04.10.2009

Die Anreise


Dieses Mal habe ich für eine andere Anreise entschieden, damit ich noch möglichst viele Leute, die ich sonst nicht treffen kann (z.B. die beiden Damen, mit denen ich schon seit Jahren versuche, Chinesisch zu lernen), endlich einmal wieder sehe. Da meine Reise genau mit der gefürchteten „Golden Week", in der fast das ganze Land auf den Beinen ist um von A nach B zu reisen, zusammenfällt, ist das natürlich etwas spannend. Meine Flüge von Frankfurt nach Shanghai und von dort weiter nach Wuhan hatte ich schon lange gebucht, allerdings die Weiterfahrt nach Wudang Shan – ausgerechnet am Tag des Mondfests – ist alles andere als geklärt. In einem Anfall jugendlichen Leichtsinns hatte ich auch noch vollmundig angekündigt, die Welt mit einem chinesischen Karaokevortrag zusammen mit Yürgen zu beglücken. Die Zeit läuft.


Mein erster Langstreckenflug mit China Eastern verläuft überraschend angenehm, zu meiner Verblüffung ist der Flieger gerade mal zu zwei Dritteln ausgebucht, was natürlich für eine sehr angenehme Atmosphäre sorgt. Allerdings sind wohl einige Leute mit Schlafstörungen unterwegs. Ich habe schon beim Platzwechsel auf einen netteren Sitz ein älteres Bildungsurlaubs-Pärchen beobachtet, dass sich nun angeregt mit einem jüngeren Mann, der als Kind sicherlich als altklug verpönt war, unterhält. Ich komme nicht umhin, dem Wortwechsel zu folgen: „wir fliegen jetzt über Sibirien, das da ist Ulan Bator". Aha. Das hätte ich jetzt anders zugeordnet. Reisen bildet eben. Man plaudert noch ein wenig, der junge Mann erzählt von seinen Weltreisen und dass er sich immer um landesübliche Speisung gemüht. Er habe auch schon Schafseier gegessen. Als die Dame schüchtern einwendet, dass Schafe ihres Wissens keine Eier legen, klinke ich mich aus, lasse mich von Jacques Loussiers Satie-Interpretationen verwöhnen, bevor ich einen Schreianfall bekomme. Obwohl ich mich auf einer kompletten Viererreihe ausstrecken kann, kann ich nicht schlafen und komme entsprechend gerädert in Shanghai an. Wie versprochen ist es dort extram schwülwarm, ich bin sofort durchgeschwitzt und freue mich schon fast auf Wuhan. Das ist zwar nicht gerade eine Traumstadt, aber dort soll es schon ziemlich kühl sein. Als ich dort ein paar Stunden später ankomme, stellt sich das als Irrtum heraus. Auch hier klebt die Luft – wenigstens ist es deutlich unter den 40 ° C, die ich bei meinem letzten Aufenthalt vor 3 Monaten hatte. Am Abend holt mich wie versprochen ein Freund, der als Reisebegleiter für Deutsche arbeitet, zum Essen ab. Dazu kommt noch eine junge Studentin, die ich noch nicht persönlich kenne, sie war auch schon einmal in Wudang Shan und über unseren Freundeskreis haben wir Kontakt gefunden und schon ein paarmal sehr nett gechattet. Ich weiß von ihr eigentlich nur, dass sie Englisch studiert. Und dass sie nett ist. Als wir drei uns treffen, passiert was ich still befürchtet hatte: Pei spricht sehr gut Deutsch, aber kein Englisch – Cici spricht toll Englisch, aber kein Wort Deutsch. Ich kann mich also schon heute abend auf den wirren Kauderwelsch, der so typisch für Wudang ist freuen. Wenn ich was zu erzählen habe, für das mein Chinesisch nicht reicht, erzähle ich es erst in der einen, dann in der anderen Sprache oder der, der als erstes angesprochen wurde, übersetzt es auf Chinesisch – ist zwar etwas mühevoll, trotzdem haben wir sehr viel Spaß und unterhalten uns glänzend. Zu meiner Freude hat Pei auch ein Busticket besorgt, obwohl das – wie er mir zuraunt – eigentlich gar nicht geht. Aber Pei ist ein Hexenmeister, ein großer Organisator – you name it – he gets it! Ich glaube, er würde sich mit unserer Frau Qu auf dem heiligen Berg bestens verstehen.


