Reisegruppe wurden ob des immer weiter nach vorne verlegten Abfahrttermins langsam ungehalten. Dann hatte ich noch einen Wagen organisiert, der das Gepäck zum Tor bringt, damit die Leut nicht mit ihrem ganzen Gelerch in den Gebirgsbus steigen müssen. (Zwischenbericht, die wirklich gute Meldung: Sie sitzen im Zug! Danke QQ - siehe auch Bahnhof Beijing West) Gut, also jetzt ganz entspannt weiter entlang der Zeitlinie. Unten am Tor angekommen, auf den Bus wartend, hält ein PKW, entsteigt Guan Yongxing und Meister Yang, def nun die neue, große Akademie am Eingang, am Wudangshan Tor, leitet. Zweiter PKW, entsteigt Dr. Wang Taike, großes Hallo, Begrüßung und dann kommt der Bus. Und die Mitglieder der Reisegruppe staunt, wen wir alles kennen.

Jetzt große Verabschiedung, Umarmungen und betonte Nichtumarmungen, denn nicht jeder geht froh, oder ist froh, zu gehen, Sehr verschieden sind die Menschen. Die Wirklichkeit ist immer um mindestens vier Dimensionen reicher als deine Vorstellungen von ihr. Grund genug, sich von den Vorstellungen zu verabschieden. Pünktlich um elf Uhr letztes winkewinke, Xuehao, der mit runter gefahren war, geht in die Stadt, ich dreh mich um und fahre wieder bergan shangshan.

Was macht man, wenn mit einmal alles anders ist? Zimmer um- und aufräumen, Schuhe putzen, zum Tempel, trainieren. Bis ein anders Programm für mich gestrickt ist werde ich oben, neben dem Papamama-Tempel auf der neu geschaffenen Plattform üben. Dort, wo früher ein kleiner Hain war und wo wir mit Zhong Xueyong 2006 das Hunn Yuan Gong gelernt haben (Zurückkehren zum Ursprung). Jetzt stehen noch ein paar kleine Bäume und ein Halbmondteich, in dem ein tausendjähriger Molch lebt. Ich hhab ihn gesehen, grau, dick und lang wie ein Unterschenkel, kauert er an der Brunnenwand. Man muss Glück haben, ihn beim Luftholen zu erwischen.

Zurück auf meinem Zimmer überrascht mich die Meldung: "Wir stehen hier an einer Tankstelle, Maschine kaputt." Das war kurz, nachdem ich zum Training raus war eingetroffen und fast zwei Stunden später: "Wir stehen noch immer hier und warten auf Ersatzteil oder Bus."

Nach einiger Nervosität, einiegn Telefonaten kam die Nachricht:"sitzen in neuem Bus, nur noch 150 km bis Wuhan." Letztlich haben sie es geschafft. Wieder mal eine Punktlandung. Trainingsreisen nach Wudangshan, das letzte Abenteuer der Menschheit


Foto: Stephan Indermühle

Perlen


Guan Shifu, den wir heute noch mal getroffen haben, aber das ist eine andere Geschichte, schenkte mir vor ein paar Jahren dieses Armband mit kleinen, eingravierten Schriftzeichen. Neugierig wie ich bin, habe ich eine Perle entziffert, die Zeichen gegoogelt und den kompletten Text gefunden. Es handelt sich um das Qing Jing Jing, ein kleiner daoistischer Text. Vor einigen Wochen ist mir der Gummi gerissen und die Perlen haben sich verteilt. Weil die Schrift so klein ist und meine Augen schlechter werden, habe ich mich vor der Mühe gedrückt, alle wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen und neu aufzufädeln. Ich hab es mir jetzt hier neu gekauft. Diese Ausführung aus feinem Sandelholz gibt es anscheinend nur im Tempel, dem Zixiao Gong. Nun nehm ich die Wiederaufnahme als Gelegenheit, den Text noch einmal zu veröffentlichen (er steht auch im Anhang des "Sitzen in Vergessenheit")

