17.05.2013

Oberfläche (Metall 2)

Vor dem Supermarkt sitzt ein alter Mönch, zumindest hat er die Haartracht eines Mönchs, und verkauft irgendwelche Knollen und Kräuter. Vielleicht hat er Ahnung, kennt sich aus. Drei Mal wird er von seinem Platz vertrieben, rückt ein paar Meter weiter und bietet wieder seine paar Waren feil. Nicht gerade mit viel Erfolg. Freundlich grüßt er zu uns rüber und wir wollen ihm etwas Geld zukommen lassen, irgendetwas werden wir ihm abkaufen. Anscheinend ist eines der Kräuter seines Angebots gut für die Haut, zumindest entnehmen wir das seiner Gestik, während er einem potentiellen Kunden die Produkte erklärt.


Wir wechseln zu ihm rüber und zeigen uns interessiert. Ja, das muss man als Tee zubereiten, vielleicht auch als Dekokt, trinken, ja, ist gut für die Haut und das Verdauungssystem. Er zeigt uns die Sporen unter den Blättern, die wohl reichhaltigen Wirkstoff haben sollen.


Inzwischen hat sich eine Gruppe interessierter Zuschauer um uns gebildet. Was passiert denn da? Ein Ausländer will was von dem Alten kaufen. Ein kleines Spektakel, das den Alltag bereichert, vielleicht bis zuhause schon wieder vergessen. Aber jetzt, im Augenblick, von höchstem Interesse.


Endlich sage ich zu, will kaufen. Der Alte packt umständlich einige Blätter in einen Beutel. Was er denn dafür will. Hundert Kuai (umgangssprachlich für Yuan), immerhin sei ich ein reicher Mann, habe ein Auto, komme aus dem Ausland. Pah, so geht das nicht, ich lache, alle anderen auch. Ich soll ihm ein Angebot machen, werde ich aufgefordert. Da mein Interesse eigentlich nicht so sehr den Blättern als der Unterstützung gilt, ich aber auch nicht über den Tisch gezogen werden möchte und als ein schlechtes Beispiel für die dummen Waiguoren dastehen möchte, die alles bezahlen, was man von ihnen verlangt. biete ich ihm fünfzig an.


In diesem Moment drängelt sich eine Frau durch die Gruppe, zwinkert mir zu und gibt mir zu verstehen, ich solle nichts von dem Burschen kaufen. Unschlüssig will ich mich schon aus dem Handel entfernen, da heißt es mehrstimmig, er willige ein; fünfzig. Nun muss ich. Die Frau zuppelt an meinem Ärmel, will mich rausziehen. ich aber stehe jetzt zu meinem Wort, gebe die Fünfzig und erhalte den Beutel. Der ist aber inzwischen nur noch halb voll. Nein, so geht das nicht, sagen auch alle Umstehenden. Ja, sie greifen selber ein, als der Alte nur ein paar Blättchen dazu packen will und machen den Beutel wieder voll.

Nun habe ich die Kräuter von dem alten Schlitzohr, die ich wahrscheinlich im Hotelzimmer liegen lassen werde und die andere Frau am Hals, die mich regelrecht beschimpft. Ich versuche ihr zu erklären, das es für mich kein Problem sei, auch wenn es zu teuer war.


Hundert Meter weiter kaufe ich ein paar kleine Bananen und schon steht das Weib wieder neben mir. Jetzt holt sie einen Pillendose raus und will mir zwei Tabletten geben. Sie sehen nach Hefe aus. Drüben in der Apotheke könne ich sie preiswert bekommen, seien viel besser als das Gemüse von dem Alten. Ich will das nicht, ich brauche das nicht, es ist jetzt gut.


Wir spazieren weiter, zur Wudang Lu und rauf zum Theater, wo wir letztes Jahr so viele Menschen haben tanzen sehen. Aber es ist noch zu früh, Ein paar Mütter und Großmütter lüften ihre Kleinkinder, mehr ist nicht los. Wir beschließen, zurück zu gehen und ein paar Jaozi zu essen. An der Straßenecke sitzt sie schon wieder, als hätte sie auf uns gewartet, winkt, wir gehen vorbei. Die Frau macht nicht gerade einen vertrauenserweckenden Eindruck, eher wirkt sie etwas verstört, um es freundlich auszudrücken, obwohl wir gerade in dem Moment darüber reden, wie falsch es doch ist, die Dinge aus Höflichkeit nicht beim Namen zu nennen. Das Falsche muss auch als falsch bezeichnet werden. Das Böse als böse und das Dumme als dumm.

Wir sind inzwischen an unserer Jaozi-Stube und bei der Relativierung aller Verhältnisse in unserer Gesellschaft angekommen, bei der Frage, ob es damit angefangen hat, den zu suchen der ohne Schuld ist und den ersten Stein werfen darf. Da kommt die Hexe schon wieder an und drückt mir ein gefaltetes Papier in die Hand, spürbar mit ein paar Tabletten gefüllt. Ich lasse sie später zwischen den Essensresten liegen.



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