22.04.2010

Nach Hause telefonieren

Wenn ich sechs Wochen hier bin, hab ich mir gedacht, sei es gut, eine chinesische Telefonkarte zu kaufen. Einmal natürlich, um günstig meine Familie anrufen zu können, mal wieder die Stimmen zu hören und nicht nur eine Email zu lesen. Aber auch, um innerhalb des Berges erreichbar zu sein. Falls es eine Änderung im Tagesablauf gibt oder sonstige Informationen, die mir andernfalls erst beim nächsten Essen mitgeteilt werden könnten. Auch um Bescheid zu geben, wenn sich die Rückkehr von einem Ausflug verzögert, naja alles, was vielleicht von gelinder Wichtigkeit sein könnte. Die Eingeborenen jedenfalls rufen sich gegenseitig ständig an für dieses und jenes zu klären. Administrative Arbeit wird vorwiegend von jungen Menschen zwischen zwanzig und dreissig ausgeübt. Nicht nur hier an der Akademie. Auch auf der Bank, in den Geschäften und Büros hat man es mit jenem frischen Elan zu tun, der der Jugend zu eigen ist, gepaart mit moderner Coolness und der landeseigenen Lässigkeit, die in meiner Heimatstadt beschrieben wird mit dem Ausspruch "küss de hück nit, küss de morje" (kommst du nicht heute, dann kommst du morgen). Diese jungen Menschen telefonieren ständig miteinander, holen Auskünfte ein oder geben Informationen weiter, stellen Fragen, die vom Gefragten nicht direkt beantwortet werden können, der selbst jemand anderes dafür anrufen muss und dann den Fragenden zurückruft. So breitet sich über das Land ein Netz von Informationen aus, die von gelinder Wichtigkeit sind, auf die man mit etwas gezieltem Nachdenken auch von selbst hätte drauf kommen können. Was nicht bedeutet, das Netz wäre nicht gefüllt mit Irrtümern, Missverständnissen und Fehlinformationen. Sie sind geradezu die Beute, die in diesem Netz gefangen werden. 
Ich hätte ja gleich bei unserer Ankunft, nach dem Frühstück, als wir noch zum Einkaufen im Supermarkt genötigt worden waren, auch nach der Telefonkarte fagen können. Aber ich wollte unsere Gruppe nicht noch länger aufhalten. Also bat ich am nächsten Tag unsere Betreuerin Coco, mir eine solche zu besorgen. Kein Problem, am nächsten Tag wollte sie sich darum kümmern, kostet vielleicht zweihunder Maobildchen. Am nächsten Tag hatte sie aber zu viel zu tun, dass dafür keine Zeit blieb. Aber am Samstag dann, ganz bestimmt. Leider hatte sie vergessen oder nicht gewusst, dass sie dazu meinen Pass braucht. Dann eben am Montag, aber ganz bestimmt. 
Am Montag, während des Trainings, wird Meister Guan angerufen. Er nimmt an, hört eine Weile zu, sagt auch etwas, vielleicht ist es auch eine Frage, dann reicht er mir sein Handy. Coco. Eine längere Ausführung über Telefonkarten im Allgemeinen, ihre Bereitschaft, mir eine zu besorgen und dass dem auch nichts mehr im Wege stehe, sie würde allerdings nicht zweihundert, sondern fünfhundert kosten. Naja, sag ich mir selber kurz und bündig, ich habe vor, noch öfter hierher zu kommen, so eine Karte wird nicht schlecht und will ihr sagen, dass es in Ordnung gehe, da bricht die Verbindung ab. Akku leer. Drei Minuten später kommt die junge Frau von der Rezeption geeilt, Anruf für mich. Nochmal Coco, der ja ein entscheidendes Wort meinerseits fehlt, die mir doch nun endlich die Simkarte besorgen will, unten in Laoying im Laden von China Mobile. Jaja, sage ich ihr, sie soll das Ding nun kaufen, was solls.
Am Abend halte ich meine Simkarte in der Hand und die Quittungen und erhalte dazu noch einen Vortrag über einen Vertrag den ich nun habe, ein Bag, mit dem meine Telefonte sehr viel preiswerter seien, aber wenn ich das nicht wolle, könne man es auch wieder kündigen und ich versteh es einfach nicht. Nein, keine weiteren Kosten. 