老君曰 ﹕

大道無形,生育天地。
大道無情,運行日月。
大道無名,長養萬物。
吾不知其名,強名曰道。
夫道者 ﹕
有清有濁,有動有靜。
天清地濁,天動地靜。
男清女濁,男動女靜。
降本流末,而生萬物。
清者濁之源,靜者動之基。
人能常清靜,天地悉皆歸。


Laojun sagte:
Das große Dao hat keine Form aber es gebiert und nährt Himmel und Erde.
Das große Dao hat keine Gefühle, aber es bewegt Sonne und Mond.
Das große Dao hat keinen Namen, aber es nährt alle Dinge.
Ich kenne seinen Namen nicht, so nenne ich es ‚Dao‘.
Das große Dao zeigt sich
in Klarheit und Trübnis, in Bewegung und Ruhe
Der Himmel ist klar, die Erde ist trüb.
Der Himmel bewegt und die Erde ruht.
Das Männliche klar, das Weibliche trüb.
Das Männliche bewegt, das Weibliche ruhend. 
Aus der Quelle entspringend zum Ende hin strömend 
wird alles geboren.
Klarheit ist Ursprung des Trüben
Ruhe ist Ursprung der Bewegung
Wer ständig in Ruhe und Klarheit verweilt
wird sich im Ursprung mit Himmel und Erde vereinen.



2.

夫人神好清,而情撓之。 人心好靜,而慾牽之。 常能遣其慾,而心自靜。 澄其心,而神自清。 自然六慾不生,三毒消滅。 所以不能者,為心未澄者, 慾未遣也。 能遣之者﹕ 內觀於心,心無其心; 外觀於形,形無其形; 遠觀於物,物無其物。 三者既悟,唯見於空。

Des Menschen Geist mag Klarheit, aber Gedanken stören sie.
Des Menschen Herz sehnt Ruhe, aber die Wünsche verwirren es.
Wer sein Verlangen bändigt, dessen Herz findet Ruhe.
Wer seine Gedanken klärt, dessen Geist wird rein.
Ganz natürlich entstehen die sechs Begierden nicht mehr und die drei Gifte verschwinden.

Der Grund, warum dies so schwer zu erreichen ist, liegt darin, dass die Herzen nicht klar sind und das Verlangen nicht gebändigt.
Gelingt es das Verlangen zu bändigen:
Betrachte dein Herz, dann findet sich kein Herz,
betrachte deinen Körper, dann gibt es keinen Körper,
betrachte die Dinge, dann existieren keine Dinge.
Hat man diese drei Wahrheiten realisiert, dann sieht man nur Leere.

3.

觀空以空,空無所空。 所空既無,無無亦無。 無無既無,湛然常寂。 寂無所寂,慾豈能生。 慾既不生,即是真靜。 真靜應物,真常得性。 常應常靜﹕常清靜矣。

Selbst das „Sehen der Leere“ wird leer.
die Leere kann nicht geleert werden.
kann sie nicht geleert werden,
existiert auch das Nichts nicht.
existiert das Nichts nicht mehr,
wird der Zustand der Klarheit beständig still.
Kann Stille nicht gestillt werden,
kann kein Verlangen entstehen.
Kann kein Verlangen entstehen,
erreicht man den Zustand wahrer Ruhe.
Wahre Ruhe reagiert auf die Dinge.
Wahre Ruhe eröffnet deine wahre Natur.
Also wenn man reagiert und dabei in Ruhe verweilt,
befindet man sich im Zustand von Klarheit und Ruhe.



4. 如此清靜,漸入真道。 既入真道,名為得道。 雖名得道,實無所得。 為化眾生,名為得道。 能悟之者,可傳聖道。


In Klarheit und Stille, erreiche das wahre Dao
erreichst du das wahre Dao, heißt es vollendetes Bewusstsein
Obwohl vollendetes Bewusstsein genannt, ist nichts zu vollenden.
Das vollendete Bewusstsein ist bestrebt, alle Lebewesen zu befreien.
Nur wer fähig ist dies zu begreifen, kann den heiligen Weg auch vermitteln.