Nach einem hervorragend Mahl falle ich müde ins Bett, nachdem wir verabredet haben, uns bei meiner Rückreise nochmal zu treffen. Und nun geht es weiter Richtung Wudang. Die Spannung bleibt: werde ich es rechtzeitig zum Fest schaffen? Werde ich singen müssen?


Die Heimkehr


Mein Bus zum heiligen Berg fährt an einem großen Busbahnhof nicht allzuweit von meinem Hotel entfernt ab. Ich laufe mit meinem Gepäck die 10 Minuten, mittlerweile ist überall geschäftiges Treiben, die Straßenhändler haben ihre Waren auf dem Boden ausgebreitet und ich laufe im Slalom um diverse Gebraucht- und Fastneu-Teile, fastechte Rolex-Uhren, Damenunterwäsche und was der Markt sonst noch zu bieten hat.


Als ich die Wartehalle vom Busbahnhof betrete, verschlägt es mir erst einmal kurz den Atem.

Dass in der „Golden Week" der Eine oder Andere unterwegs sein könnte, ist jetzt nicht die ganz große Überraschung – aber d i e s e Menschenmenge muss ich erst einmal verkraften. In Wuhan sind auch offensichtlich noch nicht sehr viele Ausländer unterwegs, jedenfalls sind die riesigen, lebhaft flackernden Anzeigetafeln nur mit chinesischen Schriftzeichen bestückt und bis ich die einzelnen Zeichen entziffert habe, sind sie wieder weg. Außerdem weiß ich nicht so ganz genau, welchen Zielort der Bus hat – ich weiß nur, dass ich dem Fahrer sagen soll, dass ich in Wudang aussteigen möchte, sonst fährt er durch...dem Sonnenuntergang entgegen...wohin auch immer. Das alte Rezept funktioniert glücklicherweise auch hier: Ticket ausgepackt, ungläubig bestaunt, hilfloser Blick – nach etwa 10 Sekunden spricht mich ein hilfreicher Geist an, nimmt mir das Ticket aus der Hand, kurzer Blick, kurze Ansprache, große Augen meinerseits, ich werde in einen seperaten Warteraum abgeführt und als der Bus- den ich auf dem riesigen Platz niemals gefunden hätte – abfahrbereit ist, hingeleitet. Alles ist gut. Nun muss ich nur noch dem Fahrer irgendwie vermitteln, dass ich in Wudang aussteigen will. Ich eröffne mit der Frage „wann kommen wir in Wudang an". Der Fahrer antwortet in breitestem Hubei-Dialekt, einen Zusammenhang mit meiner Frage kann ich nicht wirklich erkennen, er hat mehrfach die Zahl „Vier" mit den Fingern angezeigt. Könnte bedeuten, dass wir gegen 16.00 h ankommen. Möglicherweise. Ist mir jetzt aber egal, ich weiß, dass ich noch einige Stunden Zeit habe, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen, jetzt will ich aber nur schlafen, der Jetlag macht sich ein wenig bemerkbar.


