16.09.2008

Lilo in Wudangshan, die 2.

Ich begruesse zunaechst einmal die neu in den Kreis aufgenommen - ich freue
mich natuerlich, wenn meine kleinen Geschichten Gefallen finden und nein,
Ramona, ich bin keineswegs genervt wenn ich Rueckmeldungen bekomme - ganz im
Gegenteil, natuerlich freue ich mich ueber jeden Kommentar und ja, Yuergen,
ich werde auch mal ueber das Training berichten, ich nehme es halt so wie es
kommt, achja, Bettina, ueber das Bloggen koennen wir reden, sobald wir mal
wieder zufaellig gleichzeitig in Deutschland sind...ich weiss dass das
Textvolumen leicht ueber eine normale E-Mail hinausgeht.



Und los geht's





12.09.08

6.00 h - Trainingsbeginn. Eigentlich. Ich stehe - wie meistens - pünktlich
vor der Akademie, langsam trudeln auch die anderen Laoweis ein. Von Guan
keine Spur. Gegen 6.30 h trudelt er langsam ein, kein Wort über die
Verspätung verlierend. Sein sonst zum akkuraten Knoten gebundenes Haar hängt
in voller Länge herunter, lieblos mit einem Bändchen zusammengerafft. Nein,
jetzt bloß keine blöden Witze über die mangelnde Trinkfestigkeit der
Asiaten, ich glaube, dafür müsste ich fürchterlich büßen. Guan bringt das
Morgentraining, oder besser: die restliche halbe Stunde schweigend hinter
sich, hin und wieder leises Knurren wenn ihm etwas nicht gefällt. Wir sind
alle erleichtert, als wir zum Frühstück entlassen werden. Ich würde ihm ja
einen starken Kaffee und 2 Aspirin empfehlen, denke aber, dass würde er -
völlig richtig - als Häme verstehen, nachdem er mich gestern so großspurig
zum Wetttrinken aufgefordert hat. Ich fühle mich eigentlich ziemlich fit und
bin ohne Probleme wie jeden Morgen um 5.00 h aus dem Bett gekommen. Das
gefällt ihm gar nicht...



Beim Vormittagstraining ist er dann schon wieder ganz gut beieinander,
scheucht uns durch den Tempel, Rennen, Kicks, das ganze Programm. Ich
trainiere bei den Männern mit und freue mich, dass mein Training zu Hause
offensichtlich doch nicht ganz daneben war. Guan nickt ganz leicht
anerkennend - die höchste Form des Lobes. Ich weiß es zu schätzen. Zumal ich
weiß, dass es gleich beim Einzeltraining wieder großes Genörgel gibt. Erst
einmal hebt sich seine Laune aber, als ich ihm hilflos mein neues Handy in
die Hand drücke und hoffe, dass er es mir nicht gleich auf den Kopf legt,
wegen der Haltung. Aber der Spieltrieb ist zu groß als dass er auf solche
Ideen käme - er fingert voller Begeisterung an den Knöpfen rum, so schnell
kann ich gar nicht schauen, irgendwie ist es ihm auf jeden Fall gelungen,
das Ding auf englisch umzustellen - das entschärft die Sache schon mal
ungemein. Es bleibt aber leider dabei, dass ich die Bedienungsanleitung
nicht lesen kann und das Ding ja auch zum chatten gekauft habe. Ich schicke
eine E-Mail an den Hersteller mit der Bitte, mal zu kucken ob man mir nicht
eine englische Bedienungsanleitung schicken kann oder wenigstens die
China-Version als Word-Dokument, damit ich's durch den gefürchteten
Babel-Fisch jagen kann. Schlimmstenfalls muss ich wieder Guan fragen. Ich
bin begeistert.



Heute Nachmittag steht Unterricht in TCM auf dem Programm. Wir sollen eine
Einführung beim greisen Altmeister Wang bekommen. Wir sitzen alle gemeinsam
im Klostergarten, der Meister flankiert von den Damen Youki, der Frau von
Aziz, die seine Schülerin ist, und Grace, die eigentlich übersetzen soll.
Youki ist eine sehr liebenswerte junge Dame, die sich gerne um alles kümmert
und auch jetzt sofort die Übermittlung an sich reißt, nicht ohne schamhaft
zu bekennen, dass ihr Englisch nicht gerade überragend ist. Dies würde
keiner bezweifeln, dennoch lässt sie es sich nicht nehmen, uns alles
ausgiebig in einer entzückenden Mischung aus chinesisch, englisch und
französisch sehr temperamentvoll zu erklären, mit lautstarker Hilfe von
Grace und Jen, die versuchen, den Sinn des Gesagten zu erfassen und zu
erklären. Irgendwann lege ich den Stift aus der Hand als ich feststelle,
dass ich nur wirres Zeug ohne Struktur und zu allem Überfluss in
unterschiedlichen Sprachen notiert habe. Meine Blicke nach links und rechts
bestätigen mir, dass es bei den anderen auch nicht anders aussieht. Ich
versuche einfach zuzuhören, kapiere ein klein wenig aber die vielsprachige
Diskussion - mittlerweile hat sich Nat, der Russe, noch in die
Interpretation mit eingeklinkt, außerdem gesellen sich noch ein paar Mönche
und Nonnen hinzu, die auch angeregt mitreden - ist mir einfach zu ermüdend.
Willkommen in Babylon.