5. 
老君曰: 
上士無爭,下士好爭。 
上德不德,下德執德。 
執著之者,不名道德。 
眾生所以 , 不得真道者, 
為見妄心。 
既見妄心,即矜其身。 
既矜其身,即著萬物。 
既著萬物,即生貪求。 
既生貪求,即是煩惱。 
煩惱妄想,  憂苦身心。
Lao Jun sagt:
Der Hohe meidet Streit, der Niedere leidet Streit.
Hohe Tugend berührt keine Tugend, niedere Tugend führt zu Tugend. 
Diejenigen die darauf bestehen, verstehen weder Weg noch Wandel.

Darum können nicht alle Wesen 
den wahren Weg erkennen
denn ihre Herzen sind verwirrt.
Ist das Herz verwirrt, 
sind die Gedanken verworren
sind die Gedanken verworren, 
suchen sie äußeren Halt.
Haften sie an äußeren Dingen, 
entstehen Verlangen und Anmaßung.
Haben sich Verlangen und Anmaßung eingenistet, 
breiten sich Ärger und Ängste aus.

6. 
便遭濁辱,流浪生死。 
常沉苦海,永失真道。 
真常之道,悟者自得。 
得悟道者,常清靜矣。
Sorgen und Gier vergiften Leib und Seele,
dennoch wälzen sie sich im Schlamm der Schande,
wandern von der Geburt zum Tod,
drohen ständig im Meer der Bitterkeit zu versinken,
auf ewig dem wahren Dao entzweit.

Der wahre und natürliche Weg 
offenbart sich ganz von selbst
denjenigen, die sich ihm widmen.
Wer auf diese Weise begreift, 
bewahrt sich natürlichen Frieden.

14.05.2015

Wechsel



Morgen reist die Gruppe ab. Heute Nachmittag noch ein gemeinsames Training, übermorgen sieht meine Welt anders aus. Dann werde ich nicht mehr in diesem Gang üben, der mir ein richtiges Trainingsheim geworden ist, sondern wohl mehr in der Schule. Wir konnten uns glücklich schätzen, nun in der neuen Anlage unsere Schritte und Drehungen machen zu können. In einer angenehm klösterlichen Atmosphäre, ohne Tempelbesucher. Anscheinend hat man inzwischen meine Gebete erhört und die Megaphone und Lautsprecher im Tempel verboten. Nun quäken sie gelegentlich noch vorm Purpurwolken Palast, aber drin ist es ruhiger. Überhaupt hat es sich schon längst wieder normalisiert. Wir waren ja von zwei besonderen Feiertagen geplagt. Zuerst, bei unserer Ankunft, war Zhen Wus Geburtstag, der über drei Tage zelebriert wurde und viele Besucher angelockt hat. Eine Woche später gab es den May Day, den Ersten Mai als Feiertag, der dieses Jahr auf einem Freitag den Chinesen ein verlängertes Wochenende und damit Gelegenheit auf Ausflüge bot.
Jetzt ist es wieder ruhig. Um uns herum nur noch Wald, der bekanntlich still steht und schweigt. Wenn nicht der Wind durch seine Blätter rauscht und die Vögel ihr vielfältiges Gezwitscher anstimmen, das ich so gut verstehe wie das Geplapper der jungen Chinesen, in deren Gesellschaft ich nun bleibe, als einzige Langnase und Yeye 爷爷.


11.05.2015

Flötentöne


Da ist einer in unserer Reisegruppe, eigentlich Schauspieler, aber jetzt verdient er sein Geld als Graphiker, Joachim. Neben dem beruflichen Zeichnen übt er sich im Manga-Stil, was bei den jungen Schülern auf großes Interesse stößt, Am liebsten hätten alle ein Portrait von ihm. Gleich zu Anfang hat er mal den Lehrer Ming gezeichnet, und weil dem die erste Interpretation nicht gefiel, bekam er noch zwei weitere auf's Blatt. Lehrer Ming, der ein sehr klares Training durchführt, aber jetzt nur noch für die "Kleinen" zuständig ist, übt auch fleißig die Bambusflöte.
Deren Klang wiederum fasziniert auch unseren Zeichner, der heute, auf einem kurzen Abstecher runter in die Stadt, gehofft hatte, dort eine solche Flöte kaufen zu können. Aber entweder es gab keine, oder die Läden hatten zu. Nun versucht Lehrer Ming, ihm bis zu seiner bevorstehenden Abreise, eine Flöte zu besorgen. Wenn das nicht gelingt, muss Joachim sich gedulden. Entweder bis nächstes Jahr, wenn er wieder herkommt, oder bis zum August, wenn ich wieder nach Deutschland komme und ihm eine mitbringe.

