11.06.2009

Lilos 10. Tag - Das Wochenende muss verdient werden!

Bevor wir gnädig ins Wochenende entlassen werden, steht uns noch eine kleine Aufgabe bevor. Schon im letzten Jahr hatte Guan angefangen, jeden Mittwoch alle Schüler vorzeigen zu lassen, was sie im Laufe der vergangenen Woche gelernt haben. In der Akademie werden ständig neue Ideen zur Qualitätssicherung ent- und häufig wieder verworfen, was an sich gesehen ja nichts schlechtes ist. Nur auf diese Prüfung hätte ich gerne verzichten mögen, aber Guan steht drauf und so erfährt diese Maßnahme im Gegensatz zu anderen schon eine gewisse Nachhaltigkeit.

Also setzen wir uns voller Vorfreude auf die freie Zeit in die pralle Sonne, mit Schreibzeug bewaffnet um uns anzuschauen und später zu kritisieren, was unsere Mitschüler so darbieten. Nat macht den Anfang mit einer sehr langen und ziemlich komplizierten Faustform., der Yin-Yang-Faust. Läuft sie ohne Hänger durch. Sehr ordentlich. Da gibt es nichts zu meckern. Zumindest nicht von unserer Seite. Natürlich hat Guan auch hier die eine oder andere kleine Anmerkung, aber der ist ja auch der Chef. Danach ruft Guan auf: “Jiben Quan”! Das sind wir. Neben Xiaolong und dem Bewegungswunder Igor wird Lynn noch mit dazu gestellt. Lynn ist hoch beweglich, sehr schnell, flink wie ein Gummiball. Allerdings auch mit einer vergleichbaren Konzentrationsfähigkeit ausgestattet. Schon nach kurzer Zeit verhaspelt sie sich in der Bewegung, das Gefüge gerät völlig auseinander, wie Welpen tollen wir umeinander herum. Auweia, das gibt Mecker. Ich verschwinde schnell auf meinen Platz, Guan rollt seine Schreibunterlage zusammen und gibt Lynn eins auf den Hintern. Sie jault. Dafür gibt’s gleich noch eine. Glücklicherweise sitze ich schon.
Leider muss ich noch mal ran, als die 28iger Taiji-Form gelaufen wird. Guan hat sich mittlerweile ein brauchbareres Züchtigungsinstrument besorgt, nun bekommt jeder einen kräftigen Schlag mit einer Pratze auf das Körperteil, an dem am meisten nachzuarbeiten ist. Erwartungsgemäß haut Guan mich auf den Buckel. Hab’ ich wohl verdient.

Diese Übung soll uns Demut lehren und motivieren, fleißiger zu lernen. Tatsächlich geht alles unter großem Gelächter ab. Aber die Lehre kommt nicht zu kurz. Am Beispiel der Bewegungen einzelner Schüler demonstriert Guan sehr genau unsere Fehler, analysiert sie und zeigt uns, wie wir es besser machen können. Wieder einmal bewundere ich sein hervorragendes Auge für seine Schüler und natürlich auch sein Gedächtnis. Er scheint wirklich die “Spezialitäten” seiner Schäfchen sehr genau zu kennen.

Und jetzt geht es ins Wochenende. Aber erst, wenn wir unser Berichtsheft von dieser Woche abgeliefert haben. Ich gebe ihm am besten eine Niederschrift dieses Tagebuchs. Da hat er was zu lesen.

Am Nachmittag ziehen Ramona und ich gemeinsam los zu neuen Abenteuern. Ramona hat irgendwo auf einem Hinweisschild etwas von einer “Laozi-Hall” gelesen. Da wollen wir hin. Irgendwie. Sieht auf der Karte auch ganz einfach aus. Wir müssen nur mit dem Bus Richtung Stadt fahren, nach dem Taizi Po noch vier Busstationen, dann wären wir da. Dass wir beide noch nie erlebt haben, dass der Bus an irgendeiner Attraktion unterwegs angehalten hätte, irritiert uns in dem Moment nicht weiter. Am Taizi Po erstehe ich eine Karte und halte sie dem Busfahrer hin, zeige an die Stelle, wo nach meinem Verständnis Laozi-Hall stehen müsste. Er schaut mich entgeistert an, nickt aber, und wir steigen ein. Komisch, von den eingezeichneten Haltestellen keine Spur, wir sehen schon die Skyline von Laoyin, da hält der Bus auf einmal. Der Busfahrer gestikuliert: da wolltet ihr doch hin! Na gut, wir steigen aus, der Bus fährt weiter. Da stehen wir nun. In the middle of nowhere. Wir stolpern ein paar Meter, da geht ein Pfad rechts in die Pampa. Wir scheuchen ein paar Hühner auf, einige Häuser stehen herum, ein Mann sitzt am Ufer eines völlig vergrützten kleinen Tümpels und wäscht seine Kleidung. Verwundert schaut er uns an. Ja, wir sind auch etwas verwundert, wo wir hier gelandet sind. Auf der Karte stand noch etwas von “Kungfu Kultur Zentrum”. Auch das hatte unser Interesse geweckt. Und vor diesem Zentrum stehen wir nun. Wir können uns das Lachen kaum verbeißen: Ein winziger Innenhof, umringt von ein paar Zimmern, über der Mauer hängen traurig ein paar Kungfu-Klamotten zum Trocken. Vor dem Zentrum preist auf einer riesigen Wand der Chef der Schule, der sich den schönen Namen Viktor angepappt hat, seine Original daoistische Wudang-Kungfu-Schule an. Wir beschließen, dass wir - falls sich wieder einmal jemand über die Akademie und ihren mangelhaften Komfort beschwert - dieses Etablissement als Alternative empfehlen werden.