Da lausche ich lieber einem Flötenspieler, der im Hintergrund aus einer der
Klosterzellen zu hören ist.

Vielen Dank für das Gespräch.



15.09.08

Gestern wurde Mondfest, bzw. Mittherbstfest, gefeiert. Dies ist traditionell
eine Feier, bei der die ganze Familie zusammenkommt, vom Stellenwert
vielleicht mit Weihnachten vergleichbar, jedenfalls hatte ich gestern jede
Menge Mondfest-Glückwünsche in meinem QQ-Postkasten und habe darauf hin
natürlich auch brav selbst welche verteilt. Mittags wurden wir zum Essen in
das obere Stockwerk gebeten und der Küchenchef hat richtig tolle Sachen für
uns gezaubert. Außerdem hat Guan noch einen Kasten Bier auf den Markt
geworfen und danach das Mittagstraining abgesagt, was niemanden wirklich
überrascht. Ich habe also Zeit für eine ausgedehnte Internet-Session,
kucken, was sich zu Hause so tut, leicht deprimiert stelle ich fest, dass
ich eigentlich wirklich nicht immer alles so genau wissen will...ich bin
doch sehr weit entfernt von den heimischen Kabbeleien und wünsche mir
eigentlich, dass das so bleibt.

Für den Abend ist jedenfalls eine große Party angesagt, Guan hatte sich in
den Kopf gesetzt, uns dazu zu bewegen, irgend etwas darzubieten, aus
anfänglichem Zieren ist langsam aber sicher offene Meuterei geworden,
nachdem er mit Biegen und Brechen versucht hat, uns zum Singen zu nötigen.
Irgendwann hat er entnervt aufgegeben als wir ihm klargemacht haben, dass
wir doch ein klein wenig mehr Zeit zur Vorbereitung gebraucht hätten...die
Feier soll ab 19.30 h steigen. Wie üblich geistert Grace eine halbe Stunde
vor dem von Guan angekündigten Termin durch die Zimmer um uns mitzuteilen,
dass es jetzt, gleich, sofort losgehen soll, aber daran sind wir ja schon
gewöhnt.

Wir marschieren in den Schulhof, da haben die Schüler den ganzen Nachmittag
damit zugebracht, zu schmücken und zu dekorieren und da ich schon Zeugin
solcher Aktionen gewesen bin, bin ich überrascht, wie fantasievoll die Jungs
mit den vorhandenen Gerätschaften eine Bühne mit "Bühnenbild" gezaubert
haben. Alles hübsch bunt und als Podest statt einer Holzkonstruktion die
gefederten Sprung-Übungsmatten mit den ehemals roten Teppichen, die sonst
für Vorführungen eingesetzt werden, überdeckt. Dass man auf den beteppichten
Matten wahrscheinlich ziemlich schlecht stehen kann und die Überlappung der
beiden roten Teppiche mit der Kante zu Bühne zeigt, so dass die Akteure
wahrscheinlich öfter mal drüberstolpern (eine Annahme, die sich später als
richtig erweist) - Schwamm drüber, typisch deutsche Gedanken....Meister
Zhong ist mit ein paar älteren Schülern hektisch dabei, den Sound zu
checken, bzw. die Anlage überhaupt zum Laufen zu bringen, riesige Bassboxen
stehen herum, ein richtiges Mischpult, 4 Notebooks und ein Schüler, der die
Bedienungsanleitung laut vorliest, während der Rest versucht, die
Anweisungen umzusetzen. Sich vielleicht vorher mal um so etwas Gedanken zu
machen ist auch wieder so ein deutscher Geistesblitz, den ich ganz schnell
wegsperre und einfach das Szenario genieße. Meister Zhong trägt heute zivil,
ich habe ihn zunächst gar nicht erkannt, er trägt sogar die Haare offen, ist
wohl auch nötig, da die Anlage ständig abrauscht (das wird sie den ganzen
Abend lang tun) und er ununterbrochen sein Fell rauft. Das würde selbst der
kunstvollste Haarknoten nicht aushalten. Ich sehe voller Stolz und Freude,
dass er ein Kranich-Shirt trägt. Da er es verkehrt herum angezogen hat,
sieht man das Wappentier unseres Vereins in voller Pracht. Als er sieht,
dass ich es bemerkt habe, wirft er sich in die Brust und lacht mich an - das
Bild wird natürlich für die Nachwelt festgehalten.