Grafik copyright Joachim Mäder

10.05.2015

Wenn andere singen...


Es gibt solche, die ihre innere Kraft zur Schau stellen und mit ihrem Können protzen, um andere zu beeindrucken. Andere reisen umher um Menschen zu begegnen, Segen zu spenden oder Zeremonien abzuhalten. Dann gibt es noch jene, die sich zurückziehen um das Leben eines Eremiten zu führen, sich aber insgeheim eine Karriere wünschen. Wieder andere laden großzügig zu Essen und Wein in der Hoffnung auf spätere Gunst. Das alles ist nicht im Sinne des DAO und verunglimpft rechtes Verhalten. All das muss man vollkommen unterlassen.
Wenn ich nicht singe, singt auch niemand mit mir. Wenn andere singen, falle ich nicht mit ein. So können alte Verstrickungen gelöst werden und neue vermieden. Ritualisierte Feste und ungesunde Gelage verlieren nach und nach an Interesse. Man kann sich ganz der Dao-Kultivierung widmen.
...

Verwirrung und Unwissenheit des Geistes sind bedingt durch den Ort, an dem er sich niedergelassen hat. Will man sein Verhalten ändern, muss man auch den Ort ändern. Das ist eine große Verbesserung. Auch soll man gut wählen, mit wem man sich umgibt. Wie viel wichtiger ist das alles, will man sich aus dem Kreis von Geburt und Tod befreien und den Geist inmitten des DAO seine Heimstatt nehmen lassen? Ohne das Alte aufzugeben kann man das Neue nicht erreichen.

Deshalb soll ein jeder, der damit beginnt DAO zu kultivieren, seinen Geist sammeln in Ruhe, seine Vorstellungen von der Wirklichkeit fahren lassen und sich der Leere hingeben. Hat man sich der Leere hingegeben und haftet auch nichts Seiendem an, tritt man von selbst ein in einen Zustand der Bedingungslosigkeit. So verschmilzt man mit DAO.

Auszug aus: Sitzen in Vergessenheit -  Daoistische Meditation nach dem Zuo Wang Lun von Sima Chengzhen - ISBN 9783734760464