Nach ein paar Stunden machen wir ein Pause, d i e Gelegenheit, meine Mitreisenden näher zu inspizieren. Ein Mann steht – genau wie ich – dumm herum und wartet auf die Weiterfahrt. Ich frage ihn, ob er Englisch spricht. Nein, lächelt er bedauernd. Das nützt ihm nichts, er hat nichts zu tun und kann auch nicht weg also stammele ich solange herum während er mir geduldig zuhört, bis er verstanden hat, dass ich in Wudang raus will und auch gerne genau wüsste, wo wir anhalten, damit ich das meinen Freunden sagen kann. Wir üben also stille Post, er erklärt dann dem Fahrer, was die Laowai will, zwischendurch outen sich noch zwei junge Leute, dass sie zumindest ein paar Brocken Englisch können. Nach 6 langen Stunden erreichen wir Stadt, ich werde von Grace empfangen und gemeinsam machen wir uns auf den Berg. Ich bin fassungslos, als ich die Menschenmengen sehe – ich war zwar schon bei einigen „Golden Weeks" hier, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich hoffe, dass nur der besondere 60. Jahrestag der Republiksgründung, der die Golden Week diesmal auf großzügige 8 Tage ausgedehnt hat, so viele Touristen hierher verschlagen hat. Allerdings gab es in den letzten Jahren auch gewaltige Bemühungen, das Gebiet touristisch zu erschließen und zu bewerben. Am Fuß des Berges sind riesige Hotelanlagen gebaut worden, man hat zur Verschönerung der Stadt offenkundig eine ordentliche Menge Geld in die Hand genommen. Das trägt natürlich Früchte. Der Berg selbst ist ein Weltkulturerbe und deshalb glücklicherweise gegen solche Übergriffe geschützt. Und was die unten im Tal treiben, interessiert mich nicht so brennend.


Pünktlich um 18.00 h erreiche ich die Akademie, genau richtig zum Abendessen, ich schlinge schnell ein paar Häppchen rein, freudig begrüßt von der Ay, die sich gut an meine Liebe zu Auberginen erinnert und mir eine Extra-Portion auftut. Yürgen steht in der Tür: „Na endlich, beeil dich, wir müssen unser Lied noch proben". Klar, in einem Anfall geistiger Umnachtung hatte ich die blendende Idee, anlässlich des heutigen Mondfests zusammen mit Yürgen – und eigentlich auch Viktoria, die ich letztes Jahr hier kennen gelern habe – ein Karaoke-Stück zum Besten zu bringen. Auf Chinesisch. Da wir weder besonders toll Chinesisch sprechen, noch einen einzigen Ton treffen können, sollte das ein spaßige Vorführung werden.

Da Viktoria es leider nicht mehr rechtzeitig schafft und in Shiyan übernachten muss, werde ich mich also mit Yürgen allein blamieren. Unsere Generalprobe (die auch die einzige war) endet mit viel Gelächter und dem Entschluss, lieber doch noch das eine oder andere Bier vorab zu uns zu nehmen. Wegen der Stimmbänder.


Der Galaabend beginnt, die Stars begeben sich in die Manege, die im Gegensatz zum letzten Jahr mordmäßig gemacht hat. Sieht richtig professionell aus, wenig Stolperfallen. Die Anlage übersteuert zwar bei jeder Gelegenheit, dafür fällt sie kein einziges Mal aus. Erstaunlich. Wegen des Jahrestags sind überall rote Fähnchen, jeder bekommt eins in die Hand gedrückt, und ich fühle mich überhaupt nicht albern, als ich damit herumwedele – ich bin schließlich Gast und ich will meinen Spaß haben! Während ich gebannt den Vorführungen folge, kommen erst Zhong, dann Guan und schließlich Li zu mir, um mich zu begrüßen. Eigentlich müsste es ja umgekehrt sein, aber ich hatte einfach keine Zeit für Höflichkeit. Wie mir Yürgen später erzählt, haben sie schon nach mir gefragt, weil sie wussten dass ich heute komme – auf die letzte Minute, wenn alles klappt. Ich bin gerührt über ihr herzliches Willkommen. Nun kommt der große Auftritt. Auf Chinesisch verkünde ich den Gästen, dass ja schon bekannt ist, dass unser Chinesisch schlecht ist. Nun werden wir zeigen, dass wir auch nicht singen können. Und so kommt es denn auch: wir finden uns erstmal gar nicht in unser Liedchen ein, aber nach 2 Strophen sind wir angekommen und tragen sehr theatralisch unter dem Gelächter des Publikums vor. So muss es sein.

Diesmal tragen sehr viele ausländische Gäste vor, eine deutliche Verbesserung zum letzten Jahr, wo wir einfach zu feige waren. Aber wenn man mal den Karaoke-Vorträgen der Schüler gelauscht hat, muss man eigentlich keine Angst mehr haben...