Irgendwann sind auch die größten technischen Problemchen beseitigt, die
Party kann steigen. Die Jungs - und die drei Mädels natürlich auch - haben
sich sehr hübsch in Schale geworfen, alle tragen das lange Haar nur locker
zusammengebunden, was wirklich ausnehmend putzt, dazu das, was sie gerne als
"cool clothes" bezeichnen, also - für unsere Verhältnisse - normale
Straßenkleidung, allerdings "für besser", ja, sie machen wirklich was her,
jeder hat sich Mühe gegeben, man merkt, dass dieses Fest etwas besonderes
ist. Durch den Galaabend führt ein älterer Schüler, gemeinsam mit der
hübschen und sehr charmanten Yi Ming und meinem alten Lehrer Wang. Das ist
nun wirklich ein großer Posierer, da gibt es nichts: wenn er einen
Redebeitrag leistet geht nichts ohne theatralische Gesten ab, wie weiland
John Travolta in "Saturday Night Fever" reckt er sich und feuert mit den
Fingern in den Himmel. Allein dass er gerade mal 1,60 m groß ist und seine
Stimme nicht nur etwas piepsig ist und auch ein klein wenig zum Überkippen
neigt, trennt ihn vom ganz großen Show-Talent. Aber er macht seine Sache
wirklich klasse. Yi Ming mimt bei den kurzen Wortgefechten mit ihren beiden
Mitstreitern so etwas wie einen Feldwebel. Das wirkt bei diesem zierlichen
und nach meiner Einschaetzung sehr sanftmuetigen Geschoepf urkomisch. Wie
sehr ich mich da in ihr getaeuscht habe, wird mir in den naechsten Tagen
klar. Nun folgt der gefürchtete Karaoke-Teil. Ich frage mich, warum wir uns
eigentlich so angestellt haben, da hätten wir doch auch mithalten
können...die ständig ausfallende Anlage mindert den Genuss nur geringfügig.
Nach einigen sehr lustigen Sing-Beiträgen, die mit viel Herzblut vorgetragen
werden, uns aber doch gezeigt haben, dass die wahren Talente der jungen
Leute wohl doch eher in der Kampfkunst zu finden sind, folgt ein kleiner
Sketch. Wir verstehen kein Wort, das macht aber nichts, da - wie ich der
verzweifelten Hilfestellung des Conferenciers entnehme - die Kids sowieso
jede Pointe versemmeln. Vielleicht wäre die gute alte Bütt in Eulenform, bei
der die Augen aufleuchten, wenn gelacht werden soll, hier ganz hilfreich. So
macht man's zumindest bei der Mainzer Fastnacht.

Dann wird der erwürdige Abt vom Kloster mit der Limousine herangekarrt (das
sind zwar nur 5 Minuten Fußweg, aber ein bisschen Show muss ja sein), er
tritt vor das Publikum, erteilt sein "Urbi et Orbi", steigt wieder in den
Wagen und entschwindet in die Nacht.

Zum Abschluss, nachdem wir alle brav unsere Mondkuchen aufgenascht haben,
ist großes Abhotten angesagt. Guan zwingt uns, uns endlich zu erheben, na
ja, da machen wir dann schon mit und bei China-Teckno geht es dann richtig
zur Sache. Head-Banging bei den langen Mähnen der Schüler ist natürlich
schon ein Hinkucker. Wir wären allerdings nicht in Wudang, wenn nicht nach
kurzer Zeit die Jungs anfingen, kleine Akrobatik-Kunststückchen auf der
improvisierten Tanzfläche darzubieten: es bildet sich schnell eine Gasse für
den nötigen Anlauf und dann geht es los: die Schüler überbieten sich
gegenseitig in schwierigen Sprüngen, Salti und Hip-Hop-Einlagen, die sie bei
ihrer Beweglichkeit auch ganz gut beherrschen.

Um Punkt 22.00 h geht das Licht aus, die Musik geht aus. Feierabend.

Mondfest in Wudang Shan: ganz großes Kino!

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