09.05.2015

Die Position des Taijiquan im Westen

www.taichimasterhenry.com
Nach Gründung der Volksrepublik China wurde Taijiquan zu einem staatlich propagierten Instrument zur Förderung der Volksgesundheit. Selbst während der für die traditionellen Kulturgüter Chinas verheerenden Kulturrevolution (1966-1976) konnte Taijiquan für gesundheitliche Zwecke geübt werden, allerdings begab sich jeder in Gefahr, der den Aspekt der Kampfkunst offensichtlich unterrichtete oder übte.
Die Regierung der Volksrepublik China hat die verschiedensten Kampfkünste zusammengefasst und unterstützt auf nationaler und internationaler Ebene die Verbreitung ausgewählter Stile mit vereinheitlichten Formen als Wettkampfsportarten. Dazu gehört auch das Taijiquan.
Dass hierbei der ursprüngliche individuelle Kampfkunstcharakter verloren geht, wenn es um das Erringen von Punkten nach ästhetischen Kriterien geht, liegt auf der Hand. Auch der meditative Aspekt ist für den Wettkampf unbedeutend. Tatsächlich geht es der Regierung auch weniger darum, die Kampfkünste in ihrer tradierten Form zu erhalten, sondern sie durch die Vereinheitlichung in Form von Sportarten zentralisiert zu kontrollieren. Dies liegt zunächst allgemein in der Natur einer autoritären Regierung, es gibt aber auch einen konkreten historischen Hintergrund, nämlich die Verbindung von diversen Kampfkünsten mit Geheimgesellschaften vor allem während der Ming- (1368-1644) und Qing-Dynyastie (1644-1911). Diese entzogen sich definitionsgemäß staatlicher Kontrolle und waren an zahlreichen Aufständen beteiligt. Der im Westen bekannteste Aufstand war der Boxer-Aufstand (1898-1900), in dem mit Aberglauben und Magie vermischte Kampfkünste eine tragende und tragische Rolle spielten.
Im heutigen China ist aber Taijiquan in der Öffentlichkeit nicht so sehr als Wettkampf- und Leistungssport bekannt, sondern als therapeutisch orientierter Breitensport. Staatlich propagierte vereinfachte Formen der verschiedenen Taijiquan-Stile werden dort vor allem von älteren Leuten als eine Art Gymnastik mit Qigong-Elementen geübt, und auch als Bewegungstherapie von Ärzten verschrieben. Dieses Bild des Taijiquan als Altersgymnastik beherrscht in China die öffentlichen Meinung, so dass Taijiquan häufig dort nicht mehr mit Kampfkunst assoziiert wird. Daneben gibt es aber weiterhin eine relativ kleine Zahl von Übenden die versuchen Taijiquan als vollständige Kampfkunst zu erhalten. Diese agieren auch heute noch teilweise außerhalb des staatlich kontrollierten Bereichs.
Der Ausgangspunkt für die Verbreitung des Taijiquan im Westen waren in den sechziger und siebziger Jahren Hongkong und Taiwan. Während sich die Volksrepublik China zu dieser Zeit noch gegen den Westen abschottete, konnten Lehrer aus diesen Gebieten ungehindert reisen und Taijiquan in westlichen Ländern unterrichten. Während das Niveau dieser Lehrer sehr schwankte, war gleichzeitig die Rezeptionsfähigkeit sehr einseitig. Taijiquan wurde zunächst im Zuge der Hippie-Bewegung als alternative Bewegungsform entdeckt und mit pazifistischem Gedankengut vermischt, das der ursprünglichen Kampfkunst völlig fremd ist. Seit den achtziger Jahren wurde dann Taijiquan im Zuge der Esoterik-Welle als "Meditation in Bewegung" propagiert.
Die Problematik der Rezeption im Westen liegt weniger darin, dass auf Grund eines anderen kulturellen Hintergrunds neue Interpretationen des Taijiquan entstanden sind - als Erweiterung der bestehenden Herangehensweise an diese Kampfkunst sind diese an sich eine Bereicherung. Vielmehr entstehen negative Wirkungen dadurch, dass die Grundlagen völlig ignoriert werden und Taijiquan zu einem Synonym für beliebige langsam ausgeführte Bewegungsabläufe geworden ist. Die strengen Anforderungen einer Kampfkunst, die keineswegs Selbstzweck sind, sondern dem Übenden in allen Aspekten zu einem hohen Niveau verhelfen, werden häufig völlig über Bord geworfen.
Diese Beliebigkeit führt dazu, dass Taijiquan seine positiven Auswirkungen auf Gesundheit und Psyche nicht oder nicht voll entfalten kann. Zum Beispiel führt Ungenauigkeit bei der Haltung dazu, dass Verspannungen nicht gelöst werden können und das Erlangen der grundlegenden Bewegung aus dem Körperzentrum heraus unmöglich wird. Dies wiederum kann zu Überbelastungen von einzelnen Gelenken führen. Darüber hinaus wird es erschwert, zu tieferer geistiger Ruhe zu gelangen, da diese durch die körperliche Entspannung bedingt wird.
Diese Entwicklungen, die in China und in westlichen Ländern auf jeweils eigene Weise zu einer Degeneration der Qualität und des Wertes des Taijiquan geführt haben, sind wahrscheinlich unvermeidlich, sobald sich eine Verbreitung einer komplexen Bewegungskunst an große Massen richtet und dazu inhaltlich verflacht werden muss. Nach wie vor gibt es aber Traditionen, die die ursprüngliche Essenz dieser Kampfkunst aufrecht erhalten. Diese gehen aber in die Tiefe individueller Entwicklungsmöglichkeiten und nicht in die Breite eines Massenmarktes. Dennoch sind viele dieser Traditionslinien heute weitaus offener und zugänglicher für den wirklich Interessierten, und darin besteht meines Erachtens die Hoffnung für die Zukunft des Taijiquan.
Quelle http://www.taiji-quan.com/html/evolution.html

06.05.2015

Die kleinen Dinge - mal wieder.


