18.08.2010

Sport aus Hygiene ist etwas Abscheuliches.

Ich muß zugeben, daß ich die These, Körperkultur sei die Voraussetzung geistigen Schaffens, nicht für sehr glücklich halte. Es gibt wirklich, allen Turnlehrern zum Trotz, eine beachtliche Anzahl von Geistesprodukten, die von kränklichen oder zumindest körperlich stark verwahrlosten Leuten hervorgebracht wurden, von betrüblich anzuschauenden menschlichen Wracks, die gerade aus dem Kampf mit einem widerstrebenden Körper einen ganzen Haufen Gesundheit in Form von Musik, Philosophie oder Literatur gewonnen haben. Freilich wäre der größte Teil der kulturellen Produktion der letzten Jahrzehnte durch einfaches Turnen und zweckmäßige Bewegung im Freien mit großer Leichtigkeit zu verhindern gewesen, zugegeben. Ich halte sehr viel von Sport, aber wenn ein Mann, lediglich um seiner durch geistige Faulheit untergrabene Gesundheit auf die Beine zu helfen, "Sport" treibt, so hat dies ebensowenig mit eigentlichem Sport zu tun, als es mit Kunst zu tun hat, wenn ein junger Mensch, um mit seinem Privatschmerz fertig zu werden, ein Gedicht über treulose Mädchen verfaßt. [. . .] Ich kann Ihnen eine kleine private Erfahrung mitteilen.
Vor einiger Zeit habe ich mir einen Punchingball gekauft. [. . .] Ich habe nun gemerkt, daß ich immer, wenn ich (nach meiner Ansicht) gut gearbeitet habe (übrigens auch nach Lektüre von Kritiken), diesem Punchingball einige launige Stöße versetze, während ich in Zeiten der Faulheit und des körperlichen Verfalls gar nicht daran denke, mich durch anständiges Training zu bessern. Sport aus Hygiene ist etwas Abscheuliches. Ich weiß, daß der Dichter Hannes Küpper, dessen Arbeiten wirklich so anständig sind, daß sie niemand druckt, Rennfahrer ist und daß George Grosz, gegen den ja auch keine Klagen vorliegen, boxt, aber sie tun dies, wie ich genau weiß, weil es ihnen Spaß macht, und sie würden es auch tun, wenn es sie körperlich ruinieren würde. (Etwas anderes ist es natürlich mit ungeistigen Arbeitern, wie etwa Schauspielern, die körperliches Training nötig haben, da ihre falsche Auffassung vom Theaterspielen sie zu ungeheuren Kraftleistungen zwingt.)
Ich selbst hoffe meinen körperlichen Verfall auf mindestens noch 60 Jahre auszudehnen.
Bertolt Brecht, 1926

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