Der offizielle Teil des Fests endet damit, dass alle auf der Bühne gemeinsam tanzen – ein rundum gelungener Abend. Nun werden die Schüler ins Bett geschickt – es ist ja auch schon 22.00 h, während die Erwachsenen noch zu einem Snack und einem Schälchen Bier in die Räumlichkeiten des gefürchteten Police-Hotels verschwinden. Das kommt mir sehr gelegen, während der langen Busfahrt habe ich mittags nichts gegessen und aus der Küche duftet es schon schwer verführerisch...nicht alle Leckereien sind für unsere Mägen geeignet – auch heute sage ich lieber „nein" zu den tausendjährigen Eiern und auch Hühner „mit Allem" sind nicht ganz mein Fall. Aber es gibt noch genug andere feine Sachen und natürlich fließt auch das Bier in Strömen. Wunderbar. Was für ein Empfang!


Der erste Trainingstag


Üblicherweise muss jeder Neuankömmling sich vor die Gruppe stellen und sich kurz vorstellen. Das Training beginnt, nichts passiert. Yürgen fragt bei Li Shifu nach, warum mir das erspart bleibt. „Wieso? Das ist doch Lilo" Stimmt, ich war ja nur kurz zum Kaffeetrinken weg. Tatsächlich kenne ich die meisten hier, nur ein paar Ausländer, denen ich mich kurz vorgestellt habe, sonst alles vertraute Gesichter. Wenn Viktoria heute noch kommt, ist das Familientreffen komplett.

Obwohl heute Sonntag und der Tempel entsprechend voll ist, werden wir zum Zixiaogong beordert. Eindruck schinden bei den Touris. Werbung für die Akademie. „Ja, selbst d u könntest mitmachten!" Ich bin mittlerweile derart abgestumpft gegen das Glotzen, dass ich überhaupt nicht mehr registriere, dass mir Leute zuschauen, mich ständig fotografieren und versuchen, meine Bewegungen nachzuahmen. Nach dem Aufwärmen versuche ich noch etwas holprig meine Xuangong-Quan Form, die ich im Juni begonnen habe, zu laufen. Da die Temperaturen doch etwas von dem abweichen, was man mir erzählt hatte, bin ich in meiner „Winter-Uniform" nach etwa 10 Sekunden völlig durchgeschwitzt. Prima, dass ich keine ordentlichen Sommerklamotten dabei habe – jeder hatte mir erzählt, wie kühl es hier schon sei! Aber ich will nicht maulen, Sommer im Oktober hat man ja nun wirklich nicht alle Tage. Unter den kritischen Blicken von Song versuche ich mich an das Erlernte zu erinnern. Naja, ganz so war es wohl nicht, wie ich es abgespeichert habe, Song korrigiert an hundertausend Stellen, also heute wohl eher nichts neues. Ich würde zwar diesmal gerne die Form abschließen, sehe für dieses Projekt im Moment eher schwarz. Nunja, wir werden sehen...


Beim Mittagessen großes Hallo: Viktoria und ihre Familie sind endlich eingetroffen! Sie werden kurz gefüttert, wie mir Viktoria erzählt, gab es im Vorfeld einiges an Missverständnissen. Da ich weiß, welche der Damen um Büro zur Zeit das Regiment führt, bedarf es hierzu keiner weiteren Erklärungen. In zwei Wochen brauche ich ein Zugticket nach Wuhan. Man darf sehr gespannt sein...am besten, ich versuche es selbst zu kaufen. Kann auch nicht schlimmer werden.

3 Kommentare:

  1. Anonym10:16 AM

    wie schön angekommen ! Wer ist eigentlich Lilo2 ?

    Schöne Zeit Euch auf dem Berg! Ramona

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  2. ich hoffe doch schwer, dass der Gesang für die Nachwelt und Interessierte festgehalten wurde und auch in einem kleinen Filmchen zu sehen sein wird...

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  3. Anonym10:41 AM

    Wurde gefilmt, wird noch bearbeitet, kommt demnächst auf Youtube.

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