"Warum", so werde ich gefragt, "machen wir denn keine Meditation? Gehört doch auch zum Daoismus." Gemeint ist mit dem Po auf dem Kissen. Natürlich machen wir hier Meditation. Im Stehen, Zhan Zhuang. Im Gehen Taiji Bu und Tai Yi Wu Xing Bu. Wenn man es genau nimmt, sind auch Qigong und Taiji Quan Meditationen. Wir kommen kaum mit der Zeit hin, die gewünschten Formen einigermaßen brauchbar zu lernen, damit genug Kenntnis und Wissen mitgenommen werden kann, um zuhause weiter üben zu können. Bei diesen bewegten Meditationen können unsere Lehrer auch sehen, was richtig gemacht wird und was noch nicht verstanden ist. Was sollen sie denn machen, wenn wir 40 Minuten auf den Kissen hocken.

Warum hier keine Theorie vermittelt wird, will man auch wissen. Woanders wäre das anders, da bekäme man erklärt, in welchem Meridian das Qi bei dieser und bei jener Bewegung fließt. Und überhaupt, der Daoismus. Darüber wird gar nicht geredet. Woanders ist woanders. Hier ist hier. Das zu verstehen ist schon Daoismus. Nun hängen hier in der Schule jede Menge Tafeln mit daoistischen Texten und Sprüchen. Auf Chinesisch. Der komplette Laozi. Auf jeder Tafel ist unten das Gui Gu Logo und danneben stehen vier Schriftzeichen. Die stehen auch auf einer großen Tafel im Treppennhaus. Ich hab sie mal übersetzt. Dao wohnt im kleinsten Grashalm und darunter: "Des Menschen Geist sieht die Gefahren, des Dao Geist sieht das Geringe, Ohne Denken erfassen, dann kann man an seiner Mitte festhalten." 
Ich finde das genug Theorie für drei Wochen.
(Für Korrekturen immer offen)

05.05.2015

Das kleine Einmaleins


Wir sind eine kleine Gruppe von 13 erwachsenen Menschen. Für einige Übungen, wie den Taiji Bu, eine Schritt-Meditation, sollen wir zwei oder drei Reihen bilden. Das gestaltet sich immer schwierig, eine Reihe klappt bisher am Besten. Zum Schluss, wenn wir unseren Trainingsplatz verlassen. Ich habe den Eindruck es sträubt sich der Deutsche gegen gemeinsame, synchrone Bewegung. Es kommt ihm vielleicht zu militärisch vor. Auch den Schritt dann gleichzeitig auszuführen, gemeinsam das Bein zu strecken, den Fuß aufzusetzen und das Gewicht zu verlagern, das stößt auf gewaltige innere Widerstände. Dabei sind die Deutschen doch begeisterte Chorsänger. Rund anderthalb Millionen Menschen singen in ungefähr 60.000 Chören. Wohlgemerkt, in Laienchören. Da singt man doch, hoffentlich, auch gemeinsam und nicht durcheinander, hinkt jeder so ne halbe Note hinter seinem Nebenan her. Den Schritt nicht zusammen und erst recht nicht einen Formenablauf. Zugegeben, ich schaff auch nicht mein Xuanwu Quan so schenll wie mein Trainingsbruder. Aber der könnte ja auch mein Sohn sein. Wie sagte mal Anthony Quinn: "Man kann auch mit sechzig noch agil sein wie ein Vierzigjähriger, aber nur noch eine halbe Stunde."