Sim Karte rein in mein iPhone, Meldung im Display: Neue Simkarte erkannt, bitte verbinden Sie ihr iPhone mit iTunes. Stecker rein, mit dem Laptop verbunden, Meldung: Die verwendete Simkarte wird von iPhone nicht unterstützt ...
Ich hätte es mir denken können. Dienstagmorgen Konferenz mit Coco. Was kann ich nun tun. Es dauert natürlich, bis sie dieses besondere Problem versteht. Sie will das selbst ausprobieren, aber ich bin jetzt auch nicht willens, mit ihr nach oben zu laufen, zweihundert Stufen bis zur Straße und weitere bis ins Hotel. Sie schlägt vor. mir ein günstiges Handy zu kaufen, kostet ein- zweihundert Yuan, kein Problem. Was ich denn gerne hätte. Mir sei alles recht, nur kein Hello Kitty Modell. Sie fährt gleich runter in die Stadt, kommt aber erst am Donnerstag abend wieder, weil sie ein paar Tage frei macht. Nein, entscheide ich, dann kauf ich mir am Mittwoch mein Handy selbst, dann fahr ich sowieso runter. 
Im Laufe des Tages entscheide ich um. Inzwischen bin ich eine Woche hier ohne ein mobiles Telefon zu brauchen. Gut, einiges an Kommunikation zur Beschaffung der Simkarte wäre mit Simkarte schneller gelaufen, andererseits befürchte ich, dass die Kosten dennoch noch weiter aus dem Ruder laufen werden. Aus Zweihundert wurden Fünfhundert und dazu käme noch ein neues Handy, was sicher auch keine zweihundert dann kostet und ich beschließe, die Karte muss wieder weg. Ich will mein Geld zurück. Ich spreche mit Sonia (braucht natürlich eine Weile, bis sie das Problem versteht, ich kürze jetzt ab), die telefoniert mit Coco. Sonia erklärt mir, wo der China Mobile Laden ist und schreibt mir einen kleinen Brief, in dem sie mein Problem kurz schildert, welchen ich dort vorzeigen soll . Am Mittwoch fahren wir, die ganze Gruppe, runter, einige wollen noch Geld tauschen. Auf der Bank treffe ich Grace, die auch für die Akademie arbeitet, die im letzten Jahr die Ausländer betreute. Ich erkläre ihr mein Problem, zeige ihr Sonias Brief. Grace telefoniert mit Sonia. Grace telefoniert mit Coco. Grace fährt mit mir im Auto ihres Freundes die dreihundert Meter zum Laden der China Mobile. Grace erklärt dort einer jungen Frau mein Problem. Die erklärt, nach einem Monat könne ich eine Abrechnung meines Verbrauchs machen und den Restbetrag zrück erhalten. Ich werde in diesem Monat keinen Verbrauch haben, ich will jetzt mein Geld. Grace telefoniert mit Coco. Coco ruft Grace zurück. Grace redet mit der jungen Frau von China Mobile. Grace telefoniert mit Coco. Coco ruft Grace zurück. Mich wundert, dass die junge Frau von China Mobile in der ganzen Zeit mit niemandem telefonieren muss. Sie und ich, wir stehen die ganze Zeit nur dabei. Nur, dass sie offenbar versteht, was da die ganze Zeit hin und her telefoniert wird. Ich nicht. Ich werde noch Äonen brauchen, bis ich diese Sprache einigermaßen verstehe.
Grace erklärt mir, der junge Mann, der meine Karte gekauft habe (ich dachte Coco habe sie gekauft, wer war da mit meinem Pass unterwegs?), sei bereit, die Karte zu übernehmen, sie brauche jetzt meinen Pass, damit der Vertrag gelöst werden könne. Nun habe ich immer ncoh diese Simkarte, die ich nicht brauchen kann und angeblich bekomme ich morgen von einem jungen Mann, mit dem ich ncoh nie telefoniert habe, mein Geld.
Liebe Familie, bitte habt Verständnis, wenn ich euch nicht anrufe, wir bleiben per Email in Kontakt. Vielleicht funktioniert ja Skype.

1 Kommentar:

  1. Du hast eine Betreuerin? Eine amtlich bestellte und vom Gericht eingesetzte??

    Aha...

    Ruf' doch mal an!

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