Was machen wir nun mit diesem angebrochenen Nachmittag? Die Laozi-Hall werden wir wohl höchstens per Zufall finden, also trotten wir einfach die Straße entlang, es ist eh kaum Verkehr, da geht das ganz gut. Plötzlich kommt uns eine Gruppe jüngerer Schüler entgegen, nass geschwitzt, offensichtlich gerade vom Training kommend. Sie kommen von einem breiten, betonierten Pfad. Da muss irgendwas sein. Egal was, da gehen wir jetzt hin. Wir folgen dem Pfad, biegen um eine Kehre und sehen, wie sich der Weg nach unten ins Tal schlängelt. Unterwegs ein paar Häuser, Reisfelder, Mais und andere Nutzpflanzen. Uns begegnen einige Bauern, sie grüßen uns freundlich, lachen uns an, sichtlich erstaunt, so etwas wie uns hier zu sehen. Eine Bäuerin scheucht ihre Kühe und Ziegen auf, um uns den Weg frei zu machen, da sie wohl unsere Scheu vor den Tieren spürt. Wir lächeln sie dankbar an, sie lächelt zurück, sagt uns noch irgendetwas, wir verstehen kein Wort, sagen aber auf Verdacht mal freundlich Danke. Bei jeder Kehre erwartet uns ein neuer, überraschender Anblick und auf einmal sind wir unten im Tal. Wie gern würden wir hier weiterlaufen, wenn wir nur die geringste Ahnung hätten, wo wir sind. Die Karte hilft uns überhaupt nicht weiter, wir bewegen uns wohl parallel zur Hauptstraße. Möglicherweise. Am liebsten würden wir querfeldein wieder nach oben gehen, schätzen unseren Orientierungssinn aber realistisch ein und beschließen, den selben Weg wieder zurück zu nehmen. Mittlerweile ist es ziemlich spät geworden, wir müssen uns nun ziemlich beeilen, um noch irgendwie zurück zu kommen. Nach einer guten Stunde sind wir wieder auf der Hauptstraße. Nun müssen wir nur noch irgendeinen Bus anhalten, da uns wieder mit nach oben nimmt. Der erste Bus kommt uns entgegen. Der zweite. Bei sieben hören wir auf zu zählen, nur von unten nach oben tut sich überhaupt nichts. Langsam werden wir ein klein wenig nervös. Ich stelle mir schon vor, wie ich Guan anrufe um ihm mitzuteilen, dass sich unsere Ankunft ein klein wenig verzögert. So auf etwa 3 Uhr morgens…in der Hoffnung, dass er dann das Dao-Mobil schickt, um uns aufzulesen. Peinlich, peinlich.

Dann endlich kommt ein Bus vom Tal. Wir werfen uns davor und zwingen den Fahrer zum Halten. Es ist der selbe Fahrer, der uns zum “Kungfu-Kultur-Zentrum” gebracht hat. Fragt sich wahrscheinlich seit dem, was zum Teufel wir in dieser Wildnis gesucht haben.

Als wir glücklich die Akademie erreichen, ist das Abendessen längst beendet. Wir beschließen, uns mit einem auswärtigen Abendessen am Zixiaogong zu belohnen. Das “Restaurant” befindet sich in einer garagenähnlichen Einrichtung, ich war hier schon öfter essen und schätze die Küche sehr. Eine Speisekarte gibt es nicht, man muss halt immer schauen, was gerade da ist. Wir folgen dem Maître in die Cuisine: Ah, Auberginen, Tomaten, Gurken - da soll er uns was zaubern, dazu noch gebratene Nudeln. Was für ein Festmahl! Nach wenigen Minuten ziehen köstliche Düfte über den Platz, wir genießen unser Bier, während wir auf das Essen warten. Zwischendurch hat der Koch uns noch einige selbst eingelegte Spezialitäten zum Naschen hingestellt, darunter auch eine superscharfe Chili-Mischung. Sehr lecker. Auch wenn ich morgen statt Toilettenpapier wahrscheinlich lieber einen Schneeball hätte - egal! Es schmeckt einfach saugut. Nachdem - natürlich viel zu üppigen - Abendessen tauchen auf einmal Nat und Igor auf. Wir laden die Beiden zum Resteessen ein. Nein, essen möchten sie nichts, aber ein Bier in unserer netten Gesellschaft: das ja! Sie futtern dann doch alle Reste auf, weil es so lecker ist. Wir unterhalten uns noch lange, tauschen den neuesten Akademie-Tratsch aus und haben viel Spaß. Zumindest die meisten von uns. Ich glaube, Igor wird sich ziemlich viel Mühe geben, nun schnell Englisch zu lernen.

3 Kommentare:

  1. Georg8:12 AM

    Ihr habt ein Dao-Mobil? Klasse!

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  2. Du solltest wirklich ein Buch draus machen... :)

    Äm, ist Guan der, der aussieht als hätte er 'n mächtigen Silberblick?

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  3. Ja, Guan kuckt manchmal etwas scheel...

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