03.05.2015

Du musst zuerst dein Herz reinigen


Es wird ein Artikel, der auf Taiji-europa veröffentlicht wurde, mit dem obigen Bild auf facebook verlinkt. Ich habe es gewagt, dieses Bild zu kritisieren. Was ist daran zu bemängeln? Nun, wer sich hier in den chinesischen Tempeln nicht auskennt, wird es nicht erkennen. Da sitzt ein junger Mann leicht verzückt meditierend auf einem Polster, offenbar in chinesischer Umgebung, im Hintergrund eine Chinesin. Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich den Mann nicht kenne, ich weiß nicht, ob er identisch ist mit dem Autor oder das Bild aus einem anderen Zusammenhang für den Beitrag gewählt wurde. Das Polster, auf dem er sitzt, wird in daoistischen Tempeln nicht zur Meditation bereitgestellt, sondern um sich darauf zu knien und in Richtung des Altars zu verbeugen. Man macht das drei Mal und zu jeder Verneigung würde die dort sitzende Nonne mit einem Klöppel an die Klangschale schlagen, die neben ihr auf dem Tisch steht. Der junge Mann hat sich nicht zur Meditation auf das Polster gesetzt, sondern um sich fotografieren zu lassen. Er sitzt mit dem Rücken zum Altar, er täuscht eine Handlung vor und er missachtet eine religiöse Einrichtung. Damit tut er niemandem weh, auch mir nicht. Was mich schmerzt ist die Verlogenheit, die sich mit dem einkopierten Satz verbindet: "...man muss zuerst sein Herz reinigen."
Muss man wirklich um diese Botschaft zu vermitteln eine Situation vortäuschen, die von jenen nicht durchschaut werden kann, die sich mit den Gepflogenheiten in daoistischen Tempeln nicht auskennen. Das sind zur Zeit wohl noch die meisten der potentiellen Empfänger der Botschaft.
Nun gut, das also war es, was mich daran hinderte, nun auch den Artikel zu lesen. Statt dessen schrieb ich in etwa jene Kritik als öffentlichen Kommentar unter das Bild. Ich bin der Meinung, wer sich öffentlich darstellt, muss auch öffentliche Kritik ertragen. Statt dessen wurde der Kommentar gelöscht, weil er verurteilend sei, wie man mir in einer privaten Nachricht mitteilte. Urteieln, das hab ich schon öfters erlebt, darf man in der "esoterischen" Szene nicht. Alle haben sich lieb, jeder darf jeden Mist in die Welt hinaus posaunen, das wird ertragen, aber nicht die Kritik. Sie wird wegzensiert, statt öffentlich zu diskutieren. Die Verlogenheit findet nicht nur auf dem Bild statt, sondern auch in ganz vielen Köpfen.

Der Torwart

Den Mann kenne ich nun seit fast zehn Jahren. Will man an der morgendlichen Andacht im Tempel teilnehmen, die so gegen sechs in der Früh beginnt, nimmt man nicht den Haupteingang, denn der ist noch geschlossen, sondern benutzt rechts die Rampe und geht durch eine Tür in dem großen rostigen Tor. Früher war die Tür um die Zeit manchmal noch geschlossen, dann zog ich enttäusch wieder davon, bis ich lernte, dass kräftiges und unbarmherziges Bollern hilft. Irgendwann hörte man gegrummelte Flüche, der Mann schiebt den Riegel zurück und ehe man die Tür geöffnet hat, ist er schon wieder auf dem Weg in seinen kleinen, erbärmlichen Kabuff, eine Kammer, für die selbst dieses schlichte Wort eine Schmeichelei ist. Rohe Steinwände, schmutzige rohe Steinwände, nicht jener Designer-Stil, in dem jede zweite Berliner Butike understated wird. Betonboden, ein Bett hinter Lappenvorhang und ein kleiner Fernseher auf einer Kiste. Meist sitzt er zusammengefaltet auf einem niedrigen chinesischen Stühlchen, die Beine verschränkt, die Arme nah am Körper, den linken vor dem Bauch und den rechten darüber gelegt, den Unterarm diagonal nach oben, mit einer Zigarette zwischen den Fingern.

                                

Sein Essen holt er sich im Kloster, dann steigt er langsam, gleichmäßig die zweihundert Stufen hinauf, mit seiner leeren Schale in der einen und einer Thermoskanne in der anderen Hand. Genauso kommt er mit gefülltem Geschirr wieder runter, langsam und gemächlich. Während seiner Abwesenheit schließt er die Tür und man muss warten, bis er zurück kommt. Dann trägt er Thermoskanne und Essnapf in seinen Verschlag, holt den Schlüssel und öffnet das Vorhängeschloß. Ohne ein Wort, ohne einen Gruß zu erwidern. Tagsüber fegt er den Platz vor dem Tempel mit weit ausholenden Bewegungen. In der letzten Zeit nickt er schon mal zurück, wenn ich ihm ein zao an zurufe. Lächeln hab ich ihn noch nie gesehen.

01.05.2015

Andere Zeiten

Die meisten Schulen hier haben wohl eine "daoistische Woche" mit Mittwoch Nachmittag und Donnerstag als Wochenende, sprich trainingsfrei. Damals, als Meister Zhong noch die alte Akademie leitete, wurde es auch so gehandhabt. Nun, in seiner eigenen Schule, hat er ein Zehntage-System eingeführt. Neun Tage Training, ein Tag frei. Ich glaube nicht, dass er je von meiner Dezimal Zeit erfahren hat, die ich leider nicht intensiv propagiert habe.*

Morgen ist unser freier Tag, sehnsüchtig erwartet. Überraschend teilt uns Meister Zhong nach dem Vormittagstraining mit, auch der heutige Nachmittag sei frei. Freude in allen Augen und mein Vorschlag, in die Stadt zu fahren, wird von allen angenommen. Unten angekommen verteilen sich die kleine Gruppen rasch und wir, Susanna und ich, streben zum Supermarkt, sichern die letzten beiden Pakete Sesamkekse und zwei Päckchen Nescafe Mokka (ja, ich wollte eigentlich nie wieder ein Nestle Produkt kaufen). Nachdem wir noch ein paar versprochene Erledigungen hinter uns gebracht haben, folgen wir dem Gerücht, wo jemand von jemad gehört haben soll, es gebe eine richtige Espressomaschine in der Stadt. Tatsächlich finden wir ein Youth-Hostel mit Bar und Lavazza. Hier in Wudangshan, mitten in China, im Reich des grünen Tee. Es ist so eine Chill Lounch, mit Wifi, Billardtisch und mürrischer Bedienung. Es ist eine Atmosphäre, wie ich sie überall auf der Welt finden könnte, die sich auch überall auf der Welt verbreiten wird, wie wir sie auch schon letztes Jahr in Beijing gefunden haben und die nichts mehr mit China zu tun hat. Um dies zu haben, muss ich nicht weit reisen. Wenn ich weit reise, nehm ich nicht meinen Gartenzwerg mit, dann will ich ein anderes Land erleben. Aber die Kolonialisten haben das noch nie gewollt. Der Kaffee war gut, aber teurer als auf Teneriffa. Was jedoch nicht der Grund ist, hier nicht noch mal hin zu gehen.


Dann lieber Jiaozi essen und anschließend im inzwischen eingetroffenen Regen am Jianhe (Schwertfluss) entlang bis zur Hauptstraße, wo wir uns doch lieber für ein Taxi entschieden.

Welch ein Genuss, wieder hier oben zu sein, in der Ruhe der Wälder. Wenn auch ohne frisch aufgebrühtem Kaffee.

*Die Dezimal-Zeit hat einen Zehnstundentag, jede Stunde hat 100 Minuten a 100 Sekunden. Tatsächlich ist dann jede Sekunde unwesentlich länger als die jetzige Sekunde. Weiterhin hat die Woche 10 Tage, 100 Tage, also 10 Wochen bilden eine Jahreszeit. Wenn wir mit dem solaren System konform bleiben wollen, welches 365 Tage hat. nehmen wir dem Winter 35 Tage weg. Er ist den meisten Menschen sowieso zu lang.